Der Schlüssel für nachhaltige Entwicklung

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik spielt eine zentrale Rolle

Kultur ist zentral für nachhaltige Entwicklung und damit auch für den Erfolg von Entwicklungspolitik. Denn Kultur bedeutet Herkunft und ist damit Grundlage für Zukunft. Kultur schafft Identität, sie stärkt gesellschaftlichen Zusammenhalt, baut Brücken zwischen Gruppen und Völkern, stiftet Frieden und ist zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Kultur ist Lebensweise und Religion, Recht und Wissenschaft, Tradition und Innovation, Kunst und Musik, Sprache und Literatur – kurz: Kultur ist das, was der Mensch gestaltend hervorbringt. Kultur ist die Matrix des Menschen und der Menschlichkeit und damit ist sie weltweit der stärkste Integrationsmotor.

 

Menschenrecht Kultur
Im letzten Jahr verabschiedete die internationale Gemeinschaft einen Weltzukunftsvertrag, die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“: Wie wollen und wie müssen wir heute leben, damit unsere Kinder morgen noch auf diesem Planeten leben können? Wie können wir Globalisierung gerecht gestalten? Dieser Weltzukunftsvertrag und auch das Klimaabkommen von Paris zeigen die notwendigen Schritte auf. Bundeskanzlerin Merkel hat beim G7-Gipfel 2015 im bayerischen Elmau und auch international klargemacht: Deutschland geht bei der Umsetzung einer nachhaltigen und gerechten Gestaltung globaler Entwicklung voraus. Dazu zählt das Bekenntnis zur Förderung kultureller Vielfalt und Umsetzung aller Menschenrechte einschließlich der kulturellen Rechte wie z. B. dem Recht auf kulturelle Teilhabe. Deutschland und viele unserer Partnerländer haben sich diesem Ziel mit der Ratifizierung des Zivil- und des Sozialpakts verpflichtet.

 

Die vierte Dimension von Nachhaltigkeit
Kulturelle Vielfalt ist wie die biologische Vielfalt das gemeinsame Erbe der Menschheit und Voraussetzung für Entwicklung. Das erkannten auch die Vereinten Nationen (UNESCO) und verabschiedeten 2005 eine „Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“, die die Bundesregierung 2007 ratifizierte. Das Übereinkommen schafft eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage für das Recht aller Staaten auf eine eigenständige Kulturpolitik. Außerdem sind die Vertragsstaaten dazu aufgerufen, „alle Länder, insbesondere die Entwicklungsländer, in die Lage zu versetzen, ihre Mittel des kulturellen Ausdrucks auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zu schaffen und zu stärken; dies umfasst ihre Kulturwirtschaft.“ Weiter heißt es: „Da die Kultur eine der Hauptantriebskräfte der Entwicklung ist, sind die kulturellen Aspekte der Entwicklung ebenso wichtig wie ihre wirtschaftlichen Aspekte.“ Die deutsche Entwicklungspolitik basiert unter anderem auf der Anerkennung und Förderung dieser komplementären Relevanz von Kultur und Wirtschaft für Entwicklung. Mehr noch, sie fußt auf einem Nachhaltigkeitsverständnis, das neben den drei traditionellen Dimensionen – ökonomisch, ökologisch und sozial – die kulturelle Dimension einschließt.

 

Wozu Entwicklungspolitik?
Früher konnten wir uns Entwicklungspolitik leisten. Heute müssen wir sie uns leisten. Wir sind die erste Generation, die Armut und Hunger überwinden kann. Und wir sind die letzte Generation, die eine Entwicklung stoppen kann, die unseren Planeten an den Rand des Abgrunds führt. Afrikas Bevölkerung wird sich bis Mitte des Jahrhunderts verdoppeln, die Weltbevölkerung von rund sieben auf rund zehn Milliarden wachsen, der Altersdurchschnitt wird bei 20 Jahren liegen. Ressourcen wie Wasser oder Nahrung werden knapp, in vielen Ländern ist schon heute jeder zweite ohne Ausbildung und Job. Mehr als 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. In Asien ziehen in den nächsten zwei Jahrzehnten 350 Millionen Menschen in die Städte, mehr als die USA Einwohner haben. Wo werden diese Menschen leben, wie werden diese Städte gebaut? Zudem wächst die Kluft zwischen Arm und Reich, 20 Prozent der Menschen verbrauchen 80 Prozent der Ressourcen und produzieren zwei Drittel der Verschmutzung.

 

All dies bietet Nährboden für Verzweiflung, Konflikt und Flucht – und das geht auch uns an, denn wir leben alle im globalen Dorf. Daher brauchen wir einen Paradigmenwechsel: Afrika ist nicht der Kontinent billiger Ressourcen, Afrika ist Chancenkontinent, mit vielen jungen Menschen, die Bildung, Infrastruktur, Energie, Einkommen und Perspektive benötigen. Wir müssen und können eine Welt ohne Hunger erreichen, Klima schützen und Flucht vorbeugen – indem wir z. B. bei uns selbst beginnen, bei unserem Konsumverhalten, unserer Steuer-, Handels-, und Agrarpolitik, aber auch bei der Einhaltung internationaler Zusagen. Und indem wir auf Partnerschaften setzen, mit Kommunen, Ländern und der Privatwirtschaft. Indem wir steuerliche Anreize fördern und Investitionsrisikoabsicherungen übernehmen. Unsere Unterstützung binden wir an die Einhaltung von Rechtsstandards. Wenn diese nicht funktionieren, müssen wir bei Staaten, die nicht kooperieren, die Hilfe auslaufen lassen und uns auf andere konzentrieren.

 

Entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert kann so als innovative Zukunfts- und Friedenspolitik ganz konkret die globalen Herausforderungen gestalten statt Reparaturbetrieb zu sein. Wir müssen uns im Klaren sein: handeln wir nicht jetzt, zahlen wir und unsere Kinder dafür morgen einen hohen Preis.

 

Gerd Müller
Gerd Müller ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Vorheriger ArtikelDie Menschen direkt erreichen – Einschätzungen von Thomas Feist, Michelle Müntefering, Claudia Roth und Diether Dehm
Nächster ArtikelEinander besser verstehen lernen