Raum für Partizipation und Weltdenken

Die Berlin-Ausstellung im Humboldt Forum

Partizipation findet nicht nur in der Ausstellung und im Schloss statt, sondern auch im Digitalen – auf der Webseite, in den sozialen Medien. Wie soll das genau aussehen und wie wird es die Ausstellung voranbringen?
Die Ausstellung wird Verbindungen mit dem haben, was im Netz passiert. Man kann, als digitale Methode, Umfragen schalten und die Resultate gleich zeigen. So erreichen wir weltweit Interessenten, die sich mit den Themen, die das Humboldt Forum setzt, auseinandersetzen. Mein Traum ist, dass es uns gelingt, am Ende des Rundgangs, sei es durch eine Umfrage oder ähnliches, eine Verbindung zwischen unterschiedlichen Besuchern aus der ganzen Welt herzustellen. Und die stellen dann trotz ihrer Unterschiedlichkeit fest: „Wir haben ein gemeinsames Interesse – vielleicht sollten wir ins Gespräch kommen“. Das Humboldt Forum ist für mich ein möglicher Katalysator von Weltbürgerschaft. Ich hoffe aber auch, dass das Humboldt Forum in der Lage ist, zu experimentieren, wie man Leute, die Angst vor Globalität haben, mit Weltkultur in Verbindung bringen, Begegnungen für sie organisieren und ihnen diese Angst ein bisschen nehmen kann. Damit langsam klar wird, Diversität ist keine Bedrohung.

Eine Ebene höher betrachtet: Wieso ist gerade für diese Ausstellung Partizipation so grundlegend? Und ist sie die Zukunft der Museen?

Sehr gute Frage! Meine Antwort kennen Sie bestimmt schon: Ja, Partizipation ist die Zukunft! Aber gehen wir nochmal einen Schritt zurück, denn eigentlich ist Partizipation auch die Geschichte der Museen. Im 19. Jahrhundert wurde das Museum geschaffen, weil man ein kritisches, hochgebildetes Bürgertum schaffen wollte, dem so viele Leute wie möglich angehören. Es war eine Demokratisierungsbewegung. Das Museum versuchte, für alle da zu sein, schaffte es aber nicht immer. Aber es musste zumindest für alle erreichbar sein; es musste einen leichten Einstieg geben. Diese Kunst hat das Museum ein bisschen verloren. Nachdem ich den Job als Chef-Kurator angenommen habe, hat mich Gründungsintendant Neil MacGregor bei unserem ersten Telefonat gefragt: „How do we get the people from Neukölln to the Humboldt Forum?“ Noch immer ist diese Frage für mich zentral. Neukölln und das Humboldt Forum sind Symbole. Es geht nicht um Gebäude, es geht um das Institut, die Mentalität, den Outreach. Und das gilt für alle Museen. Museen müssen aufhören, ein Gebäude mit vier Wänden, einer Tür und Kasse zu sein, sie müssen auch draußen anwesend sein, die Leute vor Ort mit ihrer Kunst, Geschichte und Kultur ansprechen. Dieses grundsätzliche Interesse an den Menschen und der Vermittlung ihrer Geschichten – das ist für mich das Museum. Kunst und Kultur sind nicht für eine exklusive Gruppe. Es soll nicht nur bestimmte Leute geben, die das Museum als Akademiker betreiben und nur ihre Idee verwirklichen. Die Zukunft der Museen ist wie Technik und Social Media – sie sind für alle da. Zumindest sollte es das Angebot sein. Es wird nicht von allen benutzt. Aber es soll so offen und niedrigschwellig sein, dass sich theoretisch alle eingeladen fühlen und ein Teil davon sein können. Das ist eine Zukunft, die wir noch nicht erreicht haben. Eine Mentalitätsumkehrung muss stattfinden. Das ist experimentell, daher wird auch das Humboldt Forum ein Riesenexperiment, d. h. Trial and Error. Hoffentlich wird ein Error dann nicht so aufgefasst: „Ihr könnt es nicht“.

 

Was erwarten Sie sich von der Eröffnung des Humboldt Forums und was wünschen Sie sich für dessen Zukunft?
Von der Eröffnung erwarte ich mir, dass die Leute sich das Gebäude, die Institution und die Angebote auf eine angenehme Weise aneignen. Es soll kein Staats-, Landes- oder Museumseigentum sein, sondern ein Palazzo del Popolo. Ich hoffe auch, dass das Angebot so reich ist, dass die Leute denken: »Hier gibt es aber viel zu tun und zu sehen. Das schaffe ich nicht mit einem Besuch.« Ich erwarte auch, dass eine Ausstellung über Berlin von Anfang an sehr viele Touristen anzieht. Diese Ausstellung können sie dann auch in einer Dreiviertelstunde bewältigen. Unser großer Vorteil ist, dass man da vielleicht noch ein bisschen Energie für mehr hat – z. B. um im Humboldt Forum nach oben zu gehen. Ich erwarte also vom Humboldt Forum, dass es ein populärer, vielbenutzter Ort ist – sowohl von Touristen als auch Berlinern. Es gibt diese unterschiedlichen Atmosphären, denn es soll keine einheitliche, sondern eine differenzierte Erfahrung sein. Das Humboldt Forum ist ein Knoten in einem Netz, in dem unterschiedlichste Dinge zusammenkommen. Was ich mir für die Zukunft erhoffe, ist, dass es gelingt, das Humboldt Forum als dauerhaften Begegnungsort zu etablieren. Das birgt auch Gefahr in sich. Denn wenn man für alle offen sein will, muss man auch für alle da sein. Und das ist manchmal schwierig. Weil nicht alle mit angenehmen Erzählungen oder mit Positivismus kommen. In Zukunft möchte ich auch den Namensgebern, den Brüdern Humboldt, gerecht werden. Alexander war einer der ersten Antirassisten und Antikolonialisten. Er hat die Welt als Ganzes gesehen. Und Wilhelm hat es auf seine Art und Weise genauso gemacht. Sie waren unwahrscheinlich moderne Menschen. Daher wollen und sollten wir im Humboldt Forum Raum für sogenanntes Weltdenken bereithalten.

 

Vielen Dank.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2017.

Paul Spies und Theresa Brüheim
Paul Spies ist Direktor des Stadtmuseums Berlin und Chef-Kurator des Landes Berlin im Humboldt Forum. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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