Johannes Ebert - 29. März 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Auswärtige Kultur- & Bildungspolitik (AKBP)

Die AKBP ist ein multipolares Geflecht


Einige Gedanken zur Verschmelzung von Innen und Außen in der Kulturpolitik und zur Rolle des Goethe-Instituts

„Alles hängt mit allem zusammen.“ Nie war Alexander von Humboldts berühmtes Diktum offensichtlicher als heute: Wenn in Brasilien der Regenwald brennt, wirkt das auf das Klima weltweit. Als in Syrien der Krieg begann, flohen Millionen von Menschen: in die Nachbarländer, nach Europa, in die USA. Als sich auf einem Markt in Wuhan ein Mensch mit einem Virus infizierte, war sechs Monate später die ganze Welt betroffen.

 

Auch wenn die Autokraten dieser Welt die nationalen Grenzen hochziehen wollen, ist angesichts der globalen Verflechtung aller Lebensbereiche das Vergebliche solcher häufig konfrontativen Maßnahmen doch offensichtlich. Folgerichtig wird auch in der Kulturpolitik seit Längerem darüber diskutiert, wie diese zu gestalten sei, wenn die Grenzen zwischen Innen und Außen immer mehr aufgehoben werden. Diese Frage ist auch deshalb wichtig, weil Kultur Abbild und Reflexionsraum der realen Welt ebenso wie Gestaltungskraft für eine vielschichtige Zukunft ist – schließlich bietet sie den Freiraum für offenes Denken und globalen Austausch über Grenzen hinweg.

 

Deutschland ist international orientiert und in globale Zusammenhänge eingebunden. Die deutsche Gesellschaft ist aufgrund von Arbeits- und Bildungsmigration oder auch krisenbedingter Fluchtbewegungen von hoher Diversität geprägt. Daneben stehen globale Entwicklungen, die sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten beschleunigt haben und weltweit wirken: Gerade seit 1989 ist die Welt ein multipolares Gebilde mit unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfen geworden, die selbstbewusst – China sei hier beispielhaft genannt – nebeneinanderstehen. Themen wie Ökologie, Migration oder soziale Ungleichheit lassen sich nicht mehr innerhalb nationaler Grenzen regeln, sondern erfordern weiträumige Ansätze. Die Kolonialismus-Debatte hat ein Feld internationaler Herausforderungen in den Fokus gerückt, das zu bearbeiten ist. Die Digitalisierung hat Grenzen im positiven Sinne aufgehoben, gleichzeitig aber auch zu einer Entgrenzung mit bisweilen bedrohlichen Folgen geführt. Die Zuwanderung von Geflüchteten hat zu einer weiteren Internationalisierung Deutschlands beigetragen. Gewandert sind nicht nur Menschen, sondern auch Erinnerungskulturen, Narrative und Wertehaltungen. Mit ihnen müssen wir uns auseinandersetzen und gemeinsam lernen, ebenso wie die Ankommenden sich mit der bundesrepublikanischen Gesellschaft auseinandersetzen müssen, um Teil unseres freiheitlich-demokratischen Staatswesens zu sein. Auf weitere Zuwanderung, insbesondere von Fachkräften, werden wir für viele Jahre angewiesen sein, wenn wir Sozialsysteme und Wirtschaftskraft stabil halten wollen.

 

Für Institutionen wie das Goethe-Institut, das seit fast 70 Jahren im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland den internationalen Kulturaustausch mitgestaltet, besteht die große Verantwortung darin, Menschen weltweit in den Bereichen Kultur und Bildung zu vernetzen, um globale Solidarität und Verständigung zu fördern und damit einen Beitrag zu einem gedeihlichen Zusammenleben zu leisten. Diese Verantwortung ist angesichts der eingangs beschriebenen Entwicklungen in den vergangenen Jahren gewachsen und braucht jetzt neue Weichenstellungen. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Deutschlands ist bisher von zwei Schritten geprägt, die sich deutlich auch in der Veränderung des Goethe-Instituts widerspiegeln. Sie müssen nun um einen dritten Schritt erweitert werden: In den frühen Jahren der Bundesrepublik ging es zunächst darum, von Deutschland aus die neue demokratische Kultur und Gesellschaft vorzustellen und in der Staatengemeinschaft zu verankern. In der Begegnung mit anderen Ländern und Kulturen entstand in einem zweiten Schritt der Anspruch, aus dieser Einbahnstraße eine Zweibahnstraße zu machen, also den Kulturaustausch von außen nach innen zu verstärken. Die Gründung des Goethe-Forums, das ab den 1990er Jahren für zehn Jahre Bestand hatte und die zunehmende Organisation internationaler Veranstaltungen in Deutschland sind nur ein Ausdruck dieser konzeptionellen Erweiterung neben vielen anderen. Die Zweibahnstraße des öffentlich geförderten Kulturaustausches mit der Welt hatte nach außen immer den Anspruch, Autobahn zu sein, in die Gegenrichtung hat sie sich in den vergangenen Jahrzehnten immerhin zu einer Landstraße entwickelt. Angesichts der Globalisierung und der damit verbundenen Aufhebung von Innen und Außen hat das Bild der Zweibahnstraße zwei Schwächen: Sie verbindet nur zwei Orte und sie führt nur in zwei Richtungen.

 

In dieser neuen multipolaren Welt brauchen wir deshalb als dritten Schritt ein neues kulturpolitisches Denkmodell, das multipolar ist. Das zeitgemäße Modell der Kultur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung ist deshalb eher ein multidimensionales Geflecht. Es besteht aus einer scheinbar unendlichen Zahl von kulturellen Akteuren, die durch unendlich viele Wege, Synapsen und sich verästelnde Verbindungen verknüpft sind. Je stärker, zahlreicher und offener diese Kanäle, desto wirksamer sind die Impulse und die Nachhaltigkeit der internationalen Verständigung, die wir für globalen Austausch und Stabilität brauchen.

 

Aus diesem multidimensionalen Modell lässt sich die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik weiterentwickeln. Das Goethe-Institut hat – wie auch andere Mittlerorganisationen der AKBP in Deutschland und anderen Ländern – in diesem System die Funktion eines Verteilers und Ermöglichers. Diese Verteilerstation mit ihrem weltweiten Netzwerk gibt Impulse in alle Richtungen. Sie entdeckt neue Strömungen und Entwicklungen an der einen Stelle, nimmt sie auf und gibt sie über die weitverzweigten Verbindungen im multidimensionalen Netzwerk an möglichst viele Punkte weiter – immer mit ihrem grundlegenden Ziel, Zugänge zu erweitern und so zu einer globalen Verständigung beizutragen. Das Institut unterstützt Akteure aus Deutschland dabei, die sich ebenfalls in den vergangenen Jahren zusehends internationalisiert haben, noch gezielter in dieses Netz hineinzuwirken und die Synapsen optimal zu nutzen – nicht im Sinne von Einbahn- oder Zweibahnstraßen, sondern als Teil eines Geflechts, das in lokalem Wissen und lokalen Kooperationen wurzelt, diese aber um ein Vielfaches erweitert.

 

Dieses System hat jedoch einen blinden Fleck: Die Verteilerstation Goethe-Institut wirkt zwar in die ganze Welt und auch zwischen vielen Orten weltweit. Gedanklich weiterhin dem historischen Modell der Einbahnstraße verbunden, nutzt sie dieses Potenzial vor dem Hintergrund der skizzierten Rahmenbedingungen der Globalisierung aber in zu geringem Maße im Inland. Hier gilt es, gemeinsam mit Kulturpartnern in Deutschland, aber auch den zwölf deutschen Goethe-Instituten als Teil des weltweiten Instituts-Netzwerks neue Impulse zu setzen. Diese können das Lernen von anderen Ländern ermöglichen und damit Prozesse in gesellschaftlichen Bereichen voranbringen, die von der zunehmenden Diversität und Internationalität Deutschlands betroffen sind. Sie können hierzulande das Verständnis von anderen Gesellschaften erhöhen und zum Gelingen der Diversität ebenso beitragen wie zum Erfolg Deutschlands in internationalen Kontexten. Will man das volle Potenzial der Verteilerstation Goethe-Institut ausnutzen, braucht das Goethe-Institut deshalb eine Ausweitung des politischen Mandats, auch in Deutschland wirksam zu werden und erste erfolgreiche Ansätze der Arbeit hier weiter auszubauen. Konkret sind es drei Felder, zu denen das Goethe-Institut einen Beitrag leisten kann:

1. Globale Debatten

 

Die Programme des Goethe-Instituts, die durch Beiträge und Stimmen aus dem Ausland deutsche Debatten internationalisieren, müssen ausgebaut werden. Denn nur, wenn wir die Sichtweisen und aktuellen Diskussionen anderer Gesellschaften wahrnehmen, können wir in einen Dialog treten, unsere eigenen Werte verorten und gemeinsam lernen. Solche Programme fördern zudem die Anerkennung und Teilhabe von Menschen mit internationaler Geschichte und Herkunft in unseren eigenen Gesellschaften, indem sie Hintergründe der Ursprungsgesellschaften zugänglich machen. Aus den Projekten des Goethe-Instituts, die in den vergangenen Jahren in Deutschland zu Themen wie europäische Nachbarschaft, Diversität, Kolonialismus und anderen stattgefunden haben, sei beispielhaft das „Kultursymposium Weimar“ genannt. Es hat 2016 und 2019 zu den Themen „Teilen und Tauschen“ und „Die Route wird neu berechnet“ globale Stimmen aus dem Netzwerk des Goethe-Instituts an einem Ort in Deutschland versammelt. 2021 behandelt das Kultursymposium Weimar das Thema „Generationen“. Darüber hinaus muss es uns gelingen, mit solchen Angeboten nicht nur in Berlin, München, Hamburg und anderen Orten präsent zu sein, die über starke Kultureinrichtungen verfügen – sondern auch in mittleren Städten bis hin zu Kultur- und Bildungseinrichtungen in Orten der Peripherie. Die digitalen Chancen, die sich in der Coronakrise für die Reichweite von Programmen gezeigt haben, sind hier stärker zu nutzen.

 

2. Internationale kulturelle Bildung

 

Dieser Ansatz ließe sich vertiefen, indem man internationale kulturelle Bildungsangebote in Deutschland schafft und ausbaut. Zahlreiche hervorragende Akteure der kulturellen Bildung tragen dazu bei, die Kohäsion zwischen den gesellschaftlichen Gruppen zu verstärken. Das Goethe-Institut kann diese Arbeit bereichern und einen Beitrag leisten, der sich aus seiner internationalen Aufstellung und seiner Erfahrung in der transkulturellen Zusammenarbeit speist. So legt das Goethe-Institut Programme weltweit zur kulturellen und gesellschaftlichen Bildung auf: Etwa „Respekt“, eine große EU-geförderte Initiative in Russland, bei der europäische Comic-Künstlerinnen und -Künstler mit ihren Geschichten an Schulen für Toleranz werben. Oder das Projekt „Carte Blanche“, in dem auf dem Höhepunkt der Diskussion um Geflüchtete drei arabische Goethe-Institute einen Monat in drei Städten Mittelosteuropas Kulturprogramme organisierten und so einen positiven Zugang zur arabischen Gesellschaft ermöglichten. Solche Programme können auch für die deutsche Gesellschaft fruchtbar sein. Viele der Menschen, die in Deutschland ankommen, stammen aus Gemeinschaften, mit denen die Goethe-Institute im Ausland arbeiten. Angebote, die in den Erfahrungen dieser internationalen kulturellen Bildungsarbeit gründen, können die Ankommenden dabei unterstützen, gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen. Konkret ist es das Ziel, das Netzwerk der zwölf Goethe-Institute in Deutschland über seine Deutsch-Angebote hinaus in Kooperation mit vielen anderen Akteuren zu Orten der transkulturellen Begegnung und Weiterbildung zu machen. Es ist deshalb ein wichtiger Schritt, dass das Konzept der „Zentren für internationale kulturelle Bildung an den Goethe-Instituten in Deutschland“ in den Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses gegen Rassismus und Rechtsradikalismus Aufnahme gefunden hat. Solche Zentren sollen mit Unterstützung des Auswärtigen Amts und der Beauftragten für Kultur und Medien in Dresden, Mannheim, Schwäbisch Hall, Bonn und Hamburg entstehen und in enger Kooperation mit Partnern vor Ort die kulturelle und gesellschaftliche Bildung um internationale Impulse bereichern.

 

3. Mehrsprachigkeit und Jugendaustausch

 

Der wichtigste Ort, um die Diversität einer Gesellschaft einzuüben, ist die Schule. In den deutschen Lehrplänen hat sich die neue Multipolarität der Welt jedoch noch kaum niedergeschlagen. Deshalb sollte das Thema Mehrsprachigkeit stärker in den Fokus rücken. Vor allem weil Sprache einen zentralen Zugang zu Kultur und Gesellschaft darstellt. Natürlich ist Englisch ein Muss, und es ist auch wichtig, dass mit Französisch die Sprache des größten Nachbarn ihren Platz im deutschen Stundenplan hat. Aber angesichts einer multipolaren Welt sind Angebote großer Sprachen wie Chinesisch oder Russisch oder auch von Nachbarsprachen wie Polnisch oder Tschechisch unterrepräsentiert. Jugendaustauschprogramme in Europa und über Europa hinaus sind zu verstärken, wenn man der jungen Generation die Chancen und Herausforderungen einer diversen und dynamischen Welt nahebringen will. Programme, wie das jüngst von der Stiftung Mercator und dem Goethe-Institut ins Leben gerufene „Bildungsnetzwerk China“ oder auch „Schulwärts“, das deutschen Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern über Praktika einen Einblick in ausländische Schulsysteme ermöglicht, sowie viele andere Programme dieser Art leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Absolventinnen und Absolventen haben nach ihrer Rückkehr auch eine höhere Sensibilität für die Chancen der Diversität in ihrem eigenen Umfeld: Denn in deutschen Klassenzimmern sitzen – lebendiger Ausdruck dafür, dass die Grenzen zwischen Innen und Außen aufgehoben sind – Kinder ganz unterschiedlicher Herkünfte. Ein Potenzial, das in der Bildungspolitik hierzulande noch stärker wahrgenommen und genutzt werden sollte.

 

Die Verschmelzung von Innen und Außen in der Kulturpolitik stellt, wenn sie in positivem Sinne betrachtet und betrieben wird, eine große Chance für Deutschland dar. Denn Diversität, weltweite Interaktion und gemeinsames, gegenseitiges Lernen sind in einer global vernetzten Welt unabdinglich. Gerade die europäische Zusammenarbeit kann hier eine wichtige Rolle spielen und beispielhaft verdeutlichen, wie grenzüberschreitende und multidimensionale Kooperation in den Feldern Kultur und Bildung funktionieren kann. Auch die Frage, wie Diversität in der eigenen Institution als Chance verstanden wird, spielt bei diesen Überlegungen eine wichtige Rolle. So arbeitet das Goethe-Institut daran, das Innen und Außen durch die Aufnahme ausländischer Mitglieder auch in den eigenen Gremien stärker abzubilden, aber insbesondere auch daran, strukturelle Hindernisse für Diversität durch Selbstreflexion und Überprüfung von Arbeitsweisen und Prozessen in der eigenen Institution offenzulegen und Zugänge zu öffnen. Für die Zukunft könnte es zudem erfolgreich sein, internationale Impulse und Kontakte auch in Gremien oder bei Strategieprozessen von Kultureinrichtungen auf Länder- und kommunaler Ebene zu vermitteln, um die globalen Verbindungen der kulturellen Arbeit in Deutschland in der Fläche aktiv zu reflektieren. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Diskussion um die immer stärkere Verschränkung von Innen und Außen nicht eine rein deutsche, von innen heraus gedachte ist. Denn das skizzierte Modell eines multipolaren Geflechts funktioniert dann am besten, wenn zwischen den Partnern möglichst wenige Hemmnisse existieren, wie sie beispielsweise eine rein nationalstaatlich orientierte Innen- und Außenkulturpolitik mit sich bringt. Es scheint jedoch, dass in vielen Ländern gerade die nationale Repräsentation und Selbstdarstellung weiterhin das Leitmotiv außenkulturpolitischer Konzepte ist. Hier gilt es, die Vorzüge des multipolaren Netzwerks zu verdeutlichen und durch partnerschaftliche und multilaterale Programme Vertrauen zu schaffen.

 

Der Beitrag erscheint in „Innenkulturpolitik – Außenkulturpolitik. Perspektiven gemeinsamen Handelns“, hrsg. von Ronald Grätz und Markus Hilgert, Steidl Verlag 2021, ISBN 978-3-95829-972-6.


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