Gerd Müller - 1. November 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Auswärtige Kultur- & Bildungspolitik (AKBP)

Der Schlüssel für nachhaltige Entwicklung


Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik spielt eine zentrale Rolle

Kultur ist zentral für nachhaltige Entwicklung und damit auch für den Erfolg von Entwicklungspolitik. Denn Kultur bedeutet Herkunft und ist damit Grundlage für Zukunft. Kultur schafft Identität, sie stärkt gesellschaftlichen Zusammenhalt, baut Brücken zwischen Gruppen und Völkern, stiftet Frieden und ist zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Kultur ist Lebensweise und Religion, Recht und Wissenschaft, Tradition und Innovation, Kunst und Musik, Sprache und Literatur – kurz: Kultur ist das, was der Mensch gestaltend hervorbringt. Kultur ist die Matrix des Menschen und der Menschlichkeit und damit ist sie weltweit der stärkste Integrationsmotor.

 

Menschenrecht Kultur
Im letzten Jahr verabschiedete die internationale Gemeinschaft einen Weltzukunftsvertrag, die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“: Wie wollen und wie müssen wir heute leben, damit unsere Kinder morgen noch auf diesem Planeten leben können? Wie können wir Globalisierung gerecht gestalten? Dieser Weltzukunftsvertrag und auch das Klimaabkommen von Paris zeigen die notwendigen Schritte auf. Bundeskanzlerin Merkel hat beim G7-Gipfel 2015 im bayerischen Elmau und auch international klargemacht: Deutschland geht bei der Umsetzung einer nachhaltigen und gerechten Gestaltung globaler Entwicklung voraus. Dazu zählt das Bekenntnis zur Förderung kultureller Vielfalt und Umsetzung aller Menschenrechte einschließlich der kulturellen Rechte wie z. B. dem Recht auf kulturelle Teilhabe. Deutschland und viele unserer Partnerländer haben sich diesem Ziel mit der Ratifizierung des Zivil- und des Sozialpakts verpflichtet.

 

Die vierte Dimension von Nachhaltigkeit
Kulturelle Vielfalt ist wie die biologische Vielfalt das gemeinsame Erbe der Menschheit und Voraussetzung für Entwicklung. Das erkannten auch die Vereinten Nationen (UNESCO) und verabschiedeten 2005 eine „Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“, die die Bundesregierung 2007 ratifizierte. Das Übereinkommen schafft eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage für das Recht aller Staaten auf eine eigenständige Kulturpolitik. Außerdem sind die Vertragsstaaten dazu aufgerufen, „alle Länder, insbesondere die Entwicklungsländer, in die Lage zu versetzen, ihre Mittel des kulturellen Ausdrucks auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zu schaffen und zu stärken; dies umfasst ihre Kulturwirtschaft.“ Weiter heißt es: „Da die Kultur eine der Hauptantriebskräfte der Entwicklung ist, sind die kulturellen Aspekte der Entwicklung ebenso wichtig wie ihre wirtschaftlichen Aspekte.“ Die deutsche Entwicklungspolitik basiert unter anderem auf der Anerkennung und Förderung dieser komplementären Relevanz von Kultur und Wirtschaft für Entwicklung. Mehr noch, sie fußt auf einem Nachhaltigkeitsverständnis, das neben den drei traditionellen Dimensionen – ökonomisch, ökologisch und sozial – die kulturelle Dimension einschließt.

 

Wozu Entwicklungspolitik?
Früher konnten wir uns Entwicklungspolitik leisten. Heute müssen wir sie uns leisten. Wir sind die erste Generation, die Armut und Hunger überwinden kann. Und wir sind die letzte Generation, die eine Entwicklung stoppen kann, die unseren Planeten an den Rand des Abgrunds führt. Afrikas Bevölkerung wird sich bis Mitte des Jahrhunderts verdoppeln, die Weltbevölkerung von rund sieben auf rund zehn Milliarden wachsen, der Altersdurchschnitt wird bei 20 Jahren liegen. Ressourcen wie Wasser oder Nahrung werden knapp, in vielen Ländern ist schon heute jeder zweite ohne Ausbildung und Job. Mehr als 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. In Asien ziehen in den nächsten zwei Jahrzehnten 350 Millionen Menschen in die Städte, mehr als die USA Einwohner haben. Wo werden diese Menschen leben, wie werden diese Städte gebaut? Zudem wächst die Kluft zwischen Arm und Reich, 20 Prozent der Menschen verbrauchen 80 Prozent der Ressourcen und produzieren zwei Drittel der Verschmutzung.

 

All dies bietet Nährboden für Verzweiflung, Konflikt und Flucht – und das geht auch uns an, denn wir leben alle im globalen Dorf. Daher brauchen wir einen Paradigmenwechsel: Afrika ist nicht der Kontinent billiger Ressourcen, Afrika ist Chancenkontinent, mit vielen jungen Menschen, die Bildung, Infrastruktur, Energie, Einkommen und Perspektive benötigen. Wir müssen und können eine Welt ohne Hunger erreichen, Klima schützen und Flucht vorbeugen – indem wir z. B. bei uns selbst beginnen, bei unserem Konsumverhalten, unserer Steuer-, Handels-, und Agrarpolitik, aber auch bei der Einhaltung internationaler Zusagen. Und indem wir auf Partnerschaften setzen, mit Kommunen, Ländern und der Privatwirtschaft. Indem wir steuerliche Anreize fördern und Investitionsrisikoabsicherungen übernehmen. Unsere Unterstützung binden wir an die Einhaltung von Rechtsstandards. Wenn diese nicht funktionieren, müssen wir bei Staaten, die nicht kooperieren, die Hilfe auslaufen lassen und uns auf andere konzentrieren.

 

Entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert kann so als innovative Zukunfts- und Friedenspolitik ganz konkret die globalen Herausforderungen gestalten statt Reparaturbetrieb zu sein. Wir müssen uns im Klaren sein: handeln wir nicht jetzt, zahlen wir und unsere Kinder dafür morgen einen hohen Preis.

 

Kultur als Entwicklungsmotor
Angesichts der globalpolitischen Lage sind Kultur, kulturelle Vielfalt und Kreativwirtschaft gerade jetzt wichtige Innovationsressourcen. Sie bieten Orientierung, Identifikations- und Integrationsmöglichkeiten in einer zunehmend globalisierten Welt, sie geben Raum für das Testen neuer Lösungen und sie eröffnen Investitionsmöglichkeiten, wie z. B. in die stark wachsende afrikanische Filmindustrie. Um diese Entwicklungschancen zu fördern und zu nutzen, setzt die deutsche Entwicklungspolitik aktuell in vier Bereichen an: Alle Vorhaben der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit sind kultursensibel auf ihren jeweiligen sozio-kulturellen Kontext im Partnerland ausgerichtet. Kulturelle Kompetenz ist ein wichtiges Auswahlkriterium unserer Fachkräfte und Bestandteil ihrer beruflichen Weiterbildung. Denn wir entwickeln Unterstützungsprojekte gemeinsam mit unseren Partnern vor Ort. Nur so können kulturelle Aspekte von beiden Seiten einfließen. Die Berücksichtigung von Religion in der Entwicklungspolitik ist ein Beispiel dafür. Acht von zehn Menschen weltweit fühlen sich einer Religion zugehörig. Zudem sind religiöse Organisationen in vielen autoritären Staaten die einzige zivilgesellschaftliche Kraft. Es gibt aber auch kulturelle Praktiken, die Menschenrechte verletzen oder sich entwicklungshemmend auswirken. Dazu zählen weibliche Genitalverstümmelung oder Zwangs- und Kinderheirat. Wir sprechen diese schädlichen Praktiken offen an und unterstützen gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu deren Abschaffung, z. B. in Mauretanien die Überwindung der weiblichen Genitalverstümmelung. Hier hat der Dialog über die menschenrechtsverletzende Praxis mit und zwischen den religiösen Gelehrten zu konkreten Veränderungen geführt. So entwickelten die islamischen Gelehrten ein Rechtsgutachten und eine Predigthilfe für Moscheevorbeter und -prediger. Heute engagieren sich immer mehr Gelehrte und Imame gegen weibliche Genitalverstümmelung.

 

Das Potenzial von Kultur für Entwicklung wird außerdem sichtbar, wenn kulturelle Vielfalt und damit Identifikationsmöglichkeiten gezielt gefördert werden, beispielsweise im Rahmen einer lebendigen Kulturpolitik. Wichtig sind eine unabhängige Kultur- und Medienlandschaft sowie demokratische Teilhabe. Musik, Theater, Film oder darstellende Kunst bieten Räume für eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Missständen. Die Kunst- und Kreativszene wirkt oft als Katalysator, engagierte Kulturschaffende sind Seismografen gesellschaftlicher Veränderung. Sie geben durch ihre Arbeit wichtige Impulse für Demokratisierung und Korruptionsbekämpfung. Die deutsche Entwicklungspolitik berät Partnerregierungen bei der Ausgestaltung ihrer jeweiligen Kulturpolitik und arbeitet eng mit relevanten Kultur- und Bildungsinstitutionen zusammen, z. B. beim Aufbau von Managementkapazitäten oder bei der Entwicklung von Lehrplänen. So unterstützt ein Programm der deutschen Entwicklungspolitik in elf Ländern Zentral- und Südamerikas den Zugang von Indigenen zu Bildung und den Schutz indigenen Wissens in Zusammenarbeit mit den Verbänden der indigenen Bevölkerung. Der geschaffene Lehrstuhl ist inzwischen als UNESCO-Lehrstuhl für indigenes Wissen anerkannt und eine Referenz für alternative Hochschulbildungsmodelle. Das Netzwerk indigener Universitäten ist mittlerweile ein anerkannter Projektpartner europäischer Universitäten.

 

Kultur ist ein entscheidender Faktor im Umgang mit der globalen Herausforderung Flucht. Denn Kultur bedeutet Wurzeln zu haben und zu schlagen. Flüchtende verlieren die Geborgenheit und Orientierung ihrer eigenen Kultur und Sprache, häufig in jungen Jahren. Kultur spielt für die erfolgreiche Integration eine wichtige Rolle. Knapp 90 Prozent der Flüchtlinge werden von Entwicklungsländern aufgenommen, die für diese Herausforderungen kaum gerüstet sind, so im Nahen Osten. Die deutsche Entwicklungspolitik unterstützt diese Länder unter anderem mit Investitionen in Kulturzentren und kulturelle Projekte für Geflüchtete und die ansässige Bevölkerung, wie in Gaza, im Westjordanland, in Jordanien und im Libanon. Ein konkretes Beispiel ist der Aufbau eines Kulturzentrums im jordanischen Flüchtlingscamp Talbieh in Kooperation mit dem Women Program Center Talbieh. Dort können sich junge Menschen mit zurückliegenden Erlebnissen und ihrer Situation vor Ort auseinander setzen. Der Einsatz verschiedener Medien wie Film und Fotografie bietet die Möglichkeit zur Verarbeitung des Erlebten und trägt bei zur aktiven Gestaltung des kulturellen Lebens im Flüchtlingscamp – ein wichtiger Stabilisierungsfaktor bzw. Hoffnungsträger für den Alltag vieler Jugendlicher.

 

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist einer der am schnellsten wachsenden Zweige der Weltwirtschaft, derzeit liegt die Region Asien-Pazifik vorn, gefolgt von Europa. Auch in Entwicklungsländern wächst der Sektor zunehmend. Er bietet gerade jungen Menschen zukunftsorientierte Einkommens- und Beschäftigungsperspektiven. Produktdesign, Kunsthandwerk, Film und Mode sind in Entwicklungsländern wettbewerbsfähig. So schafft Nollywood in Nigeria mit 2.500 Filmproduktionen pro Jahr rund eine Million Arbeitsplätze und 600 Millionen USD Umsatz. Die Filmindustrie ist dort der zweitgrößte Sektor nach der Landwirtschaft. In Albanien unterstützt die deutsche Entwicklungspolitik die Regierung dabei, die Ausbildung von Architekten, Designern und Werbetreibenden zu verbessern. Auch durch den Schutz von geistigem Eigentum, die Gründung von Interessenverbänden und die Vermittlung von Kontakten zur Modeindustrie sorgt die albanische Regierung mit deutscher Unterstützung für mehr Einkommen in der Kreativbranche.

 

Entwicklungspolitik ist auch Kulturpolitik
Kultur ist ein elementarer Bestandteil nachhaltiger Entwicklung und gewinnt angesichts der Vielzahl religiöser, ethnischer und interkultureller Konflikte weiter an Bedeutung. Die deutsche Entwicklungspolitik trägt dieser Tatsache Rechnung und baut ihr Engagement insbesondere in den Bereichen Kreativwirtschaft, Medien und auch Sport aus. Gemeinsam mit nationalen und internationalen, bekannten wie neuen Partnern setzen wir uns dafür ein, Kultur in ihrer ganzen Bandbreite zu fördern und zu fordern. Denn sie ist die Essenz des menschlichen Daseins.


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