Jürgen Zimmerer - 21. Dezember 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Humboldt Forum

Weltkultur & postkoloniale Kritik


Das Humboldt Forum im Zentrum deutscher Identitätsdiskurse

Das Humboldt Forum ist ohne Zweifel das bedeutendste kulturpolitische Projekt Deutschlands seit der Wiedervereinigung. Nicht nur füllt es sprichwörtlich die Mitte Berlins, wo es den auf die Geschichte der DDR verweisenden Palast der Republik verdrängte und ersetzt, sondern es symbolisiert auch den erneuten Anspruch Deutschlands auf Weltgeltung, zumindest auf dem Gebiet von Kultur und Wissenschaft.

 

Während jedoch etwa der Bau des Kanzleramtes durch eine rhetorische Strategie der Beschwichtigung in seiner wuchtigen Wirkung eingefangen wurde, ist beim Humboldt Forum das Gegenteil zu beobachten. Nichts Geringeres als Weltkultur soll darin zu sehen sein, ein Forum entstehen für die großen Debatten der Zeit.

 

Eine derartige Agora, ein Platz für den Austausch von Ideen und Konzepten über alle nationalen, politischen und kulturellen Grenzziehungen hinweg, ist angesichts der Krisen und Herausforderungen der Gegenwart unzweifelhaft notwendig. Damit dies auf moderne, zeitgemäße Weise geschehen kann, muss der Raum dazu entsprechend gestaltet werden und damit ist nicht nur das Gebäude gemeint, sondern auch der geistige Rahmen, die intellektuellen Prämissen, unter denen dies geschieht, denn beides steht in historischen Traditionen, mit denen es umzugehen gilt. Angesichts der bisher erkennbaren Ideen und dem Verlauf der bisherigen Diskurse sind erhebliche Zweifel angebracht, ob dies in Berlin gelingt, zumal sich das beim Humboldt Forum besonders schwierig gestaltet, da vorgelagerte Entscheidungen eine schwere Hypothek für das Vorhaben darstellen.

 

Da ist zuerst das Gebäude zu nennen. Es handelt sich um das wieder aufgebaute Stadtschloss der Hohenzollerndynastie, welche Preußen über Jahrhunderte regierte. 1945 von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges aufgelöst, fällt es schwer im Aufbau nicht auch oder sogar im Wesentlichen den Versuch einer zumindest teilweisen Preußenrehabilitation zu sehen, bei gleichzeitiger baulicher Auslöschung der deutschen Geschichte seit dem Ende der Monarchie.

 

Sicherlich kann man über die Rolle Preußens durchaus geteilter Meinung sein, als Folie und Gehäuse für ein der Weltkultur verpflichtetes Museum und Diskussionsforum ist es jedoch denkbar ungeeignet. Gerade Preußen stand für Expansion und Ausbreitung des eigenen Staates und der eigenen Philosophie und nicht für das gleichberechtigte Miteinander aller Ideen und Kulturen. Man denke nur an die Aussagen des borussischen Hausphilosophen Georg Friedrich Hegel über Afrika, dem er jede Geschichtsfähigkeit absprach, nur weil es keine Staatenbildung nach preußisch-europäischem Vorbild aufwies.

 

Nun mag man einwenden, dies sei ein Zerrbild Preußens, es sei auch ein Hort der Aufklärung gewesen und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit und Vermessung der Welt, wofür beispielsweise der Name Humboldt stünde. Das ist richtig und falsch zugleich. Richtig, da es diese wissenschaftlichen und philosophischen Arbeiten gegeben hat. Falsch, da diese Bewertung ihrerseits auf einer beschränkten und provinziellen, eurozentrischen Weltsicht beruht, die sowohl die begrenzte Geltung etwa der aufklärerischen Werte in der realen Welt der Kolonien und der Sklaverei ausblendet, als auch die Frage ignoriert, welche Rolle Wissenschaft bei der europäischen Unterwerfung der Welt eigentlich spielte. Griffe das Humboldt Forum dies auf, thematisierte es diese Mechanismen von Wissen und Herrschaft und ihrer Bedeutung im Prozess der europäischen Unterwerfung der Welt, statt sich affirmativ auf die vermeintlichen preußisch-deutschen Leistungen zurückzuziehen, wäre ein wichtiger Schritt zu einem erfolgreichen Humboldt Forum getan, das koloniale und eurozentrische Positionen hinterfragt, statt sie zu bestätigen. Allein, derzeit deutet nichts darauf hin, dass den Machern die Problematik eines epistemologischen Postkolonialismus überhaupt nur bewusst ist.

 

Im Gegenteil, die an sich marginale und beinahe lächerliche Debatte um das goldene Kuppelkreuz ist vielmehr Beleg dafür, dass nach wie vor die Kräfte einer Preußennostalgie die stärkeren sind und dieser postkoloniale Perspektiven untergeordnet werden, soweit diese überhaupt bekannt sind. Denn mag man ein Kreuz als Zeichen von Thron und Altar auf einem x-beliebigen Schloss als historisches Ornament ohne größere Bedeutung für die Gegenwart finden, so ist ein Kreuz auf einem europäischen ethnologischen Museum, noch dazu ein neu aufgestelltes, völlig unpassend. Es widerspricht schon symbolisch der apostrophierten Gleichheit aller Kulturen und schlägt den Bogen zur kolonialen Frühphase der völkerkundlichen Museen. Es ist eine Zumutung über einem Museum, dessen historischer Vorläufer in enger Symbiose mit einem kolonialen Ausgreifen über die Welt stand, das zu nicht geringen Teilen christliche Ideologeme zur Rechtfertigung benutzte, Zwangsmissionierung und Zwangsmodernisierung betrieb und in der Missionare mit zu den eifrigsten „Sammlern“ ethnographischer Objekte gehörten.

Denn um ein ethnologisches Museum handelt es sich beim Humboldt Forum in wesentlichen Teilen. Das ist klar seit der fatalen Entscheidung, die Objekte des Asiatischen und des Ethnologischen Museums mit seiner afrikanischen Kunst in Berlin-Mitte auszustellen, die europäische Ethnologie aber in Dahlem zu belassen. Man kreierte damit, allen anderslautenden Vereinbarungen zum Trotz, ein Ausstellungshaus für nicht-europäische Objekte, auch wenn man sie nun als Kunst deklariert und nicht mehr wie zu Entstehungszeiten des Ethnologischen Museums als Ritual- oder Alltagsgegenstände, die bestenfalls Kunsthandwerk waren. Damit sind sie auch weiterhin exotisiert, haben keinen Platz in den benachbarten Häusern mit der europäischen oder als europäisch empfundenen Kultur.

 

Das ist Teil der kolonialen Erblast des Humboldt Forums und betrifft neben der Präsentation auch die Herkunft der Objekte. Worauf Kritiker seit Jahren hinweisen, dass nämlich die Provenienz des größten Teils der Sammlungen des Ethnologischen Museums nicht zweifelsfrei geklärt ist und ein Unrechtskontext zumindest vermutet werden muss, hat seit diesem Sommer endlich auch die breitere Öffentlichkeit und selbst die Politik erreicht. So erklärte im September etwa Kulturstaatsministerin Monika Grütters, dass nun die Frage der Provenienz kolonialer Objekte ein gesellschaftliches Thema geworden sei, nachdem man sich um das Thema Kolonialismus „lange nur wenig gekümmert“ habe.

 

Zwar verkaufte sie das Defizit in der Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe nun geschickt als Leistung des Humboldt Forums. Eine Antwort auf die Frage, warum man sich so lange nicht mit Kolonialismus beschäftigte, bleibt sie aber schuldig. Dabei verweist dies auf das Kernproblem des Humboldt Forums. Den Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und Medien war der koloniale Kern des Humboldt Forums schlicht nicht bewusst.

 

Die allerorten immer noch zu spürende koloniale Amnesie machte auch vor den Machern des wichtigsten Projektes deutscher Kulturpolitik nicht halt. Und hier ist nicht nur und nicht einmal an erster Stelle die Frage nach dem Erwerbungskontext der kolonialen Sammlungen gemeint, auch wenn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bis heute nicht einmal beziffern kann oder will, wie viele seiner Objekte überhaupt einer Provenienzforschung unterzogen wurden und in den nächsten Jahren werden.

 

Allein, Provenienzforschung ist nur ein Teilprojekt und zwar ein lösbares. Alles, was es braucht, ist Geld, um diese Forschungen zu betreiben, und den politischen Willen, die Ergebnisse auch öffentlich bekannt zu machen und mit den Nachkommen der ursprünglichen Geber (-gesellschaften) in einen offenen und vorurteilslosen Dialog über die Zukunft der Objekte einzutreten, einschließlich der Fragen nach Restitution.
Wichtiger ist die inhaltliche Dekolonialisierung des Museums und dies setzt voraus, dass man sich insbesondere auch der Rolle der Sammlungen und Museen bei der Produktion des eurozentrischen Blicks, bei der Entstehung von Stereotypisierungen und Rassismen stellt. Der Logik des Sammelns und Ausstellens ganzer „Kulturen“ war die Reduktion komplexer gesellschaftlicher und kultureller Strukturen inhärent.

 

„Kulturen“ wurden über den Erwerb der Objekte auf einige wenige materielle Hinterlassenschaften reduziert und dabei homogenisiert. Ein Topf, ein Kultobjekt, ein Thron repräsentierten so eine ganze „Kultur“. Unterschiede innerhalb der präsentierten Gruppe wurden glattgeschliffen. Gleichzeitig hob man Differenzen zu den Betrachtenden hervor, denn schließlich wollte in Europa niemand im Völkerkundemuseum (Alltags-) Gegenstände sehen, die man aus dem eigenen täglichen Leben kannte. Eine Betonung des Andersartigen, des Fremden war die Konsequenz. Hierarchisierungen folgten. Indem die Prozesse dieser binären Weltaneignung mit ihren Auswirkungen bis heute thematisiert würden, könnte das Humboldt Forum seiner Bedeutung und der damit verbundenen enormen Kosten gerecht werden.

 

Diese Rolle steht jedoch im erklärten Widerspruch zur Absicht, über das Humboldt Forum eine neue alte Meistererzählung von der deutschen Geschichte als der Geschichte der Dichter und Denker zu etablieren, der Kultur- und Wissenschaftsnation, die ihr dunkles Kapitel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwunden hat, ja nicht darauf reduziert werden darf.

 

Horst Bredekamp, Kunsthistoriker und einer der Gründungsintendanten des Humboldt Forums sah in der Betonung der kolonialen Kontinuitäten der Völkerkunde (-museen) „eine späte Wiederauferstehung“ des Diktums „Von Luther zu Hitler“um die großen Fragen der deutschen Geschichte und deutschen Identität gestellt, geschweige denn so eindeutig positioniert.

 

Es scheint, das Humboldt Forum und das Stadtschloss sollten die deutsche Geschichte seit der Wiedervereinigung an die große, vermeintlich unkontaminierte Geschichte des langen 19. Jahrhunderts rückbinden. Das erklärte die heftigen Reaktionen auf die postkoloniale Kritik, die auf das Gegenteil verweist: Die Geschichte von Rassismus, Ungleichheit und Ausbeutung ist tief verwurzelt in der Geschichte und belastet das Humboldt Forum.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 01/2018 erschienen.


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