Für alle

Der Zugang zu Archivgut

Immer noch werden Archive assoziiert mit Schlagworten wie Geheimarchiven oder Schatzkammern. Dabei sind sie bereits seit mehr als zwei Jahrhunderten nicht mehr Herrschaftsarchive, sondern sie bewahren Unterlagen mit historischem, wissenschaftlichem, kulturellem und rechtlichem Wert auf, um sie allen Interessierten zugänglich zu machen. Sie sind das Gedächtnis einer Gesellschaft.

 

Als Gedächtnis einer Gesellschaft können Archive nur dann Wirkung entfalten, wenn sie nicht nur Unterlagen von historischem oder rechtlichem Wert dauerhaft erhalten, sondern wenn sie diese auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Mehr denn je stehen Archive in Deutschland allen offen. Digitalisierung und Informationsfreiheit, aber auch die Transformation von der Informations- in eine Wissensgesellschaft haben diese Entwicklung in den letzten Jahrzehnten weiter beschleunigt.
Archive können nur dann allen Interessierten offenstehen, wenn sie die Daten all jener angemessen schützen, die im Archivgut, wie z. B. Prozess- oder Personalakten, enthalten sind. Datenschutz und Öffnung der Archive sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille.

 

Das Verhältnis von Datenschutz und Nutzung wird in den 17 Archivgesetzen des Bundes und der Länder im Einzelnen austariert. Ausgangspunkt ist dabei die allgemeine Feststellung, dass die Archive der Nutzung offenstehen. Die Ausgestaltung variiert im Einzelnen. Die meisten Archivgesetze wie das des Landes Nordrhein-Westfalen schreiben ein Recht auf Nutzung für jedermann und jederfrau fest. Andere Archivgesetze, wie das des Landes Bayern, schreiben ebenfalls ein Recht auf Nutzung fest, setzen aber die Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses voraus, welches bei amtlichen, wissenschaftlichen, publizistischen oder Bildungszwecken sowie zur Wahrnehmung berechtigter persönlicher Belange als gegeben gilt. Eine dritte Kategorie von Archivgesetzen, wie z. B. das Hamburgische Archivgesetz, stellt fest, dass jeder das Recht hat, Archivgut „zu amtlichen, wissenschaftlichen, heimatkundlichen oder publizistischen Zwecken sowie zur Wahrnehmung berechtigter persönlicher Interessen“ zu nutzen.

 

Wie dieses allgemeine Recht auf Zugang zu Archivgut umgesetzt und gleichzeitig das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt wird, deklinieren die Archivgesetze im Detail. Alle Archivgesetze legen Schranken fest, innerhalb derer die Nutzung von Archivgut nochmals gesondert zu beantragen und zu begründen ist. Hierbei handelt es sich um die sogenannten Schutzfristen. Die beiden wichtigsten Schutzfristen sind die allgemeine Schutzfrist, welche im Wesentlichen für alle Unterlagen gilt, und die zusätzliche Schutzfrist für personenbezogenes Archivgut.
Anders als oft dargestellt, schützt die allgemeine Schutzfrist die schützenswerten Interessen all jener, zu denen im Archivgut Informationen enthalten sind. Dieses Ziel könnte theoretisch auch erreicht werden, indem bei jeder Nutzung für jede Archivalie geprüft wird, ob schützenswerte Angaben enthalten sind. Archive jedoch verwahren Urkunden aus dem Mittelalter und weiteres Archivgut aus vorherigen Jahrhunderten. Eine solche Prüfung macht hierfür keinen Sinn; die Nutzer müssten lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Es bedarf also einer zeitlichen Begrenzung für das Erfordernis der Prüfung der anspruchsbeschränkenden bzw. -ausschließenden Tatbestände im Archiv: der allgemeinen Schutzfrist von 30 bzw. in einigen Fällen von zehn Jahren.

 

Die Schutzfrist für personenbezogenes Archivgut orientiert sich an den Lebensdaten der Betroffenen. Sie beträgt zehn Jahre nach Tod oder wenn dieser nicht feststellbar ist – je nach Archivgesetz – 90 bzw. 100 Jahre nach Geburt. Sind beide nicht feststellbar, beträgt die Schutzfrist 60 Jahre nach Schließung der Akte.

 

Beide Schutzfristen schließen das Archivgut nicht grundsätzlich von der Nutzung aus, sondern sie schützen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Jeder, der entsprechendes Archivgut einsehen möchte, kann daher einen Antrag auf Verkürzung der Schutzfristen stellen. Die allgemeine Schutzfrist kann gemäß Hamburgischem Archivgesetz verkürzt werden, wenn unter anderem das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder aber schutzwürdige Interessen Dritter nicht durch die Nutzung verletzt werden.

 

Die personenbezogene Schutzfrist hingegen kann verkürzt werden, wenn die Einwilligung des Betroffenen oder seines Rechtsnachfolgers vorliegt, es sich um ein wissenschaftliches Vorhaben handelt oder berechtigte Belange vorliegen und die schutzwürdigen Interessen Betroffener bzw. Dritter angemessen berücksichtigt werden.

 

Indem die Schutzfristen die Wahrung des Datenschutzes garantieren, ermöglichen sie die anhaltende Öffnung der Archive. Ohne sie könnte kein weitestgehend voraussetzungsloser Zugang auch zu all jenen Unterlagen gewährt werden, die keinen Schutzfristen mehr unterliegen.
Der Blick in die Zukunft lässt erahnen, dass künftig der Zugang zu Archivgut noch leichter sein wird. Digitalisate und Portale werden die Hürden weiter senken. Der Datenschutz wird dabei weiterhin eine große Rolle spielen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.

Christine Axer
Christine Axer ist Abteilungsleiterin im Staatsarchiv Hamburg.
Vorheriger ArtikelQuellen zur Kolonialgeschichte
Nächster ArtikelDas Alte mit neuen Methoden bewahren