Afghanistan, Libanon, Belarus – das sind nur einige der Länder, die wir im zurückliegenden Jahr mit politischen und wirtschaftlichen Krisen, mit Autoritarismus, Gewalt und Flucht in Verbindung bringen. Die Welt ist unruhig. Neue Machtzentren sind entstanden, wo Werte wie Freiheit und Rechtsstaatlichkeit häufig anders als hierzulande gewichtet werden. Die Freiräume für Medienvertreter, Kulturschaffende, Künstlerinnen und zivilgesellschaftliche Einrichtungen werden enger. Das ist in unterschiedlicher Intensität nicht nur in Ländern wie China, Russland, Ägypten oder der Türkei der Fall, sondern auch in einigen Staaten der Europäischen Union.
Die Coronakrise hat diese Entwicklungen noch verstärkt. Die Pandemie hat den Vertrauensverlust nicht nur zwischen Staaten, sondern auch innerhalb von nationalen Gesellschaften beschleunigt und Fragmentierungen vertieft. Aber die Krise hat auch Chancen aufgezeigt: Der digitale Raum kann echte menschliche Begegnungen zwar nicht ersetzen, doch gibt uns die digitale Kommunikation neue Möglichkeiten, in kluger Synergie mit physischen Angeboten Reichweiten zu erhöhen und neue Zielgruppen anzusprechen.
Weltweit beobachten wir, dass Nationalismus und exkludierender Populismus stärker werden. Gleichzeitig wird der grenzüberschreitende Austausch notwendiger denn je, um gemeinsame Antworten auf die großen Herausforderungen der Menschheit zu entwickeln. Der menschengemachte Klimawandel, die Chancen und Grenzen der Digitalisierung, Migration und Flucht, soziale Gerechtigkeit und das Gelingen von Diversität: All diese und weitere übergreifende Problemlagen zu bewältigen, braucht das Wissen und Engagement von vielen Menschen, die über Grenzen hinweg zusammenarbeiten.
Grenzüberschreitende Kreativität ist dabei nicht nur zwischen Staaten, sondern auch innerhalb unserer eigenen Gesellschaft notwendig, um die Zukunft zu gestalten. Die Globalisierung hat auch die Bundesrepublik Deutschland in ihrem Innern verändert. Vor 60 Jahren wurde das Anwerbeabkommen mit der Türkei unterzeichnet. Es steht heute symbolisch für die gesellschaftliche Vielfalt unseres Landes, die es für die gemeinsame Arbeit an den großen Herausforderungen zu nutzen gilt. Zuwanderung, insbesondere von Fachkräften, wird auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen, um den wirtschaftlichen Wohlstand und die sozialen Sicherungssysteme zu erhalten. Die Zugewanderten gehören hierher, und sie setzen innovative Impulse, die unsere Gesellschaft voranbringen; zugleich sind sie eine wichtige Brücke zu ihren Herkunftsländern. Wie können wir diese zunehmende Verschränkung von Innen und Außen gewinnbringend gestalten? Und was bedeuten die erwähnten globalen Entwicklungen für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik der Bundesrepublik (AKBP) in den kommenden Jahren?
Vom Zerfall der Sowjetunion bis zum 11. September, von der europäischen Wirtschaftskrise über die Präsidentschaft Donald Trumps bis hin zu Corona– in diesen unruhigen Zeiten sind die Instrumente der Sicherheitspolitik, der Außenwirtschaftspolitik und der klassischen Diplomatie zweifelsohne wichtig. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass sie nur einen Teil der Prozesse abdecken, die für eine globale Verständigung und ein friedliches Zusammenleben notwendig sind. Denn es geht nicht nur um staatliche Politik, sondern auch um die Begegnung von Gesellschaften, um die Bearbeitung der Zwischenräume. Es geht um Werte, um tatsächliche und gefühlte Asymmetrien, um unterschiedliche Perspektiven auf Geschichte, Erinnerung und Ästhetik. Es geht um das Zuhören, die gegenseitige Kenntnis, das einander Ernstnehmen und das gemeinsame Lernen. Kurz: Es geht um eine sensible und flexible AKBP mit hohem Innovationspotenzial.
Kluge Außenpolitik hat diese Erfahrung immer beherzigt. In den vergangenen Jahren mit ihren markanten Krisen sind die Aufgaben, die Verantwortung und auch die Budgets der deutschen Kulturmittlerorganisationen – der Alexander von Humboldt-Stiftung, des DAAD, des Goethe-Instituts, des Instituts für Auslandsbeziehungen und anderer – gewachsen. Wenn wir angesichts der aktuellen Weltlage Außenpolitik auch zukünftig friedensstiftend gestalten wollen, sollte sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren fortsetzen.
Die AKBP leistet einen wichtigen Beitrag zum gedeihlichen Zusammenleben auf unserem Globus. Sie bringt Menschen aus der ganzen Welt zusammen in Residenzprogrammen, Kulturveranstaltungen oder Jugendaustauschprojekten. Sie schafft Plattformen wie „Music in Africa“, die Musikerinnen und Musiker auf dem ganzen afrikanischen Kontinent vernetzt und Erwerbsmöglichkeiten schafft. Sie öffnet mit dem Unterricht der deutschen Sprache Zugänge zu unserem Land für Studentinnen, Krankenpfleger und Ingenieurinnen. Sie nimmt die großen Themen der Gegenwart – Klima und Nachhaltigkeit, Digitalität und Demokratie – in Kunst- und Bildungsprojekten, in Workshops für junge Menschen und in öffentlichen Debatten auf, macht die Herausforderungen bewusster und motiviert zum Handeln. Sie fördert kulturelle Kooperation und Koproduktion. So entstehen etwa auf dem Weg zu einem gemeinsamen Theaterstück auch ein besseres Verständnis vom Gegenüber und häufig lebenslange Kultur-Partnerschaften. Die AKBP unterstützt Kulturschaffende und Bildungseinrichtungen unter Druck, beispielsweise durch den Internationalen Hilfsfonds für zivilgesellschaftliche Akteure oder die Martin-Roth-Initiative, die Stipendien für gefährdete Kulturschaffende vergibt. Sie steht für einen vielfältigen europäischen Kulturraum und nimmt Populismus und Nationalismus in Europa unter die Lupe, wie beim Projekt „Freiraum“, in dem zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen zur Lage der Freiheit in Europa zusammengearbeitet haben. Sie trägt auch zum Gelingen der Diversität hierzulande bei, etwa durch die Zentren für internationale kulturelle Bildung an Goethe-Instituten in Deutschland. Das sind nur einige Beispiele, wie die AKBP auf vielfältige und wirkungsvolle Weise offenen Austausch, internationale Verständigung und innovatives Handeln jenseits tagespolitischer Zwänge ermöglicht.