Weltkultur & postkoloniale Kritik

Das Humboldt Forum im Zentrum deutscher Identitätsdiskurse

Denn um ein ethnologisches Museum handelt es sich beim Humboldt Forum in wesentlichen Teilen. Das ist klar seit der fatalen Entscheidung, die Objekte des Asiatischen und des Ethnologischen Museums mit seiner afrikanischen Kunst in Berlin-Mitte auszustellen, die europäische Ethnologie aber in Dahlem zu belassen. Man kreierte damit, allen anderslautenden Vereinbarungen zum Trotz, ein Ausstellungshaus für nicht-europäische Objekte, auch wenn man sie nun als Kunst deklariert und nicht mehr wie zu Entstehungszeiten des Ethnologischen Museums als Ritual- oder Alltagsgegenstände, die bestenfalls Kunsthandwerk waren. Damit sind sie auch weiterhin exotisiert, haben keinen Platz in den benachbarten Häusern mit der europäischen oder als europäisch empfundenen Kultur.

 

Das ist Teil der kolonialen Erblast des Humboldt Forums und betrifft neben der Präsentation auch die Herkunft der Objekte. Worauf Kritiker seit Jahren hinweisen, dass nämlich die Provenienz des größten Teils der Sammlungen des Ethnologischen Museums nicht zweifelsfrei geklärt ist und ein Unrechtskontext zumindest vermutet werden muss, hat seit diesem Sommer endlich auch die breitere Öffentlichkeit und selbst die Politik erreicht. So erklärte im September etwa Kulturstaatsministerin Monika Grütters, dass nun die Frage der Provenienz kolonialer Objekte ein gesellschaftliches Thema geworden sei, nachdem man sich um das Thema Kolonialismus „lange nur wenig gekümmert“ habe.

 

Zwar verkaufte sie das Defizit in der Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe nun geschickt als Leistung des Humboldt Forums. Eine Antwort auf die Frage, warum man sich so lange nicht mit Kolonialismus beschäftigte, bleibt sie aber schuldig. Dabei verweist dies auf das Kernproblem des Humboldt Forums. Den Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und Medien war der koloniale Kern des Humboldt Forums schlicht nicht bewusst.

 

Die allerorten immer noch zu spürende koloniale Amnesie machte auch vor den Machern des wichtigsten Projektes deutscher Kulturpolitik nicht halt. Und hier ist nicht nur und nicht einmal an erster Stelle die Frage nach dem Erwerbungskontext der kolonialen Sammlungen gemeint, auch wenn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bis heute nicht einmal beziffern kann oder will, wie viele seiner Objekte überhaupt einer Provenienzforschung unterzogen wurden und in den nächsten Jahren werden.

 

Allein, Provenienzforschung ist nur ein Teilprojekt und zwar ein lösbares. Alles, was es braucht, ist Geld, um diese Forschungen zu betreiben, und den politischen Willen, die Ergebnisse auch öffentlich bekannt zu machen und mit den Nachkommen der ursprünglichen Geber (-gesellschaften) in einen offenen und vorurteilslosen Dialog über die Zukunft der Objekte einzutreten, einschließlich der Fragen nach Restitution.
Wichtiger ist die inhaltliche Dekolonialisierung des Museums und dies setzt voraus, dass man sich insbesondere auch der Rolle der Sammlungen und Museen bei der Produktion des eurozentrischen Blicks, bei der Entstehung von Stereotypisierungen und Rassismen stellt. Der Logik des Sammelns und Ausstellens ganzer „Kulturen“ war die Reduktion komplexer gesellschaftlicher und kultureller Strukturen inhärent.

 

„Kulturen“ wurden über den Erwerb der Objekte auf einige wenige materielle Hinterlassenschaften reduziert und dabei homogenisiert. Ein Topf, ein Kultobjekt, ein Thron repräsentierten so eine ganze „Kultur“. Unterschiede innerhalb der präsentierten Gruppe wurden glattgeschliffen. Gleichzeitig hob man Differenzen zu den Betrachtenden hervor, denn schließlich wollte in Europa niemand im Völkerkundemuseum (Alltags-) Gegenstände sehen, die man aus dem eigenen täglichen Leben kannte. Eine Betonung des Andersartigen, des Fremden war die Konsequenz. Hierarchisierungen folgten. Indem die Prozesse dieser binären Weltaneignung mit ihren Auswirkungen bis heute thematisiert würden, könnte das Humboldt Forum seiner Bedeutung und der damit verbundenen enormen Kosten gerecht werden.

 

Diese Rolle steht jedoch im erklärten Widerspruch zur Absicht, über das Humboldt Forum eine neue alte Meistererzählung von der deutschen Geschichte als der Geschichte der Dichter und Denker zu etablieren, der Kultur- und Wissenschaftsnation, die ihr dunkles Kapitel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwunden hat, ja nicht darauf reduziert werden darf.

 

Horst Bredekamp, Kunsthistoriker und einer der Gründungsintendanten des Humboldt Forums sah in der Betonung der kolonialen Kontinuitäten der Völkerkunde (-museen) „eine späte Wiederauferstehung“ des Diktums „Von Luther zu Hitler“um die großen Fragen der deutschen Geschichte und deutschen Identität gestellt, geschweige denn so eindeutig positioniert.

 

Es scheint, das Humboldt Forum und das Stadtschloss sollten die deutsche Geschichte seit der Wiedervereinigung an die große, vermeintlich unkontaminierte Geschichte des langen 19. Jahrhunderts rückbinden. Das erklärte die heftigen Reaktionen auf die postkoloniale Kritik, die auf das Gegenteil verweist: Die Geschichte von Rassismus, Ungleichheit und Ausbeutung ist tief verwurzelt in der Geschichte und belastet das Humboldt Forum.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 01/2018 erschienen.

Jürgen Zimmerer
Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte mit Schwerpunkt auf Afrika an der Universität Hamburg und Leiter der dortigen Forschungsstelle "Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die (frühe) Globalisierung".
Vorheriger ArtikelRaum für Partizipation und Weltdenken
Nächster ArtikelEin Plädoyer für Inklusion