Ein Plädoyer für Inklusion

Die Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ in Berlin

Bis zur Einrichtung des Humboldt Forums zeigt die Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ herausragende Kunstwerke Afrikas aus dem Ethnologischen Museum in der einzigartigen europäischen Skulpturensammlung im Bode-Museum. In den zwei Hauptetagen werden Skulpturen beider Kontinente punktuell gegenübergestellt.

 

Durch diese experimentellen Gegenüberstellungen werden mögliche Zusammenhänge auf verschiedenen Ebenen thematisiert, etwa historische Zeitgenossenschaft, ikonografische und technische Gemeinsamkeiten oder künstlerische Strategien. Besonders bemerkenswert sind Übereinstimmungen in der Funktion der Kunstwerke trotz unterschiedlicher Formensprachen: Kraftfiguren aus dem Kongo dienten zum Schutz von Dörfern und Gemeinden – ähnlich wie gotische Darstellungen der Schutzmantelmadonna. Allerdings machen Vergleiche auch Unterschiede deutlich, wie im Fall von Mutter-Kind-Darstellungen, die sich in Afrika und Europa verschiedener Bildsprachen bedienen und damit andere Aussagen treffen.

 

Die Ausstellung wirft mehrere Fragen auf: Welche Erkenntnisse werden durch die gemeinsame Präsentation von Kunstwerken mit unterschiedlichen Geschichten gewonnen? Warum wurden die einen Objekte als ethnologische Gegenstände und die anderen als Kunstwerke klassifiziert? Der implizite Prozess des Vergleichens, Trennens und Zuordnens in Abgrenzung zu anderen Sammlungen war einst ein fundamentaler Schritt in der Gründung der Berliner Museen und der Definition der Sammlungsaufträge. Im Sonderausstellungsraum des Bode-Museums unter der Basilika sind sechs große Objektgruppen zu sehen, in denen afrikanische und europäische Werke im Hinblick auf einzelne Themen präsentiert werden. Unter dem Titel „Die ‚Anderen‘“ ist die erste Sektion der Frage gewidmet, wie Afrikaner und Europäer jeweils des Anderen „Andere“ wurden und welche Vorurteile dabei eine Rolle spielten. Historisch betrachtet tendierten Europäer dazu, Afrikaner als potenzielle Sklaven und als irrational darzustellen, während Afrikaner Europäer oft als gewalttätig und bedrohlich abbildeten.

 

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Bandbreite ästhetischer Herangehensweisen in der afrikanischen Skulptur, von einer äußerst naturalistischen Wiedergabe – so überzeugend, dass europäische Kritiker sie für zu perfekt hielten, als dass sie von afrikanischen Künstlern hätte geschaffen werden können – bis hin zu leidenschaftlich ausdrucksstarken Skulpturen, die das europäische Verständnis von Nachahmung auf die Probe stellen. Schnitzereien aus Süddeutschland und aus der Demokratischen Republik Kongo entfalten jeweils ein Panorama von Stilen aus der gleichen Periode und Region.

 

Die soziale Konstruktion der Person und von Geschlechterkategorien ist Thema des dritten Abschnitts „Gender“. Skulpturen aus Afrika und aus Europa zeigen, wie fluide diese Kategorien in der Kunst dargestellt werden und wie sie damit die Vorstellung eines eindeutig männlichen oder weiblichen „autonomen Individuums“ infrage stellen.

 

Die vierte Sektion „Schutz und Anleitung“ geht der Frage nach, wie Kunstwerke den universellen Wunsch nach Sicherheit und dem Verständnis der Welt ausdrücken. Mittelalterliche Reliquienbüsten und „minkisi“, sogenannte Kraftfiguren, aus der umfassenderen Region des früheren Königreichs Kongo werden zusammen gezeigt, denn bereits Ende des 15. Jahrhunderts hatte das Königreich das Christentum in eigener Ausprägung als Staatsreligion angenommen, was die Aneignung von Formelementen der christlichen Kunst in den fortbestehenden, eigenen religiösen Praktiken zur Folge hatte.

 

Der fünfte Abschnitt „Performance“ beschäftigt sich damit, wie fremd die Umwelt des Museums eigentlich für liturgische Objekte aus Europa wie auch für afrikanische Masken und andere Kunstwerke ist, die dazu gedacht waren, in Bewegung und als Teil einer Aktion wahrgenommen zu werden. Eine Erkenntnis der letzten Sektion unter dem Titel „Abschied“ ist, dass in mehreren afrikanischen Gesellschaften die Verstorbenen aktive Teilnehmer in der Welt der Lebenden bleiben, während in Europa der Tod eines Menschen von Trauer – und Gedenken – begleitet wird.

 

Jede der 22 Gegenüberstellungen in der ständigen Ausstellung des Bode-Museums bezieht sich auf eine Gemeinsamkeit oder einen Unterschied zwischen zwei Werken. Einige greifen Fragen auf, die bereits in den sechs thematischen Sektionen angesprochen wurden. Andere, wie zwei Statuetten, die aus jeweils zwei mit dem Rücken zueinanderstehenden Figuren gebildet sind, verdeutlichen, dass die dem europäischen Mittelalter vertraute Dichotomie von Gut und Böse in vielen afrikanischen Gesellschaften wenig Bedeutung hat. In ihrem Fall ist stattdessen das Konzept der Komplementarität wichtiger. Wie Hans Leinbergers „Christus auf der Rast“ hat auch der mythische Chokwe-Held Chibinda Ilunga mehr erreicht, als ein Mensch vermocht hätte; der Vergleich mit dem von menschlichen Anstrengungen scheinbar unberührten herkulischen Chibinda hebt die im Gegensatz dazu exzessive Schilderung der Leiden Christi hervor. Manches, das auf den ersten Blick nur als formale Analogie erscheint, zeigt auf den zweiten Blick doch substanzielle und konzeptionelle Übereinstimmungen auf mehreren Ebenen, wobei sich visuelle Strategien, Betrachterstandpunkte und Inhalte überlagern.

Julien Chapuis, Jonathan Fine & Paola Ivanov
Julien Chapuis ist Leiter der Skulpturensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst. Jonathan Fine und Paola Ivanov sind Kuratoren der Afrika-Sammlungen im Ethnologischen Museum
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