Berufsbild mit Perspektive

Arbeiten im Archiv

Archive dokumentieren in einer Demokratie Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft. Daraus ergibt sich ein Berufsbild, das den Blick sowohl zurück als auch nach vorn richtet. Wer heute Archivarin oder Archivar werden will, muss sich darüber bewusst sein, dass wir uns von der analogen in die digitale Welt verabschieden. Die Dynamik dieses Prozesses setzt systematisches und analytisches Denken, die Motivation zum Umgang mit digitalen Inhalten und Technologien, grundlegende IT-Kenntnisse, Kommunikationsbereitschaft, Organisations- und Teamfähigkeit voraus. Fachpersonal muss Arbeitsprozesse optimieren, neue Problemlagen erkennen und Tätigkeitsbereiche aktuellen Herausforderungen anpassen. In der Praxis bedeutet das, dass einerseits Grundlagenwissen zur Informationsgesellschaft und -visualisierung, zur digitalen Archivierung, andererseits aber auch die Lese- und Vermittlungsfähigkeit von Originalquellen, ein Verständnis historischer Kontexte, verwaltungsrechtlicher Fragen, Regelungen des Rechts- und Datenschutzes obligatorisch für archivarische Kompetenz sind.
Die Hauptaufgabe von Archivarinnen und Archivaren besteht darin, Archivgut zu übernehmen, zu bewerten, zu erschließen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wissen und Daten bestimmen den Arbeitsalltag in Archiven im Austausch mit Gesellschaft und Politik. Der Zugang zu diesem Berufsfeld ist dem hierarchischen System des öffentlichen Dienstes untergeordnet. Für den mittleren Dienst gibt es das Ausbildungsangebot der Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste – Fachrichtung Archiv. Die dreijährige Ausbildung setzt die Fachoberschulreife voraus und wird im dualen System von Praxis und Theorie vermittelt. Für den Gehobenen Dienst ist ein Diplom oder ein Bachelorabschluss erforderlich. Die Verwaltungslaufbahn an der Archivschule Marburg umfasst drei Jahre und schließt mit dem Diplom ab. Über die Aufnahme entscheiden die Staats- und Landesarchive der einzelnen Bundesländer. Diese treffen eine Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber, die den Theorieteil in Marburg und die Praxis in den Ausbildungsarchiven absolvieren. Dieses Entsendungsprinzip entspricht gleichfalls dem Verfahren der Bayerischen Archivschule München, die fast ausschließlich für den eigenen Bedarf in Bayern ausbildet.
In der Bundesrepublik wird der einzige Studiengang der Fachrichtung Archiv vom Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule (FH) Potsdam angeboten. Dieses zum Wintersemester 1992/93 zunächst als Diplomstudiengang etabliertes und seit dem Wintersemester 2007/08 in einen Bachelorstudiengang überführtes Studium ist geprägt vom sogenannten „Potsdamer Modell“. Das heißt: In Verbindung mit den beiden anderen Bachelorstudiengängen Bibliothekswissenschaft sowie Informations- und Datenmanagement werden im Grundstudium integrative Inhalte vermittelt. Die studiengangübergreifenden Module erstrecken sich auf Themen wie Information und Gesellschaft, Webtechnologie und Informationssysteme oder Medien. Die Spezifizierung erfolgt im Hauptstudium, das je nach individueller Schwerpunktsetzung den Fokus mehr auf historische Unterlagen oder auf die digitale Archivierung richtet. Die notwendige Praxiserfahrung wird durch ein Praktikum abgedeckt.

 

Die Einschreibung für den zulassungsfreien Bachelorstudiengang Archiv ist an die Fachhochschulreife oder das Abitur gebunden und ermöglicht nach erfolgreichem Abschluss die Aufnahme des konsekutiven Masterstudiums Informationswissenschaften. Dieser integrative, interdisziplinäre Master eröffnet aufgrund seiner hohen Praxis- und Anwendungsorientierung den generellen Zugang zu Berufsfeldern im Umgang mit Information und Wissen. Dies betrifft z. B. Einrichtungen des kulturellen Erbes und damit unter anderem Archive.

 

Ferner können seit dem Wintersemester 2009/10 Absolventinnen und Absolventen geisteswissenschaftlicher Studiengänge, die bereits archivarische Berufspraxis aufweisen und während des berufsbegleitenden Studiums in Archiven tätig sind, den Abschluss des weiterbildenden Masters Archivwissenschaft erwerben. Die Zahl der Studienplätze ist auf 30 limitiert, die nach einem Auswahlverfahren vergeben werden. Das Studium wird nach dem Konzept des Blended-Learning durchgeführt und umfasst vier Präsenzen pro Jahr in der FH Potsdam. Der Masterabschluss befähigt zum höheren Archivdienst, wenngleich die beamtenrechtlichen Bestimmungen der einzelnen Bundesländer nach wie vor den Verwaltungslaufbahnen, die in Marburg und München in zwei Jahren zum höheren Archivdienst qualifizieren, den Vorzug geben.

 

Es besteht in der Berufspraxis momentan eine hohe Vakanz an Fachkräften; zahlreiche Stellen bleiben unbesetzt. Die FH Potsdam hat deshalb im Weiterbildungs-Masterstudiengang die Kapazität verdoppelt. Außerdem wurde die Zahl der Teilnehmenden der vierjährigen Fernweiterbildungskurse, die bereits als Fachangestellte in Archiven arbeiten und sich am Ende in das 7. Fachsemester einstufen lassen können, um den Bachelor abzulegen, erhöht.

 

Angesichts zukünftiger Verarbeitungs- und Nutzungsprozesse digitaler Daten in Wirtschaft, Forschung und Kultur wird sich das Berufsfeld noch weiter spezifizieren und neue Aufgabenfelder definieren. Berufsbegleitende Weiterbildungsangebote wie die hier beschriebenen oder der neue Weiterbildungs-Masterstudiengang Digitales Datenmanagement ab dem Sommersemester 2020, ein Gemeinschaftsprojekt der FH Potsdam und der Humboldt-Universität zu Berlin, tragen diesem Anspruch Rechnung. Darüber hinaus bietet das Weiterbildungsprogramm Archive im Informationszeitalter der FH Potsdam in Kooperation mit der Freien Universität Berlin eine Qualifizierung in den Bereichen Strategieentwicklung, Historische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Audiovisuelle Medien, Digitale Archivierung, Bestandserhaltung und Urheberrecht an. Praxisnahes Fachwissen vermitteln ebenso die Fortbildungskurse der Archivschule Marburg. Diese Weiterbildungen ersetzen jedoch keine Fachausbildung oder ein Studium, sondern dienen lediglich der Professionalisierung.

 

Die Archivlandschaft ist bunt und vielfältig, der Berufseinstieg für alle Interessierten über mehrere Wege offen. Die Zeiten dunkler Anzüge einer überwiegend von Männern dominierten Archiv-Community sind spätestens seit der Wiedervereinigung vorbei. Der Frauenanteil ist seit den 1990er Jahren signifikant gestiegen, was zunächst der hohen weiblichen Präsenz in ostdeutschen Archiven geschuldet war. Inzwischen zeigen Emanzipation und Gleichstellung generell Wirkung, wenngleich Frauen in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert sind. Die Geschlechtergerechtigkeit spiegelt allerdings auch die Diversität sogenannter Bewegungsarchive. Sie dokumentieren z. B. das Leben von homosexuellen und transgeschlechtlichen Menschen. Denn die Partizipation aller gesellschaftlichen Gruppen an der kulturellen Überlieferung stärkt das Vertrauen in die Demokratie und ist das Fundament sozialer Beziehungen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.

Susanne Freund
Susanne Freund ist Professorin für Archivwissenschaft am Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam und Projektleiterin der Weiterbildungsangebote des Studiengangs Archiv.
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