Kommunikative Chancengleichheit

Werte und Verantwortung online sichern

Ende März hat Facebook-Gründer Mark Zuckerberg gefordert: „Reguliert das Internet“. Egal, ob diese Aussage vor allem PR oder doch ernst gemeint war: Sie ist erstaunlich für ein Unternehmen wie Facebook. Ebenfalls im Frühjahr entbrannte wegen des Versuchs, den Rechten von Urheberinnen und Urhebern auch im Netz Geltung zu verschaffen, eine der hitzigsten digitalpolitischen Debatten der letzten Jahre. Und kurz vor der Europawahl sorgte dann das Video des YouTubers Rezo für Aufsehen, mit dem er Millionen von Menschen erreichte. Ad hoc wurde die Frage in den Raum gestellt, welche Regeln denn für solche „digitalen Meinungsäußerungen“ gelten bzw. gelten sollen. All diese Fälle stehen beispielhaft für die Herausforderungen, denen die Medienpolitik aktuell gegenübersteht. Einerseits wird die Forderung nach „Regulierung“ im Netz erhoben, andererseits scheint sofort die Freiheit im Netz bedroht und jeder Vorschlag wird mit dem Vorwurf der „Zensur“ belegt.

 

„Freiheit“ darf aber nicht mit der Abwesenheit von Regeln verwechselt werden. Das halte ich nicht nur für falsch, es ist auch kurzsichtig: Eine Debatte ist oft dann sehr konstruktiv, wenn sie in einer bestimmten Ordnung geführt wird. Ein öffentlicher Diskurs, indem beispielsweise nur das Recht des Lautesten gilt, kann leicht diskriminieren. Anders formuliert: Unsere Medienlandschaft ist nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Ordnung so pluralistisch und vielfältig. Die Wahrung der Grundrechte im Digitalen, wie die Persönlichkeitsrechte, Menschenwürde oder der Jugend- und Verbraucherschutz, die Sicherstellung von Angebotsvielfalt oder die Leitplanken zur Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht durch einzelne Gruppen – all das macht unser freiheitliches, demokratisches und duales Mediensystem aus.

 

Für die Medien- und Netzpolitik heißt das vor allem: Kommunikative Chancengleichheit sichern – auch im Netz. Jedoch greift es zu kurz, analoge Regeln einfach „ins Internet“ zu übertragen. Das geht leider auch oft schief. Denn die digitalen Gewohnheiten und damit die Lebenswirklichkeit vieler junger Menschen sind neu und anders. Wir müssen sie ernst nehmen und angemessen darauf reagieren. Selbstverständlich will ich damit nicht sagen, dass das Netz ein rechtsfreier Raum sei. Strafrecht und Presserecht setzen Grenzen. Für journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote gelten nach dem Rundfunkstaatsvertrag die anerkannten journalistischen Grundsätze. Aber wir sollten ihn auch in Medienstaatsvertrag umbenennen, damit deutlich wird, diese Grundsätze gelten eben für alle Medien.

 

Für das Ziel kommunikativer Chancengleichheit geht es um etwas Anderes: Es geht darum, die modernen Orte der Meinungsbildung in den Blick zu nehmen. Zurückkommend auf Mark Zuckerbergs Appell „Reguliert das Internet“, stelle ich fest: Angebotsvielzahl ist nicht gleich Meinungsvielfalt. Es geht um neue Akteure – solche die sich selbst gar nicht als Medienunternehmen bezeichnen würden, die aber inzwischen einen enormen Einfluss auf unsere Medienlandschaft und unsere Mediennutzung haben. Dabei geht es auch um YouTuber, aber vor allem auch um solche Dienste, die uns Nutzerinnen und Nutzern den Zugang zu Medieninhalten eröffnen und diese so überhaupt erst nutzbar machen. Gemeint sind klassische Kabelnetzbetreiber genauso wie Suchmaschinen, Smart-Speaker, soziale Netzwerke, Smart-TV-Hersteller, OTT-Dienste, wie Zattoo, Unternehmen, wie Google, Facebook oder Amazon.

 

Diese Dienste nehmen die Länder derzeit in dem neuen Medienstaatsvertrag in den Fokus. Ziel ist es dabei, Kommunikationsräume offen zu halten und die Selektion der Suchmaschinen nicht nur kommerziellen Interessen zu unterwerfen. Uns geht es dabei um angepasste, angemessene und akzeptierte gemeinsame Regeln. Wir wollen Transparenzgebote und Diskriminierungsverbote quasi als Leitplanken im Netzverkehr einführen. Mit dem Medienstaatsvertrag setzen wir Länder zudem die Vorgaben der europäischen Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (AVMD) um. Diese enthält einen weiteren wichtigen Regelungsaspekt für das vielfach beschworene „Plattformzeitalter“: die Anbieterverantwortung. Gerade in der globalen Welt des Internets braucht es Regeln, die unsere Werte und Standards sichern. An dieser Stelle denke ich insbesondere an den Jugendmedienschutz. Auch wenn die Anbieter sozialer Netzwerke nicht unmittelbar dafür haften, was auf ihren Diensten passiert, tragen sie doch eine Mitverantwortung – zumindest im Sinne einer „Aufsicht im Schulhof“. Ausdruck dessen sind z. B. Meldesysteme für rechtswidrige Inhalte oder die Klärung von Streitigkeiten zwischen Nutzern.

 

Wir in Europa treffen auf viele US Akteure: Google, Facebook, Twitter etc. stellen die Medien, die Politik und uns als Gesetzgeber vor vielfältige Herausforderungen. Wir wollen die Freiheit im Netz, insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, aber wir wollen auch Datenschutz, Urheberrecht oder Steuerrecht – um nur einige zu nennen. Zeitgemäße und adäquate Medienregulierung ist das Ziel der Länder, das wir in Kooperation mit dem Bund in und für Europa umsetzen wollen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.

Heike Raab
Heike Raab ist Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz und Bevollmächtigte beim Bund und für Europa, Medien und Digitales. Seit 2015 ist sie Koordinatorin der Rundfunkkommission für das Vorsitzland Rheinland-Pfalz.
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