Unterrepräsentierte Stimmen hörbar machen

Die Kolonialismus-Debatte hat die Arbeitsweise des Goethe-Instituts verändert

 

Auch neue Methoden des Kulturaustausches werden erprobt: Zunehmend wird beispielsweise bei der Arbeit in Afrika – dies gilt analog auch in anderen Teilen der Welt – die konzeptionelle Ausarbeitung von Projekten vollständig in die Hände afrikanischer Kuratorinnen und Kuratoren gelegt. Das Goethe-Institut ist Ermöglicher und neutrale Plattform, tritt als Macher und Gestalter jedoch in den Hintergrund: Wie beim mehrjährigen Projekt „Museumsgespräche“ auf dem afrikanischen Kontinent, bei dem Museumsfachleute aus zahlreichen afrikanischen Ländern die Herausforderungen und Zukunftsvisionen afrikanischer Museen diskutierten. Oder wie bei der Konferenz „Burden of Memory“ in Kamerun Ende vergangenen Jahres. Dort entschieden die drei Kuratorinnen aus Kamerun, Südafrika und Kenia, dass Kulturschaffende aus den ehemaligen deutschen Kolonien ihre unterschiedlichen Erinnerungsansätze zunächst einmal nur unter sich diskutieren, bevor man sich mit den europäischen Partnern auseinandersetzt.

 

Nach einem ähnlichen Ansatz konzipiert ist das Folgeprojekt der Museumsgespräche „Museum Futures Africa“. Es geht darum, von der Diskussion und Analyse in konkretes Handeln zu kommen. Afrikanische Museen werden dort in einem ständigen Austausch untereinander neue Konzepte eines Museums der Zukunft entwickeln und umsetzen, die insbesondere auf den Erfahrungen vor Ort basieren sollen. Herkömmliches „Capacity Building“, wie es das Goethe-Institut mit Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen für Bibliotheken, Museen und andere Kulturakteure mit Workshops, Praktika oder einem internationalen Kulturmanagement-Studiengang mit der Leuphana-Universität betreibt, bleibt wichtig. Doch gerade das gemeinsame und gegenseitige Lernen voneinander, wie es bei „Museum Futures Africa“ geplant ist, geht in seinem stetigen Austausch und Hinterfragen von Modellen weit darüber hinaus: Es weist in die Zukunft, weil es Wissen nicht als Einbahnstraße, sondern als multiperspektivisches Lernen im Austausch aller Akteure begreift. Besonders nachhaltig sind solche neuen Konzepte dann, wenn sie nicht von außen herangetragen werden, sondern sich aus den tatsächlichen Verhältnissen im Land erschließen. Die Präsenz des Goethe-Instituts vor Ort als Begleiter von nachhaltigen Prozessen erweist sich hier als Stärke des Netzwerks der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Dem Gedanken des gemeinsamen Lernens verpflichtet ist auch die SAWA-Museumsakademie. Dort bilden die Museumsverwaltung Sharjah, die Staatlichen Museen Berlin, die Hochschule für Technik und Wirtschaft und das Goethe-Institut angehende Museums-kräfte aus der arabischen Welt und aus Deutschland nach dem Tandem-Prinzip mit Digital- und Präsenzangeboten dies- und jenseits des Mittelmeeres fort. Der Name ist Programm: „Sawa“ heißt auf Deutsch „Gemeinsam“.

 

Sich selbst zu hinterfragen ist eine wichtige Grundlage, um diese Methoden im Kulturaustausch weiterzuentwickeln. So hat das Goethe-Institut Johannesburg jüngst im Rahmen des Projekts „Power Talks“ seine Rolle öffentlich zur Diskussion gestellt. Dafür gab es viel Lob, aber auch fundamentale Kritik: Kulturaustausch sei eine Form, das schlechte Gewissen zu beruhigen und sich von Schuld reinzuwaschen. Kulturaustausch in unserem Sinne funktioniere nur, da wir die wirtschaftlichen Mittel besäßen, sinnvoller aber seien Entschädigung und Reparation für das in der Kolonialzeit verloren gegangene Erbe. Hier wurden Nuancen zwischen beiden Positionen deutlich und machten auch klar, dass eine beständige Neuverhandlung nötig ist, dass die kulturelle Emanzipation in Südafrika wie in anderen Ländern der Region ein Prozess ist, der uns lange begleiten wird und für beide Seiten viel Gesprächspotenzial birgt.

 

Sich mit der Welt auf diese Weise zu verbinden, erfordert eine neue Lernbereitschaft und eine Eigenschaft, die man auch mit dem altmodischen Wort „Demut“ bezeichnen könnte: die Fähigkeit zuzuhören, sich in die Position des anderen hineinzuversetzen und sich selbst in Frage stellen zu können. „Eine neue Ethik des Zuhörens“ hat auch die deutsch-indische Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan beim Latitude-Festival gefordert. Es erfordert gleichzeitig eine Geisteshaltung, kulturelle Differenz und Diversität als Bereicherung anzusehen, aus der sich in der Reibung und der Begegnung neue gemeinsame Perspektiven entwickeln können. All dies schafft die Grundlage, dass die eigene Position im gegenseitigen Austausch und offener Diskussion nicht nur wahrgenommen, sondern akzeptiert wird, dass gemeinsames Lernen, von dem beide Seiten profitieren, erst ermöglicht wird, und dass Vertrauen, das die Basis echter Beziehungen ist, erst entstehen und reifen kann. Dies erfordert einen Lernprozess, dem sich Institutionen wie das Goethe-Institut, die in globalen Zusammenhängen arbeiten, seit vielen Jahren aussetzen und aussetzen müssen. Diese stetige Erneuerung ist nicht frei von heiklen Momenten, Fehlgängen und unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Schließlich greift sie nicht nur in die institutionelle Kultur ein, sondern stellt auch hohe Anforderungen an die Vertreterinnen und Vertreter dieser Form des Kulturaustausches.

 

Auch für die deutsche Gesellschaft, die global eingebettet und zugleich nach innen divers ist, gibt es zu einem solchen Lernprozess keine Alternative. Dies zeigt gerade die aktuelle Rassismus-Debatte: Ausgelöst durch ein Ereignis in den USA, intensiviert sie die längst überfällige gesellschaftliche Auseinandersetzung um rassistisch motivierte Gewalt gegen deutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger wie zuletzt in Hanau und wirft die Frage von struktureller Diskriminierung der People of Colour in unserer eigenen Gesellschaft auf. Diese Diskussion ist eminent wichtig für die Zukunft unserer Demokratie. Denn diese basiert auf einem pluralistischen Aushandlungsprozess unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Positionen, der nur dann funktionieren kann, wenn die Stimmen aller dieser Akteure gleichwertig sind und gehört werden. Gerade in einem Einwanderungsland wie Deutschland, das auch in Zukunft auf Zuwanderung angewiesen sein wird, um seinen wirtschaftlichen Wohlstand und seine sozialen Errungenschaften zu erhalten, müssen sich Bürgerinnen und Bürger ganz unterschiedlicher Herkunft für eine gemeinsame Zukunft zusammenfinden. Sie müssen dabei das Recht und die Möglichkeit haben, ihre Interessen und Ansprüche gleichberechtigt zu äußern und offen und empathisch gehört zu werden. Auch dies erfordert einen Lernprozess des Zuhörens, des sich in den anderen Hineinversetzens, des Sich-selbst-in-Frage-Stellens. Deshalb geht es heute auch darum, Lerngemeinschafen der Welt zu erneuern und gemeinsames kulturelles Lernen voranzubringen. Das Goethe-Institut kann mit seiner Expertise aus dem globalen Kulturaustausch und vor dem Hintergrund der eigenen historischen Lernprozesse seinen Beitrag dazu leisten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

Johannes Ebert
Johannes Ebert ist Generalsekretär des Goethe-Instituts.
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