Die AKBP ist ein multipolares Geflecht

Einige Gedanken zur Verschmelzung von Innen und Außen in der Kulturpolitik und zur Rolle des Goethe-Instituts

1. Globale Debatten

 

Die Programme des Goethe-Instituts, die durch Beiträge und Stimmen aus dem Ausland deutsche Debatten internationalisieren, müssen ausgebaut werden. Denn nur, wenn wir die Sichtweisen und aktuellen Diskussionen anderer Gesellschaften wahrnehmen, können wir in einen Dialog treten, unsere eigenen Werte verorten und gemeinsam lernen. Solche Programme fördern zudem die Anerkennung und Teilhabe von Menschen mit internationaler Geschichte und Herkunft in unseren eigenen Gesellschaften, indem sie Hintergründe der Ursprungsgesellschaften zugänglich machen. Aus den Projekten des Goethe-Instituts, die in den vergangenen Jahren in Deutschland zu Themen wie europäische Nachbarschaft, Diversität, Kolonialismus und anderen stattgefunden haben, sei beispielhaft das „Kultursymposium Weimar“ genannt. Es hat 2016 und 2019 zu den Themen „Teilen und Tauschen“ und „Die Route wird neu berechnet“ globale Stimmen aus dem Netzwerk des Goethe-Instituts an einem Ort in Deutschland versammelt. 2021 behandelt das Kultursymposium Weimar das Thema „Generationen“. Darüber hinaus muss es uns gelingen, mit solchen Angeboten nicht nur in Berlin, München, Hamburg und anderen Orten präsent zu sein, die über starke Kultureinrichtungen verfügen – sondern auch in mittleren Städten bis hin zu Kultur- und Bildungseinrichtungen in Orten der Peripherie. Die digitalen Chancen, die sich in der Coronakrise für die Reichweite von Programmen gezeigt haben, sind hier stärker zu nutzen.

 

2. Internationale kulturelle Bildung

 

Dieser Ansatz ließe sich vertiefen, indem man internationale kulturelle Bildungsangebote in Deutschland schafft und ausbaut. Zahlreiche hervorragende Akteure der kulturellen Bildung tragen dazu bei, die Kohäsion zwischen den gesellschaftlichen Gruppen zu verstärken. Das Goethe-Institut kann diese Arbeit bereichern und einen Beitrag leisten, der sich aus seiner internationalen Aufstellung und seiner Erfahrung in der transkulturellen Zusammenarbeit speist. So legt das Goethe-Institut Programme weltweit zur kulturellen und gesellschaftlichen Bildung auf: Etwa „Respekt“, eine große EU-geförderte Initiative in Russland, bei der europäische Comic-Künstlerinnen und -Künstler mit ihren Geschichten an Schulen für Toleranz werben. Oder das Projekt „Carte Blanche“, in dem auf dem Höhepunkt der Diskussion um Geflüchtete drei arabische Goethe-Institute einen Monat in drei Städten Mittelosteuropas Kulturprogramme organisierten und so einen positiven Zugang zur arabischen Gesellschaft ermöglichten. Solche Programme können auch für die deutsche Gesellschaft fruchtbar sein. Viele der Menschen, die in Deutschland ankommen, stammen aus Gemeinschaften, mit denen die Goethe-Institute im Ausland arbeiten. Angebote, die in den Erfahrungen dieser internationalen kulturellen Bildungsarbeit gründen, können die Ankommenden dabei unterstützen, gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen. Konkret ist es das Ziel, das Netzwerk der zwölf Goethe-Institute in Deutschland über seine Deutsch-Angebote hinaus in Kooperation mit vielen anderen Akteuren zu Orten der transkulturellen Begegnung und Weiterbildung zu machen. Es ist deshalb ein wichtiger Schritt, dass das Konzept der „Zentren für internationale kulturelle Bildung an den Goethe-Instituten in Deutschland“ in den Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses gegen Rassismus und Rechtsradikalismus Aufnahme gefunden hat. Solche Zentren sollen mit Unterstützung des Auswärtigen Amts und der Beauftragten für Kultur und Medien in Dresden, Mannheim, Schwäbisch Hall, Bonn und Hamburg entstehen und in enger Kooperation mit Partnern vor Ort die kulturelle und gesellschaftliche Bildung um internationale Impulse bereichern.

 

3. Mehrsprachigkeit und Jugendaustausch

 

Der wichtigste Ort, um die Diversität einer Gesellschaft einzuüben, ist die Schule. In den deutschen Lehrplänen hat sich die neue Multipolarität der Welt jedoch noch kaum niedergeschlagen. Deshalb sollte das Thema Mehrsprachigkeit stärker in den Fokus rücken. Vor allem weil Sprache einen zentralen Zugang zu Kultur und Gesellschaft darstellt. Natürlich ist Englisch ein Muss, und es ist auch wichtig, dass mit Französisch die Sprache des größten Nachbarn ihren Platz im deutschen Stundenplan hat. Aber angesichts einer multipolaren Welt sind Angebote großer Sprachen wie Chinesisch oder Russisch oder auch von Nachbarsprachen wie Polnisch oder Tschechisch unterrepräsentiert. Jugendaustauschprogramme in Europa und über Europa hinaus sind zu verstärken, wenn man der jungen Generation die Chancen und Herausforderungen einer diversen und dynamischen Welt nahebringen will. Programme, wie das jüngst von der Stiftung Mercator und dem Goethe-Institut ins Leben gerufene „Bildungsnetzwerk China“ oder auch „Schulwärts“, das deutschen Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern über Praktika einen Einblick in ausländische Schulsysteme ermöglicht, sowie viele andere Programme dieser Art leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Absolventinnen und Absolventen haben nach ihrer Rückkehr auch eine höhere Sensibilität für die Chancen der Diversität in ihrem eigenen Umfeld: Denn in deutschen Klassenzimmern sitzen – lebendiger Ausdruck dafür, dass die Grenzen zwischen Innen und Außen aufgehoben sind – Kinder ganz unterschiedlicher Herkünfte. Ein Potenzial, das in der Bildungspolitik hierzulande noch stärker wahrgenommen und genutzt werden sollte.

 

Die Verschmelzung von Innen und Außen in der Kulturpolitik stellt, wenn sie in positivem Sinne betrachtet und betrieben wird, eine große Chance für Deutschland dar. Denn Diversität, weltweite Interaktion und gemeinsames, gegenseitiges Lernen sind in einer global vernetzten Welt unabdinglich. Gerade die europäische Zusammenarbeit kann hier eine wichtige Rolle spielen und beispielhaft verdeutlichen, wie grenzüberschreitende und multidimensionale Kooperation in den Feldern Kultur und Bildung funktionieren kann. Auch die Frage, wie Diversität in der eigenen Institution als Chance verstanden wird, spielt bei diesen Überlegungen eine wichtige Rolle. So arbeitet das Goethe-Institut daran, das Innen und Außen durch die Aufnahme ausländischer Mitglieder auch in den eigenen Gremien stärker abzubilden, aber insbesondere auch daran, strukturelle Hindernisse für Diversität durch Selbstreflexion und Überprüfung von Arbeitsweisen und Prozessen in der eigenen Institution offenzulegen und Zugänge zu öffnen. Für die Zukunft könnte es zudem erfolgreich sein, internationale Impulse und Kontakte auch in Gremien oder bei Strategieprozessen von Kultureinrichtungen auf Länder- und kommunaler Ebene zu vermitteln, um die globalen Verbindungen der kulturellen Arbeit in Deutschland in der Fläche aktiv zu reflektieren. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Diskussion um die immer stärkere Verschränkung von Innen und Außen nicht eine rein deutsche, von innen heraus gedachte ist. Denn das skizzierte Modell eines multipolaren Geflechts funktioniert dann am besten, wenn zwischen den Partnern möglichst wenige Hemmnisse existieren, wie sie beispielsweise eine rein nationalstaatlich orientierte Innen- und Außenkulturpolitik mit sich bringt. Es scheint jedoch, dass in vielen Ländern gerade die nationale Repräsentation und Selbstdarstellung weiterhin das Leitmotiv außenkulturpolitischer Konzepte ist. Hier gilt es, die Vorzüge des multipolaren Netzwerks zu verdeutlichen und durch partnerschaftliche und multilaterale Programme Vertrauen zu schaffen.

 

Der Beitrag erscheint in „Innenkulturpolitik – Außenkulturpolitik. Perspektiven gemeinsamen Handelns“, hrsg. von Ronald Grätz und Markus Hilgert, Steidl Verlag 2021, ISBN 978-3-95829-972-6.

Johannes Ebert
Johannes Ebert ist Generalsekretär des Goethe-Instituts.
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