Aus Sicht potenziell Betroffener ist in kritischen Fällen die beste Berichterstattung die, die gar nicht erst zustande kommt. Journalisten und Medien wird oft vorab mit hohen Kosten gedroht, falls sie veröffentlichen. Diese Drohung mit der Kostenkeule lässt sich als Bedrohung der Pressefreiheit verstehen. Finanzkräftige Mandanten sind im Vorteil gegenüber Kleinstunternehmen oder Bloggern im Netz.
Das sind nicht wir. Man droht auch nicht mit irgendwelchen Zahlungen, die fällig werden. Man droht, durchaus im Vorfeld, damit, dass rechtswidrige Berichterstattung Konsequenzen haben wird. Das ist vollkommen in Ordnung. Warum sollten Journalisten oder Blogger der einzige Berufsstand sein, dem man nicht drohen darf, wenn sie Rechte verletzen? Ich kann als Medienanwalt nicht auf einen Knopf drücken und sagen, ein Journalist, ein Blogger hat irgendwas berichtet, das kostet den jetzt 10.000 Euro. Das funktioniert nicht – zum Glück nicht. Ich kann einen erschienenen Bericht prüfen, ob er Rechtsverletzungen enthält. Wenn das der Fall ist, muss der Betroffene eben eine Unterlassungserklärung abgeben. Natürlich muss er – also das Medium – auch meine Anwaltskosten übernehmen. Aber das war es dann in der Regel auch. Wer berichtet, muss Regeln einhalten. Er darf nicht rechtswidrig berichten. Wenn er das doch tut, muss er zu den Konsequenzen stehen. Wenn wir als Medienanwälte präventiv tätig sind, können Journalisten und Blogger das auch als Service verstehen. Wir sagen im Vorfeld klipp und klar: „Das dürft ihr, das dürft ihr nicht.“ Wenn sich ein Journalist, ein Blogger dann dazu entschließt, entgegen unserer ausdrücklichen Aufforderung etwas zu schreiben, was wir für rechtswidrig halten und sich später vor Gericht herausstellt, dass wir Recht hatten und es rechtswidrig war, dann ist es in Ordnung, dass der Journalist oder Blogger mit den Konsequenzen seiner Fehlentscheidung leben muss.
Im Jahr 2012 schrieben Sie: „Drohanrufe in Redaktionen sind legitim und keine unzulässigen Angriffe auf die Pressefreiheit“. Einem Journalisten mit möglicherweise existenzgefährdenden Folgen zu drohen, schränkt dessen Entscheidungsfreiheit zur Berichterstattung ein.
Existenzbedrohend sind die Folgen in den allerseltensten Fällen. Da müsste der Journalist schon sehr viel Blödsinn schreiben und die Folgen dieses Blödsinns müssten sehr massiv sein, z. B. zur Pleite eines Unternehmens führen – das ist die absolute Ausnahme. Aber in solchen Ausnahmefällen ist es auch gerechtfertigt, dass der Journalist sich dreimal überlegt, was er da schreibt. Wenn meine Mandanten nicht gerade pleitegehen durch eine rechtswidrige Berichterstattung, dann sind die Folgen für den Journalisten auch nicht existenzbedrohend. Er muss eine Unterlassungserklärung unterschreiben, sich also verpflichten, diesen Stuss nicht wieder zu schreiben. Und er muss die Sachen löschen, die er berichtet hat, wenn sie falsch sind oder gegen die Regeln der Verdachtsberichterstattung verstoßen. Natürlich muss er die Anwaltskosten übernehmen, aber die sind gesetzlich gedeckelt. Rechtsfolgen bei rechtswidriger Berichterstattung gehören zum Berufsrisiko dazu. Die Wunschvorstellung von Journalisten, keine Konsequenzen angedroht zu bekommen, wenn sie rechtswidrig berichten, ist ebenso anmaßend wie obszön. Selbstverständlich müssen Journalisten für die Fehler, die sie machen, einstehen. Journalist zu sein, bedeutet nicht, dass man ohne Konsequenzen und ohne Androhungen von Konsequenzen für rechtswidriges Handeln, arbeiten kann.
Im Eishockey oder anderen körperbetonten Sportarten würde man diese Methode als „Forechecking“ bezeichnen: Den Gegner frühzeitig und hart angehen, sodass er sich möglichst nicht mehr traut. Wo liegen für Sie die Grenzen dieser Strategie? Wo gerät die Presse- und Äußerungsfreiheit in Gefahr?
In den Fällen, die wir in der Praxis erleben, gerät die Presse- und Äußerungsfreiheit nicht in Gefahr. Ein Medienanwalt greift in die Pressefreiheit ein, genauso wie die Journalisten in die Grundrechte unserer Mandanten eingreifen. Man greift gegenseitig in die Grundrechte ein und versucht, diese Grundrechte in die berühmte praktische Konkordanz zu bringen. Ich kann nicht weiter in die Pressefreiheit eingreifen, als das Recht es mir ermöglicht. Aber in dem durch das Recht ermöglichten Rahmen in die Pressefreiheit einzugreifen, ist vollkommen in Ordnung und vom Gesetzgeber erwünscht. Mein Job ist es, im angemessenen Umfang in die Pressefreiheit einzugreifen. Ich kann aus meiner Praxis nicht erkennen, dass wir in der Lage wären, dies im Übermaß zu tun. Ich greife nicht weiter in die Pressefreiheit ein, als unser Grundrechtssystem mir das ermöglicht.
Bei der re:publica habe ich das Publikum gefragt: „Wer meint, dass jeder Eingriff in die Pressefreiheit schlecht ist?“ Da gingen alle Finger hoch. Alle meinten, jeder Eingriff in die Pressefreiheit sei falsch. Das zeigt mir, wie fehlinformiert viele Menschen sind. Sie glauben, der Satz „Das ist ein Eingriff in die Pressefreiheit“ würde einen Skandal beschreiben. Er beschreibt aber eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit.
Seit anderthalb Jahren gilt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem Rechtsverstöße in den Sozialen Medien frühzeitig abgewehrt werden sollen. Kritiker sagen, damit würden rechtsstaatliche Aufgaben auf private Unternehmen wie Facebook oder Google übertragen. Was bedeutet dieses Gesetz nach Ihrer Einschätzung für die Pressefreiheit?
Dass staatliche Aufgaben auf Private delegiert werden, ist zwar richtig, aber ich betrachte das nicht als Vorwurf. Es war schon immer so, dass auch Private das Recht einhalten mussten. Plattformbetreiber dürfen nicht rechtswidriges Zeug auf ihren Plattform dulden. Das Problem liegt woanders: Die Gefahr besteht, dass durch die schiere Masse an Rechtsverletzungen, die in sozialen Medien stattfinden, und den Umstand, dass die sozialen Plattformbetreiber dafür haften, es einen gewissen Anreiz für die Plattformbetreiber gibt, Meinungsäußerungen schon sehr, sehr, sehr frühzeitig zu blockieren, einfach nur, um nicht persönliche in die Haftung zu kommen. Das führt dazu, dass Facebook, YouTube, Twitter heute gerne etwas löschen und blockieren, was eine zulässige Meinungsäußerung ist. Oder Konten zeitweise sperren, auf denen nichts Rechtswidriges steht. Das ist eine unverhältnismäßige Beschränkung der Meinungsfreiheit, die letztlich durch die massiven Haftungsrisiken hervorgerufen wird. Das ist nicht vorteilhaft. Da müsste man sicherlich nochmal ran.
Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.