Fachlicher Austausch

Der erste Band der Archivalischen Zeitschrift (AZ) erschien im Jahr 1876 auf Initiative von Reichsarchivdirektor Franz von Löher, Direktor des Königlichen Allgemeinen Reichsarchivs in München. Löher begründete damit die älteste deutsche archivwissenschaftliche Fachzeitschrift. Frühere Versuche an verschiedenen Orten, eine archivfachliche Zeitschrift ins Leben zu rufen, waren jeweils rasch zum Erliegen gekommen. Franz von Löher wollte ein Publikationsorgan schaffen, das den fachlichen Austausch zwischen den Archivaren fördert, das aber zugleich auch die unikale schriftliche Überlieferung der Archive und deren Zuständigkeiten und Organisationsstrukturen der Forschung bekannt macht und darüber hinaus den Kontakt zur Wissenschaft, aber auch zu den staatlichen Behörden herstellt. Es sollte keine historische Zeitschrift werden; lediglich hilfswissenschaftliche Arbeiten, sofern diese auf Archivgut beruhten, wie Paläografie, Diplomatik, Sphragistik, konnten aufgenommen werden. Löher hatte für seine Zeitschrift kein Vorbild, an dem er sich hätte orientieren können. Er war von 1876 bis 1888 Herausgeber und verantwortlicher Redakteur. In dieser Zeit verfasste er den Großteil der Inhalte der Bände selbst. Bereits im ersten Band wurden nahezu alle thematischen Vorgaben umgesetzt: Darlegung der Aufgaben der Archive, der Archivarsausbildung, des bayerischen Archivwesens und ein Artikel über die Organisation der Staatsarchive in Italien, um den internationalen Anspruch deutlich zu machen. Das war kein Einzelfall. 2004 erschien beispielsweise ein Beitrag von Viviana Wagner über „Archive am chinesischen Kaiserhof: Geheime Arsenale im Dienste dynastischer Erinnerungspolitik“.

 

Die sachgerechte Unterbringung des kulturellen Erbes, dessen Sicherung und Erhalt zieht sich wie ein roter Faden durch die Bände. Archivzweckbauten, die im 19. Jahrhundert in verschiedenen Städten entstanden, wurden daher bereits im ersten Band thematisiert. Während der Amtszeit Franz von Löhers entstand in Bayern 1880 der erste Archivzweckbau in Nürnberg für das dortige Kreisarchiv, heute Staatsarchiv, in der danach benannten Archivstraße.
Die Fachwelt in ganz Europa beurteilte die Gründung der Archivalischen Zeitschrift als bahnbrechende Leistung. Der endgültige Durchbruch der AZ zur archivwissenschaftlichen Fachzeitschrift von internationalem Rang erfolgte, als 1925 Archivdirektor Ivo Striedinger die Schriftleitung übernahm.

 

Als 1955 der 50. Band als Doppelband 50/51 erschien, wurde, wie in der Vergangenheit sporadisch bereits üblich, ein ausführlicher Besprechungsteil über die Fachzeitschriften in Deutschland, in verschiedenen europäischen Staaten und in den USA aufgenommen. Auch Rezensionen und Hinweise auf Neuerscheinungen fanden Eingang in die AZ. Dies endete mit Band 77, 1992 aufgrund fehlenden Personals.

 

Bedingt durch die Folgen des Ersten und Zweiten Weltkrieges sowie durch ein fehlendes festes Redaktionsteam konnte die AZ nicht wie geplant jährlich erscheinen, was dazu führte, dass zum 100-jährigen Gründungsjubiläum 1976 der 72. Band herauskam. Aber auch in der Folgezeit gab es immer wieder Unterbrechungen im Erscheinen. 1992 wurde eine zehnjährige Veröffentlichungspause beendet. Derzeit ist beabsichtigt, dass die AZ, wenn nicht jährlich, so doch alle zwei Jahre erscheint. Im Band 90 findet sich ein sachthematisch gegliedertes Inhalts- und ein alphabetisches Verfasserverzeichnis aller seit 1876 publizierten Aufsätze und Mitteilungen.

 

Schwerpunkte der Ausgaben thematisieren unter anderem die Herausforderungen der jeweiligen Zeit wie den Einzug neuer Technologien und Medien, z. B. Mikrofilm und EDV, die Archivwissenschaft, die Archivbestände und deren Zugänglichmachung, die Geschichtlichen Hilfswissenschaften und Quellenkunde. Vereinzelt finden sich auch historische Untersuchungen zu den Gebieten Verwaltungsgeschichte, Rechts- und Verfassungsgeschichte, Wirtschaft- und Kulturgeschichte. Auch Biografien und Nachrufe auf Archivare werden publiziert. Band 96, erschienen 2019, enthält die ausgearbeiteten Beiträge des archivgeschichtlichen Kolloquiums „Die Staatlichen Archive Bayerns in der Zeit des Nationalsozialismus“.

 

Hatte die Archivalische Zeitschrift zunächst ein Alleinstellungsmerkmal, so änderte sich dies im 20. Jahrhundert, vor allem in der zweiten Jahrhunderthälfte. Das Bundesarchiv und die Archivverwaltungen der Länder geben verschiedene Publikationen heraus. Eine große Verbreitung hat die Zeitschrift Archivar des Verbands deutscher Archivarinnen und Archivare, die viermal jährlich erscheint. Der Schwerpunkt liegt hier in der Regel auf aktuellen Berichterstattungen über neue Zugänge, Arbeitsmethodiken, Tagungen und Veranstaltungen. Wie die AZ richten sich diese Veröffentlichungen an Archivarinnen und Archivare wie auch an die historische Forschung. Mit der Schaffung der Archivwissenschaftlichen Fachgespräche an der Bayerischen Archivschule 2018, deren Beiträge erstmals Ende 2020 in der AZ erscheinen werden, wird der archivwissenschaftliche Schwerpunkt in der Archivalischen Zeitschrift weiter vertieft.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.

Margit Ksoll-Marcon
Margit Ksoll-Marcon ist General-direktorin der Staatlichen Archive Bayerns.
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