Von Wiesbaden über Darmstadt nach Marburg

Wie funktioniert das Hessische Landesarchiv?

Im Jahr 2013 wurden die staatlichen Archive in Hessen unter dem Dach Hessisches Landesarchiv zusammengeführt, 2018 ist das Landesarchiv als eine einheitliche Einrichtung mit einer Abteilung Zentrale Dienste und den drei standortgebundenen Abteilungen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden und den Staatsarchiven in Darmstadt und Marburg etabliert worden. Diese im Bundesvergleich späte Entwicklung sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Dem Hessischen Landesarchiv kommt in Hessen wie in der bundesdeutschen staatlichen Archivlandschaft eine Vorreiterrolle zu.

 

Wichtige Voraussetzungen dafür schuf die Umstellung der hessischen Landesverwaltung auf das betriebswirtschaftliche Management. Seit 2005 profitiert das staatliche Archivwesen in Hessen von der hiermit verbundenen Flexibilität, die echte Handlungsspielräume eröffnete: eine weitgehende Budgetverantwortung, ein fachlich geprägtes Controlling sowie ein Zielvereinbarungsmanagement. Darüber hinaus hat sich das Hessische Landesarchiv darauf konzentriert, sich den stetig wachsenden digitalen Anforderungen zu stellen und praktische Lösungsansätze zu erarbeiten. Neben der Erledigung der „Linienaufgaben“ wird das Projektmanagement immer wichtiger und prägt die weitere Entwicklung. Die nationale wie internationale Netzwerkbildung und die in erheblichem Maße eingeworbenen Drittmittel erweitern die Spielräume und die fachlichen Horizonte.

 

Im Mittelpunkt aller Anstrengungen steht das Bemühen, die wachsenden archivfachlichen Kernaufgaben effektiver und effizienter zu erledigen. So wurden die Personal- und Sachressourcen für die Überlieferungsbildung, d. h. für die Frage, welche Unterlagen aus den Behörden in das Archiv gelangen, deutlich ausgebaut. Zur Unterstützung der Einführung der elektronischen Akte in der hessischen Landesverwaltung und ihrer künftigen Archivierung richtet das Landesarchiv für die Behördenberatung in diesem Jahr ein „Compentence Center Records Management“ ein.

 

Unterstützt durch Förderprogramme des Hessischen Wissenschaftsministeriums und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gelingt es in einem noch nie dagewesenen Umfang, in die Erhaltung des Archivguts zu investieren. Dem Aktenschriftgut und den Amtsbüchern werden jetzt im großen Stil Maßnahmen wie Papierentsäuerung zugeführt, sodass erstmalig von einer systematischen konservatorischen Erhaltung des Archivguts gesprochen werden kann.

 

Auch die Archivguterschließung hat in den vergangenen zehn Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Arbeitsrückstände bisher noch nicht online erschlossener Bestände werden konsequent abgebaut und differenzierte Tiefenerschließungen zu Forschungszwecken im Rahmen von Kooperationen mit wissenschaftlichen Partnern und mithilfe von Förderprojekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft realisiert. In absoluten Zahlen gemessen, bieten bundesweit die meisten Erschließungsdaten für ihr Archivgut das Niedersächsische und das Hessische Landesarchiv. Beide Länder betreiben gemeinsam das Archivinformationssystem „Arcinsys“ und entwickeln es fortlaufend weiter – seit Neuestem zusammen mit Schleswig-Holstein.
Eine große Herausforderung der vergangenen Jahre war die Einrichtung des Digitalen Archivs Hessen. Es kooperiert fachlich und in der Softwareentwicklung eng mit Baden-Württemberg und Bayern und seit Kurzem mit dem Länderverbund Digitales Archiv Nord. Hier besteht ein immenser Handlungsdruck: Das Hessische Landesarchiv wird mit immer größeren Mengen archivreifer digitaler Daten und Unterlagen aus den Landesbehörden konfrontiert, sei es in Form von datenbankförmigen Fachanwendungen, elektronischen Akten oder Einzeldateien aus elektronischen Ordner-Ablagen und Kommunikationsplattformen. Soll das Hessische Landesarchiv zuverlässiger Partner auch der Verwaltung bleiben, wird es ohne weiteren Personal- und Mitteleinsatz nicht gehen.
Gar mit großem Abstand vor den anderen staatlichen Archiven rangiert das Hessische Landesarchiv in der Online-Bereitstellung von digitalisiertem Archivgut. Über 30 Millionen Abbildungen archivalischer Dokumente sind bereits jetzt online nutzbar. Das Spektrum reicht von frühmittelalterlichen Urkunden bis zu den Personenstandsregistern des 19. und 20. Jahrhunderts. Dies kommt den Archivnutzerinnen und -nutzern wie der wissenschaftlichen Forschung unmittelbar zugute und erleichtert ihre Arbeit. Selbstverständlich können die Nutzerinnen und Nutzer inzwischen in den Lesesälen – soweit Datenschutz und konservatorischer Zustand das zulassen – mit ihren Smartphones selbständig und unentgeltlich Archivgut für den eigenen Bedarf fotografieren oder für überschaubare Kostensätze ggf. hochwertig digitalisieren lassen.

 

Trotz der genannten großen Aufgaben nimmt das Hessische Landesarchiv darüber hinaus seinen Auftrag als „Haus der Geschichte“ ernst. Es kooperiert im Bereich der Geschichtsvermittlung wie in der historischen Forschung eng mit den lokalen und regionalen Geschichtsvereinen, mit den historischen Kommissionen sowie den Universitäten. Ansprechende Ausstellungs- und Tagungsthemen werben dafür, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht nur für Geschichtsinteressierte, sondern für viele gesellschaftliche Diskurse einen großen Mehrwehrt haben kann – vor allem in Zeiten von Fake News und alternativen Wahrheiten. Dabei bemüht sich das Hessische Landesarchiv, auch breitere Bevölkerungskreise anzusprechen, durch die zweimal jährlich erscheinende Zeitschrift „Archivnachrichten aus Hessen“, einen monatlichen Newsletter sowie durch seine Facebook-, Instagram- und YouTube-Auftritte.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.

Andreas Hedwig
Andreas Hedwig ist Präsident des Hessischen Landesarchivs.
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