Zwischen Erwartungen, Realität und Forderungen: Einschätzungen und Meinungen aus den Verbänden zum „NEUSTART KULTUR“

 

Soziokultur

 

Mit einer Milliarde Euro hat die Bundesregierung ein Programm zur Stärkung der Kulturinfrastruktur vorgelegt. Damit sollen die „Weichen auf Zukunft“, so Staatsministerin Monika Grütters, gestellt werden. Bereits bei den vom Bundesverband Soziokultur quasi als Pilotprojekte durchgeführten Programmen der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien „Land intakt“, einem Programm zur Förderung von Kultureinrichtungen in Kommunen im ländlichen Raum mit bis zu 20.000 Einwohnern und „Neustart“, einem Sofortprogramm für coronabedingte Investitionen in Kultureinrichtungen – nicht zu verwechseln mit dem Eine-Milliarde-Programm „NEUSTART KULTUR“ –, war erkennbar, welch enormes Interesse an einem schnellen Wiedereinstieg in den Kulturbetrieb besteht, aber auch welch hohe Investitionen erforderlich sind, um den Wiedereinstieg unter den gegebenen Bedingungen überhaupt zu ermöglichen.

 

Es ist zu erwarten, dass für einen längeren Zeitraum mit Einschränkungen beim Betrieb von Kultureinrichtungen zu rechnen ist und in absehbarer Zeit nicht zu den Bedingungen vor der Corona-Pandemie zurückgekehrt werden kann. Für die soziokulturellen Zentren, die im Durchschnitt fast 50 Prozent ihrer Einnahmen selbst erwirtschaften, bedeutet das, weiterhin mit erheblichen Einnahmeeinbußen rechnen zu müssen. Auch die Durchführung der Angebote ist unter den eingeschränkten Corona-Bedingungen wirtschaftlich nicht möglich. Dabei ist zu beachten, dass soziokulturelle Zentren auch ein wichtiger Arbeitsmarkt für Soloselbständige im Kulturbetrieb sind. Neben Schauspielerinnen und Schauspielern gehören dazu Technikerinnen und Techniker bis hin zu den Menschen, die die digitalen Medien entwickeln und gestalten. Um die Wiedereröffnung von Kultureinrichtungen und damit den Betrieb unter vernünftigen und vertretbaren Bedingungen zu gewährleisten und gleichzeitig die Einschränkungen zu berücksichtigen, ist eine Förderung aus dem Kulturinfrastrukturfonds absolut notwendig. Aber nicht nur Veranstaltungsformate im weitesten Sinne müssen gefördert werden, es wird auch weiterhin erforderlich sein, mit Investitionsförderungen, auch unter besonderer Berücksichtigung des IT-Bereichs, den Wiedereinstieg in eine kontinuierliche Arbeit zu ermöglichen.

 

Eine Milliarde Euro zur Förderung der kulturellen Infrastruktur erscheinen auf den ersten Blick als gigantische Summe. Es bleibt aber abzuwarten, ob die Summe ausreichen wird, um allen erforderlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Der bisherige schnelle und unkomplizierte Umgang mit dem Einsetzen von Fördermaßnahmen lässt jedoch hoffen, dass auch mit dem Kulturinfrastrukturfonds entsprechend flexibel umgegangen wird und Minderausgaben an der einen oder anderen Stelle zu erforderlichen Mehrausgaben an anderer Stelle eingesetzt werden können.

 

Wer hätte noch vor Kurzem gedacht, dass der Bund zur Förderung der Kultur in Deutschland zusätzlich eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen wird. Corona macht es möglich. In diesem Zusammenhang zeigt sich aber auch, wie notwendig über den finanziellen Part hinaus die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken der unterschiedlichen Ebenen ist. Bund und Länder, die Kommunen und die Akteure der Zivilgesellschaft müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, um die vielfältige und differenzierte Kulturlandschaft in Deutschland nachhaltig zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Mit dem Programm „NEUSTART KULTUR“ ist auf jeden Fall ein finanzieller Grundstein gelegt.

 

Georg Halupczok ist Vorstand des Bundesverbandes Soziokultur

 

Galerien & Kunsthandel

 

Der überwiegende Teil der Kulturmilliarde wird offensichtlich für privatwirtschaftliche Kulturbetriebe und Soloselbständige eingesetzt werden. Das ist gut so, denn sie wurden von der Pandemie auf unabsehbare Zeit existenziell viel stärker getroffen als die aus öffentlichen Mitteln finanzierten Institutionen. Wir sind zuversichtlich, dass auch Galerien vom großen Kuchen „NEUSTART“ ein Stück erhalten – wir haben frühzeitig spezifische Vorschläge gemacht. Im Zentrum steht ein Messeförderprogramm für Galerien. Denn das wirtschaftliche Drehkreuz des Kunstmarkts sind Kunstmessen, die seit März in einem wilden Stakkato abgebrochen, abgesagt oder verschoben wurden. Mit 60 bis 100 Prozent Umsatzeinbußen haben Galerien ihre Ausstellungen und Aktivitäten flugs ins Netz verlegt – weshalb ein Support für deren künftige digitale Fitness ein weiterer Kern unseres Förderkonzeptes ist.

 

Das allgemeine Konjunkturprogramm hat vor allem mit der temporären Mehrwertsteuersenkung überrascht. Diese wird der lahmliegenden Kulturwirtschaft wenig nutzen und für Galerien ist sie irrelevant. Denn das Missverhältnis der Vollbesteuerung der Galerien gegenüber der Ermäßigung von Künstleratelierverkäufen bleibt bestehen. Deshalb steht für uns die Wiedereinführung der ermäßigten Mehrwertsteuer an erster Stelle eines nachhaltigen Reloads des Kunstmarktes. Je öfter wir dies fordern müssen, umso dringlicher wird es. Wir wollen endlich eine Tat, die, frei nach Hegel, die Wahrheit einer Absicht ist. Als solche steht sie seit 2018 im Koalitionsvertrag.

 

Die Kulturmilliarde ist eine Notwendigkeit. Mit ihr erfüllt Deutschland in einer extremen, von niemandem verschuldeten Krise eine Pflicht – als ein Staat, der in guten Zeiten viel auf sich als Kulturnation hält. Mit seinen Zigtausenden Unternehmen stellt der Kulturbetrieb nicht nur ein wirtschaftliches Schwergewicht dar, sondern er schafft in einer zivilen Gesellschaft jene, über bloße Nützlichkeitserwägungen hinausweisenden Wahrnehmungs- und Denkräume, aus denen auch andere Wirtschaftszweige Impulse und Lebensnerven beziehen. Culture matters!

 

In der Corona-Pandemie stellen sich alte Fragen ganz neu: Wo gehört die Kultur- und Kreativwirtschaft – und damit der Kunstmarkt – politisch überhaupt hin? Die Wirtschaftspolitik kann die Kultur nicht recht fassen und die Kulturpolitik hat ein Problem mit der wirtschaftlichen Seite der Kultur. Eine neue Anerkennungskultur gegenüber den nichtsubventionierten Kulturunternehmen ist längst überfällig – weil sie das Feld bewirtschaften, auf dem Neues entsteht.

 

Wo kommt das Geld her, wer wird die Zeche zahlen? Die Kulturmilliarde verdankt sich der Leistung von ein paar zehn Millionen Bürgerinnen und Bürgern: Von abhängig Beschäftigten, Soloselbständigen und Unternehmern aus allen Branchen, die hart, leistungs- und ergebnisorientiert arbeiten; die Werte schöpfen, Ideen entwickeln, Waren produzieren, Steuern zahlen. Sie alle finanzieren den „NEUSTART“ und das große Konjunkturprogramm. Auch die Galerien, der Kunsthandel, die Künstlerinnen und Künstler.

 

Und weil alle die Kulturmilliarde zahlen werden, sollten alle einen Bonus erhalten: Via einkommensteuerlicher Absetzbarkeit aller Aufwendungen für Kulturgüter und kulturelle Leistungen. Für Kunstwerke und Bücher, für Konzert-, Museums-, Kino-, Theater- und Operntickets. Das wäre ein echter Anreiz für den „Kulturkonsum“, der allen durch die Pandemie geschädigten Branchen der Kulturwirtschaft sowie den öffentlichen Einrichtungen und selbstverständlich auch den Künstlerinnen und Künstlern zugutekäme. Und bitte nicht nur für ein halbes Jahr.

 

Kristian Jarmuschek ist Vorsitzender und Birgit Maria Sturm ist Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunst-
händler

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