Die Ausbreitung des Christentums

Zur Entstehung von Missionsgesellschaften

 

Unter den bedeutenden deutschsprachigen evangelischen Missionsgesellschaften des 19. Jahrhunderts hatte die älteste zwar ihre Mitglieder vorwiegend in Württemberg, ihre Zentrale aber außerhalb von Deutschland: die Basler Mission, gegründet 1815. In der Schweizer Handelsmetropole war das gesellschaftliche Klima gegenüber einer solchen weltweiten Aktivität offener. In den folgenden Jahrzehnten entstand eine ganze Reihe von Missionsgesellschaften mit Sitz in unterschiedlichen deutschen Territorien. Ihre privaten Trägervereine unterschieden sich hinsichtlich der gesellschaftlichen Milieus, aus denen sie ihre Mitglieder und auch ihre Missionare rekrutierten. Die Hermannsburger Mission (1849) in der Lüneburger Heide oder die Neuendettelsauer Mission (1853) in Mittelfranken hatten ein bäuerliches Umfeld, die Gossner Mission (1836) in Berlin sprach vor allem ein handwerkliches Milieu an, während die Berliner Mission (1824) von frommen Bildungsbürgern unterstützt wurde.

 

Aus dem Bereich des deutschen Katholizismus ging einer der wichtigsten katholischen Missionsorden hervor, die Societas Verbi Divini (SVD), gegründet 1875. Auch in diesem Fall verhinderten Spannungen mit der preußischen Monarchie die Gründung in Deutschland, weshalb das Ordenszentrum in das niederländische Steyl verlegt wurde. Erst nach dem Ende des Kaiserreiches konnte 1919 in St. Augustin ein deutsches Ordenszentrum gegründet werden.

 

Von ihren Entstehungsbedingungen her stand keine der genannten Gesellschaften in einem Zusammenhang mit deutscher Kolonialherrschaft oder auch nur in der Gunst der jeweiligen deutschen Territorialfürsten. Als nach der Wiederbegründung des Deutschen Kaiserreiches der Erwerb von deutschen Kolonien zunächst diskutiert und dann verwirklicht wurde, verteilten sich die Akteure der bereits bestehenden deutschen Missionsgesellschaften auf das gesamte Spektrum möglicher Positionen von strikter Ablehnung bis zu eindeutiger Befürwortung.

 

So war beispielsweise die Neuendettelsauer Mission gegenüber der Errichtung deutscher Kolonialherrschaft in ihrem bereits bestehenden Missionsgebiet Neuguinea überwiegend kritisch eingestellt, während die Leitung der Rheinischen Mission sich von einer deutschen Kolonialherrschaft im heutigen Namibia Vorteile versprach und diese unterstützte.

 

Das Grundproblem einer Verstrickung deutscher Missionsgesellschaften in den Kolonialismus besteht in einer auch unter Missionaren weitverbreiteten Überzeugung, dass die europäische Zivilisation anderen Kulturen überlegen sei und deshalb gemeinsam mit dem Christentum verbreitet werden müsse. Nur eine Minderheit von Missionaren hatte genug Weitblick, sich dem Weltbild europäischer Überlegenheit klar entgegenzustellen; die Mehrheit nahm teil an einem kolonialen Lebensstil und profitierte von den Privilegien, die Europäer in Kolonialgebieten genossen.

 

Die Last der kolonialen Vergangenheit wurde seit den 1950er Jahren in der weltweiten Missionsbewegung kritisch aufgearbeitet. Als Konsequenz daraus wurde in Deutschland ein Teil der evangelischen Missionsgesellschaften umgeformt in Organisationen der zwischenkirchlichen Partnerschaft, in denen die wechselseitigen Beziehungen zwischen Kirchen in Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa gepflegt werden.

 

Die Vereinte Evangelische Mission in Wuppertal und die Evangelische Mission in Solidarität in Stuttgart haben dabei eine gleichberechtigte Beteiligung der Mitgliedskirchen auch an der Organisationsform hergestellt, während beispielsweise Mission Eine Welt in Neuendettelsau oder das Berliner Missionswerk als Nachfolgeorganisationen ehemaliger Missionsgesellschaften kirchliche Werke geworden sind, in denen die Partnerschaftsbeziehungen in alle Welt von Deutschland aus gestaltet werden.

 

Das Evangelische Missionswerk (EMW) in Hamburg ist ein 1975 gegründeter Dachverband sowohl von kirchlichen Werken wie den eben genannten
als auch von Missionsvereinen, die weiterhin privatrechtlich organisiert sind.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019.

Andreas Feldtkeller
Andreas Feldtkeller ist Professor für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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