„Dieses Buch ist eine Streitschrift“

Hans Jessen im Gespräch mit Götz Aly über sein Buch „Das Prachtboot“

Ihr Buch wirft ein hartes Schlaglicht auf die historischen Bedingungen, unter denen das Boot 1904 dann nach Berlin kam. Jetzt ist es hier – und ein einmaliges kulturell-historisches Zeugnis. Es soll eine herausragende Rolle im Humboldt Forum spielen. Was müssten zukünftige Besucher über dieses Boot und seine Geschichte wissen?

Nach meiner Erinnerung an den früheren Standort in Dahlem war die Dokumentation damals miserabel. Man müsste klarmachen, was „Weltkulturerbe“ am Beispiel dieses Bootes bedeutet. Man konnte damit Hunderte Kilometer weit über das offene Meer segeln. Das Boot konnte kentern, und die Besatzung konnte es wieder aufrichten – hochmodern. Das muss man herausarbeiten.

Neben dieser Verneigung vor dem Weltkulturerbe wäre es notwendig, den kolonialgeschichtlichen Hintergrund genau, ohne jedes Ausweichen ins Ungefähre darzustellen: die militärische und die ökonomisch motivierte Gewalt. Wie ist die von Europa ausgehende Zerstörung dieser Welt vonstattengegangen? Das lässt sich am Beispiel des Luf-Bootes exemplarisch zeigen.

Wir sollten sagen: Wir haben alles hier ­– und nun reden wir darüber. Das Humboldt Forum müsste sich als Ort eines offenen Prozesses verstehen. Wie und wann dieser endet, das lässt sich nicht vorhersagen. Auf der Seite des Ethnologischen Museums bedeutet das zuallererst, die Inventare zu veröffentlichen, nicht als Faksimile in altdeutscher Schrift, sondern übertragen in moderne, lesbare Typografie. Das lässt sich schnell machen, genauso wie eine Übersetzung der Verzeichnisse ins Englische – sie müssen international verstanden werden können.

Wir sollten uns endlich ehrlich machen. Zum Beispiel taucht in den bislang bruchstückhaften Online-Dokumentationen des Ethnologischen Museums „SMS-Hyäne – Expedition“ als „Sammlerin“ auf. Wenn man stattdessen schreiben würde „Kanonenboot Hyäne – Strafexpedition“ klänge die Information schon sehr anders. Oder, wie bei den Benin-Bronzen steht auch bei Südsee-Objekten oft „Sammlerin Webster“. „Webster“ war der Name eines Londoner Auktionshauses, dem britische Soldaten, Kaufleute und Abenteurer Objekte aus Plünderungen und Raubzügen anlieferten, die dann auf dem Weltmarkt verscherbelt wurden. Auch da ließe sich spielend einfach – mit einem schlichten Korrekturbefehl am Rechner – Klarheit herstellen. Ich bin gespannt, wann das endlich geschieht.

 

Sollte Ihres Erachtens eine Politik genereller Restitution, möglichst rascher und kompletter Rückgabe eingeleitet werden, weil so viele dieser Objekte unter faktischem Raubkunstverdacht stehen?

Nein – nicht generell, nicht uninformiert, nicht überstürzt. Oft weiß man nicht, wem was einst gehörte. Wichtig erscheint mir eine Position der Offenheit. Objektiv ist es doch so, dass die Artefakte gerettet sind, in dem Sinne, dass sie nicht vernichtet, sondern bewahrt wurden. Ich halte es für richtig, die so lange vermiedenen Dialoge mit Politikern, Museumsleuten, Historikern, gesellschaftlichen Interessengruppen aus den Staaten zu beginnen, die einst europäische Kolonien waren. Vorher sollte die deutsche Seite erklären, dass sie sich nicht als Eigentümerin versteht, sondern als Treuhänderin, die alle verfügbaren Informationen offenlegt. Für das Prachtboot von der Insel Luf bedeutet das: Wir wissen heute nicht, wann und in welcher Weise Vertreter und Bürger des Staates Papua-Neuguinea sich dazu äußern werden. Das kann Jahre dauern. Denkbar ist auch, dass ein nachträglicher Kauf angeboten oder über einen Nachbau des Bootes verhandelt wird. Nur darf die deutsche Seite nicht davon ausgehen, dass ihr das Boot gehört. Um diesen Prozess zu beschleunigen, hat sich mein Verlag auch erfolgreich um die Übersetzung meines Buches ins Englische bemüht. Ich möchte unbedingt, dass die Leute in Papua-Neuguinea meine Forschungsergebnisse lesen können. Sie sind viel zu lange nicht gefragt und als Objekte der Weltgeschichte ignoriert und ihre Vorfahren schwer misshandelt worden.

 

Die Reaktion kritischer Ethnologen, also solcher, die an historischer Aufarbeitung von Sammlungsgeschichte interessiert sind, auf Ihr Buch ist zwiespältig: Einerseits Lob für das Schlaglicht, das Sie auf den historischen Kontext werfen – andererseits ist aber auch zu hören, Sie würden die Rolle der Museums- und Sammlungsbegründer zu eindimensional schildern, als willfährige oder blinde Mitläufer kolonialistischer Ausplünderungen. Der US-amerikanische Forscher Rainer Buschmann, den Sie im Buch explizit hervorheben, geht mit frühen deutschen Ethnologen oftmals milder um als Sie. Was sagen Sie zu solchen Reaktionen?

Rainer Buschmann ist für mich ein wichtiger Diskurspartner, er hat mein Manuskript vorab gelesen, einige seiner Anmerkungen habe ich aufgenommen. Er beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit diesen Fragen und ist mir in mancher Hinsicht gewiss überlegen. Andererseits: Ich habe ein interventionistisches Buch geschrieben und gehöre nicht der ethnologischen Wissenschaftsgemeinde an. Auch das hat Vorteile. Ich fühle mich frei von kollegialen Rücksichten. Mein Buch „Das Prachtschiff“ verstehe ich als Streitschrift. Es soll die Diskussion befeuern und das kritische Bewusstsein schärfen. Wenn das gelänge, wäre ich froh.

 

Vielen Dank. 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Götz Aly & Hans Jessen
Götz Aly ist Historiker. Hans Jessen ist freier Journalist.
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