Der Autor und Kulturfunktionär Alexander Abusch, der 1946 aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrte und in die SED eintrat, hielt bereits 1948 eine Rede mit dem Titel „Der Schriftsteller und der Plan“. Ein Jahr später hieß es in einer Entschließung der 1. Parteikonferenz der SED: „Kulturarbeit im Dienste des Zweijahresplans leisten, das bedeutet in erster Linie die Entfaltung des Arbeitsenthusiasmus aller (…) Schichten des Volkes“. Das bedeutete, Literatur und Kunst sollten nicht etwa die menschliche Produktivität im Allgemeinen befördern, sondern sehr konkret das Arbeitsethos stimulieren.
Es wurde angeregt, dass die Schriftsteller sich unmittelbar an der gesellschaftlichen Basis umtaten, dort Erfahrung sammeln sollten, um diese literarisch zu gestalten. So berichtete z. B. das „Neue Deutschland“ 1952 von einer Schriftstellerinitiative im Rahmen der Gestaltung des „neuen Menschen“, die für die Literaturproduktion vorgab:
- Das neue Leben auf dem Land,
- Aufbau unserer industriellen Schwerpunkte,
- Wiederaufbau Berlins.
Damit stand von vorhinein fest – und viele gleichartige Gedichte und Prosatexte belegten es – welche Botschaft diese Literatur zu vermitteln hatte.
Eifrig studiert wurden in diesem Zusammenhang „Reden bei der Aussprache in Yan’an über Literatur und Kunst“ des chinesischen Parteiführers Mao Tse-tung, in denen davon ausgegangen wurde, dass ein revolutionärer Schriftsteller oder Künstler die Massen aufsuchen muss, den sogenannten „Schmelztiegel des Kampfes“ als der unmittelbaren Quelle seines Schaffens. Daraus resultierte in den 1950er Jahren eine große ideologische Nähe zwischen den „offiziellen“ ostdeutschen und chinesischen Kommunisten.
Die im April 1959 durchgeführte „Bitterfelder Konferenz“ war entscheidend für die Forderungen an die Literatur der frühen Jahre in der DDR. Der Mitteldeutsche Verlag in Halle/Saale hatte zunächst die Arbeiter der nahen Chemiekombinate aufgefordert, die Entwicklung des sozialistischen Aufbaus literarisch zu gestalten. Dann aber regten SED-treue Kulturfunktionäre an, der Verlag solle zu einer Kulturkonferenz einladen. An der nahmen 150 Berufsschriftsteller und fast 300 schreibende Arbeiter und Volkskorrespondenten teil. Ziel war, im Sinn einer sozialistischen Kulturrevolution den literarischen Bereich zu konkretisieren:
- Die Schriftsteller, also die Kopfarbeiter, sollten in die Betriebe gehen, mit Brigaden zusammenarbeiten und deren Arbeitsbedingungen vor Ort studieren.
- Die „Kumpel“, die Handarbeiter, sollten „zur Feder greifen“, um einerseits die alltäglichen Kämpfe und Fortschritte im Produktionsbereich zu dokumentieren und sich andererseits durch die eigene Schreibtätigkeit – gemeint war literarische Produktivität – zu den „Höhen der Kultur“ emporarbeiten.
Tonangebende Kulturfunktionäre waren fest davon überzeugt, dass ein Schriftsteller nur dann Erfolg haben kann, wenn er den Menschen in der Produktion kennt, mit ihm fühlt und mit ihm lebt, d. h., wenn der Arbeiter selbst zum Autor wird, getreu dem Slogan „Greif zur Feder, Kumpel!“.
Die Realisierung dieses Programms war nicht immer einfach; zwar gab es „Patenschaften“ zwischen Schriftstellern und Betrieben. Doch fanden sich nur wenige professionelle Schriftsteller, die bereit waren, für längere Zeit den Schreibtisch mit Produktionsstätten zu tauschen.
Um eine Breitenbewegung zu aktivieren, entstanden in der folgenden Zeit Hunderte von „Zirkeln schreibender Arbeiter“ in Bezirken, Betrieben, Kulturhäusern und Stadtteilen, in denen hauptsächlich Arbeiter, später auch mehr und mehr Angestellte, Studenten, Lehrlinge und Schüler sich literarisch im Kollektiv ausprobierten. Die offiziellen und inoffiziellen Ziele unterschieden sich wesentlich und waren völlig abhängig von der ideologischen Prägung der Leitenden. Standen die einen bei vielen Gelegenheiten im Licht der kulturpolitischen Öffentlichkeit, waren die anderen bemüht, eher im kleinen Kreis die Möglichkeiten und Grenzen ihres Schreibens im freien Concours auszuloten.
Als Talentschmiede gedacht, wurde 1955 das Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig gegründet, nach dem Vorbild des Moskauer Maxim-Gorki-Instituts. Es war nicht irgendeine Schreibschule. Die Studentenzahl war klein, jeder Studierende hatte einen eigenen Mentor, immatrikuliert wurden im Wechsel Direkt- und Fernstudenten, hinzu kam ein einjähriger Sonderkurs. Ziel war der allseitig gebildete sozialistische Schriftsteller.
Die Literatur aus den Hunderten von Arbeiterschreibzirkeln wurde jetzt als die „große Schule für die Herausbildung der künstlerischen Fähigkeiten und Talente der Arbeiter, Bauern und Intelligenz“ betrachtet. Das Motto der zweiten Bitterfelder Konferenz vom 24. bis 25. April 1964 lautete deshalb: „Sozialistisch arbeiten, sozialistisch lernen, sozialistisch leben“, um „(…) selbst mit(zu)helfen, das Leben zu verändern, dem Neuen zum Siege zu verhelfen (…),“ wie Walter Ulbricht dort verkündete.
Die Idee einer dritten Bitterfelder Konferenz entstand bei dem Plakatkünstler Klaus Staeck, dem Ausstellungsmacher Christoph Tannert und dem Kunsthistoriker Eugen Blume dann 1989. Der Zusammenbruch des Staates bedeutete auch das Ende des DDR-Kunst- und Kulturdiktates. Diese Konferenz, ebenfalls im Bitterfelder Kulturpalast, sollte am 2. und 3. Mai 1992 den Nachweis erbringen, dass in einer Atmosphäre der neuen Öffnung zwischen erhellenden Rückblicken und künstlerischen Visionen eine produktive Streitkultur entstehen kann. Der Maler A. R. Penck, der Komponist und Posaunist Friedrich Schenker, der Theologe Friedrich Schorlemmer, der Politiker Wolfgang Thierse, der Philosoph Mihály Vajda, die Schriftsteller Lew Kopelew, Erich Loest, Christoph Hein, Durs Grünbein und Werner Heiduczek, um nur einige zu nennen, setzten in den Debatten sowohl scharfzüngige wie auch erheiternde Kristallisationspunkte. Heiduczek erinnerte an das tragische Schicksal des Schriftstellers Werner Bräunig, der 1959 den Aufruf „Greif zur Feder, Kumpel!“ verfasste und sechs Jahre später auf dem 11. Plenum des ZK der SED wegen ungeschminkter Darstellung des Bergarbeitermilieus in der DDR auf infame Weise diskriminiert wurde. Zur Erheiterung aller hielt Heiduczek dann ein kleines Buch hoch mit dem Titel: „Demnächst im Lexikon?“ Es erschien 1961 im Mitteldeutschen Verlag. Zu lesen war darin Biografisches der DDR-Schriftsteller, aber auch, woran jeder dieser Autoren arbeitete: So unter anderem Adolf Endler „an zwei Erzählungsbänden, von denen sich einer mit dem Leben der Transportarbeiter beschäftigt“. Über Sarah und Rainer Kirsch war unter anderem zu erfahren: „Beide Kirschs wurden später Mitglied in der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) Schafstädt.“ „Christa Wolf hatte einen Vertrag“, so war es damals üblich, berichtete Heiduczek, „im Waggonbau Ammendorf“. Der Schriftsteller resümierte: „Ich wollte nur einige Beispiele für die Ambivalenz des Bitterfelder Weges nennen und dafür, dass er am Ende sowohl seine Kinder als auch seine Väter gefressen hat.“
Viel zu sagen gäbe es noch über die Innenansicht der damaligen massenkulturellen Bewegung. Es sollte nicht vergessen werden, dass Christa Wolf bereits auf dem 11. Plenum Kritik übte, indem sie anmahnte, dass nicht die Literatur an der Unmoral der Jugend schuld wäre, sondern „eine Leere, in die unsere mangelnde geistige offensive Anziehungskraft Teile der Jugend geführt hat“. Berichtet wurde, dass es Margot Honecker war, die dort mit Zwischenrufen dreist gegen Christa Wolf buhte.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2021.