Erinnerungskultur aus der Nische

Die Darstellung des Ersten Weltkrieges in Comics

Ein anderes Beispiel ist eines der sehr wenigen mit deutscher Beteiligung: „Tagebuch 14 – 18. Vier Geschichten aus Deutschland und Frankreich“ von Alexander Hogh und Jörg Mailliet. Das ist eine deutsch-französische Produktion – unter Mitwirkung von Gerd Krumeich. Der Zeichner ist allerdings Franzose – was schon bezeichnend ist. Es werden vier verschiedene Personen aus der Zivilbevölkerung und der Armee auf beiden Seiten porträtiert. Die Geschichten wurden aus alten Tagebüchern entwickelt. Die vier Personen haben nichts miteinander zu tun, aber es gibt Überschneidungen bei den Erlebnissen. Im Verlauf der Erzählung gibt es auch Verweise auf Originalzitate aus ihren Tagebüchern. Ergänzend ist ein Kurzdossier enthalten, das die Biografien dieser vier Personen schildert.
Eine ganz spannende neue Produktion, die noch nicht erschienen ist, heißt „Illustrated (Hi)stories“. Es geht um den Einsatz von Kolonialsoldaten im Ersten Weltkrieg. Das Projekt wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung 2014 initiiert. In einem von Elisabeth Desta geleiteten Workshop haben verschiedene Künstler zu dem Thema Geschichten gezeichnet. Kolonialsoldaten wurden ja besonders „verheizt“. Z. B. die Askari, die Einheimischen aus Deutsch-Südostafrika, welche als Kolonialtruppen im Weltkrieg auf deutscher Seite eingesetzt wurden. Das Schicksal der Askari wird in dem demnächst erscheinenden Band kontrastiert mit einem Text von Karl May, der in seinen Romanen über sie geschrieben hat.

 

Das sind allerhand Beispiele. Was sind Ihrer Meinung nach die besten Darstellungen des Ersten Weltkrieges im Comic?
Tardis Comics finde ich besonders ergreifend. Er erzählt mit großem Zynismus sehr plastisch das Leiden und das „Verheizen“ der Poilus als Kanonenfutter. Das ist unheimlich erschütternd. Dazu bedient sich Tardi eines Zeichenstils, der für dieses Thema etwas irritierend ist. Er stellt die Soldaten z. B. mit dicken Fingern und Knollennasen dar. Sie sind also nicht hyperrealistisch gezeichnet, sondern eher abstrahiert – fast ein bisschen witzig. Das ergibt einen Bruch zu dem dargestellten Grauen, den zerfetzten Leibern und der zerwühlten Landschaft. Darauf muss sich der Betrachter allerdings auch einlassen können.

 

Herr Neuhaus, Sie waren Lehrer. Inwieweit können Comics als Unterrichtsmaterial zur Vermittlung des Ersten Weltkrieges verwendet werden? Sind sie ein gutes alternatives Lehrmittel, fernab von klassischen Geschichtsbüchern?
Sie sind ein zusätzliches Mittel. Comics generell können im Unterricht gut eingesetzt werden – nicht nur im Kunstunterricht, sondern in jedem anderen Fach. Und vor allen Dingen sind sie gut geeignet für den Geschichtsunterricht. Sie können natürlich kein Lehrbuch und schon gar nicht Quellen ersetzen, sondern sind ein Begleitmaterial. Sie können motivieren und Anreize schaffen, sich mit einem Thema näher zu beschäftigen. Das ist wichtig. Früher war Geschichte überwiegend ein Auswendiglernfach. Dadurch entwickelten die Schüler aber kein Geschichtsbewusstsein. Das Wecken, Stärken und Fördern dieses Geschichtsbewusstseins ist das Ziel eines modernen Unterrichts in diesem Fach. Und das können unter anderem auch Geschichts-Comics fördern.
Bei Tardi gibt es z. B. eine Szene, in der drei Soldaten Essen an die Front bringen müssen. Auf einmal schießt der Feind eine Leuchtkugel in die Höhe und die Soldaten werden sichtbar, sofort wird auf sie geschossen. Zwei werden getroffen, der dritte landet mit den Händen in den Gedärmen eines toten Soldaten, der schon länger an der Frontlinie verwest. In den nachfolgenden Bildern wird deutlich, der Soldat empfindet nur Eines: Angst davor, sich mit Wundbrand angesteckt haben zu können. Kein Ekel, kein Mitleid, nichts. Hier wird die Verrohung an der Front sehr anschaulich. Es geht ums nackte Überleben. So eine Szene fordert die Schüler, die spontan wahrscheinlich eher Ekel empfinden, auf, selbst nachzudenken und zu recherchieren, warum der Soldat so unerwartet reagiert.

 

Zum Abschluss noch eine Frage: Wie ist das proportionale Verhältnis der Darstellung des Ersten Weltkrieges in Comics im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg?
Der Zweite Weltkrieg ist wesentlich präsenter. Sicher auch, weil die Amerikaner, die traditionell eine große Comic-Kultur haben, an diesem Krieg viel stärker beteiligt waren. Auch in Deutschland und Frankreich gibt es mehr Comics zum Zweiten Weltkrieg.

 

Vielen Dank.

Stefan Neuhas & Theresa Brüheim
Stefan Neuhaus ist Kunstpädagoge und Vorsitzender des Deutschen Comicvereins e. V. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur
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