Der materialspezifische Blick

Die Restaurierung von Denkmälern

 

Wie lange hält eine Restaurierung zumeist an?
Die Intervalle zwischen zwei Restaurierungen werden immer kürzer, das haben verschiedene Autoren nachgewiesen. Es kommt deshalb darauf an, wie man restauriert. Ein Problem ist, dass mit der Industrialisierung viele traditionelle Techniken der Vergangenheit verloren gegangen sind und auch das Materialverständnis fehlt. Mit anderen Worten, Restauratoren beziehen bestimmte Produkte von der Industrie und applizieren z. B. Mörtel, ohne das Material tatsächlich zu kennen und zu eruieren, ob sich Gestein und Ersatzmörtel vertragen. Ein anderes Beispiel dazu: Hydrophobierungen sind wasserabweisende Schichten, die man in den Stein eingebracht hat. Dieses Verfahren wurde lange Zeit propagiert und wird es teilweise auch heute noch, obwohl es in vielen Fällen zu enormen Schäden geführt hat – Millionenschäden! Es ist also ein Problem der Produktgläubigkeit, aber auch der Ausbildung. So werden z. B. Bachelor-Studenten der Restaurierung nach dem Motto „Non toccare“ – also nicht berühren – zu einer falschen Ehrfurcht vor dem Objekt bzw. Kunstwerk konditioniert. Doch diese Furcht schafft Unsicherheit, denn man versteht nur das, was man begreift – nicht nur im wörtlichen Sinne.
Fehlende Materialkenntnis, blinde Produktgläubigkeit und ein fehlgeleiteter restauratorischer Pietismus haben wechselwirksame Auswirkungen auf die Qualität – dadurch verringern sich die Restaurierungsabstände. Leider hat das auch die Restaurierung in die Krise geführt – immer weniger junge Menschen studieren heute dieses so faszinierende Fachgebiet.
Wir versuchen nun, diese Fehler zu beheben und haben ein Konzept für eine beweisbasierte Arbeitsweise entwickelt. Eine Studie hierzu stellen wir auf einem Fachsymposium im nächsten April in Lissabon vor und bieten auch Fortbildungskurse im In- und Ausland an.

 

Sie engagieren sich ehrenamtlich im Verband der Restauratoren (VDR), dort sind Sie Vorsitzender der Fachgruppe Steinkonservierung. Was macht diese Fachgruppe genau?
Wir haben erst mal versucht, das Berufsbild zu definieren. Gerade entwickeln wir ein umfassendes Papier, um unsere Arbeitsweise bekannter zu machen. Damit wollen wir auch unsere Position in der praktischen Denkmalpflege den anderen Akteuren deutlicher machen. Außerdem organisieren wir Fachgruppentreffen, Fachkongresse und Fortbildungsveranstaltungen.

 

Wie viele Experten für Steinkonservierung gibt es in Deutschland ungefähr?
Steinkonservierung kann man an verschiedenen Hochschulen in Deutschland studieren. In unserer Gruppe der akademisch ausgebildeten Steinkonservatoren im VDR sind wir ca. 400 Mitglieder. Aber hier sind natürlich nicht alle Restauratoren organisiert. Auf dem freien Markt findet sich sicher die doppelte Zahl.

 

Die Provenienz und Restitution eines Objektes ist auch für den Restaurator von großer Bedeutung. Wie gehen Sie bei der Restaurierung mit Objekten um, deren Provenienz unklar ist?
Die Konsequenz muss sein, dass man das Objekt und die Maßnahmen, die man ausführt, genauestens untersucht und dokumentiert. Denn wenn das Objekt doch wieder in das ursprüngliche Herkunftsland zurückkehrt, müssen z. B. die nachträglich eingearbeiteten Materialien den klimatischen Bedingungen dort standhalten – denn auch im modernsten Museum oder Depot kann mal eine Klimaanlage ausfallen. Oftmals sehen Restauratoren auch mehr als Kunsthistoriker, insbesondere wenn es um Veränderungen am Objekt geht. Wir haben den materialspezifischen Blick auf die Dinge. Wir können z. B. sagen, das ist eine „Zutat“, die ist erst zu späteren Zeiten dazugekommen. Solche materialtechnischen Untersuchungen können helfen, Bedeutung und Pro-venienz zu klären.

 

Wie beurteilen Sie aus restauratorischer Perspektive die aktuellen Denkmalstürze?
Bei dem Denkmal des Sklavenhändlers Edward Colston, das in Bristol zuerst besprüht und dann im Hafenbecken versenkt wurde, stellt sich bei der Restaurierung die Frage, wie geht man damit um? Ich finde, eine Aufgabe der Restauratoren ist es – deshalb ist eben auch eine akademische Ausbildung von so hoher Wichtigkeit –, dass man es auch eindeutig einordnet. Man muss fragen: Welche Veränderung am Denkmal muss hinsichtlich der historischen Instanz erhalten bleiben? Diese neuen Beschädigungen an einer Skulptur wie dem Sklavenhalter sind erhaltenswert. Sie sind kein blinder Vandalismus. Sie haben eindeutig eine historische Konnexion. Daher sollten in diesem Fall die Farbreste, die sich noch darauf befinden, und auch die Kratzspuren – diese Skulptur ist ja übers Pflaster gerollt worden – bei einer Restaurierung erhalten bleiben.

 

Das heißt auch, der Restaurator steht immer ganz eng in Verbindung mit den verantwortlichen Entscheidungsträgern, Kunsthistorikern, Kuratoren etc. …
Ja, aber der akademische Restaurator ist nicht nur dem Auftraggeber verpflichtet, sondern der Kunst als solcher. Wir sind nicht nur eine Servicekraft für Menschen, die sich politischen Gegebenheiten zu beugen haben, sondern wir müssen für das Kulturgut einstehen – ähnlich wie ein Arzt gegenüber dem Patienten. Wir müssen auch die historische Instanz entsprechend bewerten. Das führt oft zu Streit mit dem Auftraggeber. Denken Sie z. B. an die Graffiti der russischen Soldaten am Reichstag. Das würden einige Leute gerne entfernt sehen. Aber diese Graffiti sind ein ganz wichtiger Bestandteil dieses Denkmals und sind erhalten geblieben. Und da haben auch Restauratoren ihren Anteil dran.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

Wanja Wedekind & Theresa Brüheim
Wanja Wedekind ist Restaurator und Sprecher der Fachgruppe Steinkonservierung im Verband der Restauratoren (VDR). Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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