Identität und Teilhabe

Die Repräsentation ethnischer Minderheiten in den Medien

 

Ethnische Minderheiten werden marginalisiert, d. h. sie kommen nicht in angemessenem Umfang vor oder gar selbst zu Wort. Ethnische Minderheiten werden stereotyp und häufig anhand von Vorurteilen dargestellt, d. h. Angehörigen dieser Minderheiten werden Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen und soziale Rollen zugeschrieben, die auf gruppenbezogenen Verallgemeinerungen basieren. Und schließlich: Angehörige ethnischer Minderheiten werden kriminalisiert oder mindestens überproportional häufig mit gesellschaftlich abweichendem Verhalten und individueller Vorteilsnahme auf Kosten der Allgemeinheit in Verbindung gebracht, unabhängig von ihrem individuellen Verhalten. Die Folgen dieser Syndrome der medialen Repräsentation sind Stigmatisierung, Ausgrenzung und soziale Desintegration – sowohl aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft als auch aus der Perspektive der ethnischen Minderheit.

 

Hinzu kommen noch die eingangs genannten Bezugspunkte, die zum Teil als Ursache und zum Teil als Folge dieser Befunde betrachtet werden können. Sie bedeuten nämlich erstens, dass in der massenmedialen Berichterstattung vor allen über und nicht mit oder gar von Angehörigen ethnischer Minderheiten kommuniziert wird – was die Frage nach Repräsentation und Diversität in der institutionalisierten Inhalteproduktion, also am Redaktionstisch und hinter der Kamera aufwirft. Und sie werden zweitens in Zusammenhang mit der Nutzung und Verbreitung gemeinschaftlicher, z. B. fremdsprachiger Medien aus dem Herkunftskontext ethnischer Minderheiten, gebracht, in denen soziale Repräsentation und Gruppenidentitäten geboten werden – wenn auch häufig aus einer auf die jeweilige Gemeinschaft bezogenen Binnenperspektive. Lokale Ethnomedien, Auslandsausgaben großer Tageszeitungen, Expat-News sind Beispiele, die in diesem Zusammenhang häufig genannt werden.

 

Mit Blick auf den digitalen Medienwandel und die vollkommen veränderten globalen Migrationsbewegungen muss man allerdings einige Einschränkungen machen. Diese Befunde stammen, insbesondere soweit sie sich auf Deutschland beziehen, vor allem aus dem ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende, also aus einer Zeit, in der mobile Kommunikation und soziale Netzwerke noch buchstäblich in den Kinderschuhen steckten. Heute stehen für die Selbstdarstellung, ethnische Identitätsbildung und soziale Repräsentation von Minderheiten ganz andere, nicht im klassischen Sinn massenmediale Plattformen und Kanäle zu Verfügung. Darüber hinaus hat sich der Blick auf ethnische Minderheiten in Deutschland fundamental gewandelt. Neben der Verlagerung von der Herkunfts- und Migrationsperspektive auf die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als ethnisches Merkmal, die auch international als „shift to religion“ identifiziert wird, hat vor allem das Thema Flucht und Asyl die politische Migrationsdebatte, die mediale Berichterstattung und die soziale Struktur der migrantischen Gruppen in Deutschland fundamental verändert.

 

Methodologisch stellt sich für die wissenschaftliche Untersuchung solcher Phänomene ein weiteres schwerwiegendes Problem: Wie kann man die Personen mit Migrationserfahrung oder -familiengeschichte, Religionszugehörigkeit oder anderer soziokultureller Herkunftsmerkmale in Medieninhalten zuverlässig identifizieren? Ist das überhaupt außerhalb der expliziten Diskurse des Migrations-, Religions- oder Minderheitenthemas möglich – ohne damit weiter das „Sprechen über“ als vorherrschende Perspektive einzunehmen? Und kann man Akteure und Angehörige ethnischer Minderheiten in der alltäglichen, thematisch universellen Berichterstattung, in Shows, in Filmen und Serien identifizieren, ohne die oben genannten Stereotypen, die sich auf Aussehen, Kleidung, Berufsrollen etc. beziehen, zu reproduzieren? Dafür gibt es bisher keine befriedigenden, wissenschaftlichen Qualitätskriterien standhaltende Lösung.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.

Joachim Trebbe
Joachim Trebbe ist Professor für Publizistik- und Kommunikations-wissenschaft im Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin.
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