Zwischen Erwartungen, Realität und Forderungen: Einschätzungen und Meinungen aus den Verbänden zum „NEUSTART KULTUR“

Einschätzungen und Meinungen aus den Verbänden zum „NEUSTART KULTUR“ von Barbara Schleihagen  (Bibliotheken), Ulrich Khuon und Marc Grandmontagne (Theater), Jens Michow (Musikwirtschaft), Thomas Negele (Filmwirtschaft), Georg Halupczok (Soziokultur), Kristian Jarmuschek und Birgit Maria Sturm (Galerien & Kunsthandel), Alexander Skipis (Buchhandel), Christoph Palmer (Film & Fernsehen), Stephan Behrmann (Freie Szene)

 

Diese Texte sind zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

 

Bibliotheken

 

Das auf die Zukunft ausgerichtete Programm „NEUSTART KULTUR“ zur Erhaltung der kulturellen Infrastruktur begrüßt der Deutsche Bibliotheksverband ausdrücklich. Die darin enthaltene Förderung alternativer und digitaler Angebote zur Vermittlung im Kulturbereich ist für Bibliotheken zentral. Denn Bibliotheken haben sehr schnell auf den gestiegenen Bedarf an elektronischen Medien reagiert und ihre Bestände kurzfristig aufgestockt. Einige boten ihre geplanten Lesungen als Live-Streaming an, viele setzten verstärkt auf soziale Medien, um den Kontakt mit ihren Kunden zu halten und ihnen kreative Angebote zur Verfügung zu stellen. Einige haben sogar Projekte der Leseförderung mit digitalen Medien so konzipiert, dass sie auch kontaktlos durchgeführt werden konnten. Sie waren im Lockdown vielerorts die einzig verbliebenen Kultur- und Bildungseinrichtungen, die weiterhin telefonisch, per E-Mail oder Chat für Auskünfte erreichbar waren. Die innovative Weiterentwicklung dieser digitalen Angebote kommt einer breiten Bevölkerungsschicht zugute. Bibliotheksangebote sind teilhabeorientiert, dies schließt heute die digitale Teilhabe zwingend ein.

 

Als öffentlich finanzierte Einrichtung sind Bibliotheken von allen anderen Maßnahmen dieses Programms ausgeschlossen. Daher ist für Bibliotheken die durch das Konjunkturpaket der Bundesregierung vorgesehene Entlastung und Stärkung der Kommunen wichtig, denn diese finanzieren einen großen Teil der öffentlichen Kulturausgaben, so auch Bibliotheken in ihrer Trägerschaft.

 

Damit Bibliotheken fester Bestandteil eines nachhaltigen Weges aus der Krise werden können, bedarf es jedoch zusätzlicher Investitionen sowohl in ihre Räumlichkeiten als auch in ihre Digitalisierung und Innovation. Bibliotheken können nur als Zentren für digitale Teilhabe fungieren, wenn die entsprechende Netzinfrastruktur zur Verfügung steht. Während hauptamtlich geführte Bibliotheken in Deutschland über einen Internetzugang verfügen, ist von den meist ehren- oder nebenamtlich geführten Bibliotheken in ländlichen Räumen nur ein Fünftel ans Internet angeschlossen. Der dbv begrüßt daher das Vorantreiben des Glasfaser-Breitbandausbaus und betont, dass dieser auch den Bibliotheken zugutekommen muss.

 

Zugleich sind Bibliotheken generationsübergreifende Treffpunkte. Sie müssen nicht nur für den Leihbetrieb, sondern auch als anregende Orte mit hoher Aufenthaltsqualität, mit Internetarbeitsplätzen oder Gruppenarbeitsräumen sowie kreativen Angeboten für die Leseförderung und zur Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz wieder genutzt werden können. Bibliotheken müssen daher so schnell wie möglich mit weiteren kreativen Öffnungsstrategien die nächsten konkreten Schritte gehen. Damit vor allem kleine Einrichtungen die notwendigen Hygiene- und Abstandsvorschriften umsetzen können, benötigen sie finanzielle Unterstützung.

 

Das Konjunkturpaket fokussiert die Digitalisierung, das digitale Lernen und die digitale Befähigung von Kommunen. Hier müssen Bibliotheken als wichtige Bildungspartner mitgedacht werden. Dies gilt besonders für den „DigitalPakt Schule“, in den Bibliotheken als die außerschulischen Bildungseinrichtungen, die die notwendige Medienbildung vermitteln, künftig einbezogen werden müssen. Wie kaum eine andere kommunale Einrichtung setzt sich die Bibliothek seit Jahren mit Fragen der Digitalisierung auseinander und wirkt der digitalen Spaltung der Gesellschaft entgegen. Die weitere Umgestaltung von Bibliotheken durch Weiterentwicklung von digitalen Formaten einerseits und Gestaltung des physischen Ortes andererseits ist eine Investition in die Zukunft.

 

Barbara Schleihagen ist Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv)

 

Theater

 

Eine Milliarde Euro wert ist das Programm „NEUSTART KULTUR“, das die Bundesregierung Anfang Juni – als Teil eines Konjunkturpakets im Wert von 130 Milliarden Euro – vorgestellt hat und mit dem das kulturelle Leben wieder angekurbelt werden soll, nachdem es durch die Folgen der Corona-Pandemie weitgehend erlahmt ist. Eine beeindruckende Zahl, die sich allerdings direkt wieder relativiert, bedenkt man, dass der jährliche Umsatz des gesamten deutschen Kulturbereichs bei rund 170 Milliarden Euro liegt. Gleichzeitig wird eine Rolle spielen, dass der Bund 2020 neue Schulden in Höhe von 218,5 Milliarden Euro aufgenommen hat. Das Geld soll vor allem privaten Einrichtungen, die nicht überwiegend öffentlich gefördert werden, zugutekommen: Privattheatern etwa, freien Ensembles aus Theater und Tanz mit 150 Millionen Euro sowie Musik mit ebenfalls 150 Millionen Euro – der Schwerpunkt liegt, auch finanziell mit rund 450 Millionen Euro, auf der Erhaltung der kulturellen Infrastruktur. Bedacht sind auch Kinder- und Jugendtheater, die durch den Wegfall von Besuchen von Schulklassen besonders betroffen sind sowie der Bereich Gastspiel- und Tourneetheater, zumeist in kleineren Städten und im ländlichen Raum. Drei Monate Schließung haben ihre Spuren hinterlassen, seitdem nun wieder geöffnet werden darf, findet nur eingeschränkter Betrieb statt, auf der Bühne wie im Publikum, das deckt nicht einmal die Produktionskosten – und es wird aller Voraussicht nach noch dauern, bis alle Einschränkungen aufgegeben werden können. Wie lange, weiß niemand. Unter diesen Umständen ist zu befürchten, dass viele nicht durchhalten, Künstlerinnen und Künstler verarmen oder den Beruf wechseln, Institutionen schließen und unsere Städte ärmer werden, auch an Kultur und kulturellem Leben. Wie ist das Programm also zu bewerten?

 

Zunächst: Wir begrüßen das Programm sehr, der Politik gebührt Dank dafür. Von Kolleginnen und Kollegen im inner- und außereuropäischen Ausland wissen wir, wie dramatisch die Lage in anderen Ländern teilweise ist, wo die gesamte Branche sich selbst überlassen wird. Klug ist, pandemiebedingte Investitionen zu integrieren und mit Fördermitteln die Entwicklung neuer Formate zu unterstützen. Auch die öffentlichen Einrichtungen wurden mitgedacht, indem der Bund – außerhalb dieses Programms – den Kommunen zugesagt hat, die für 2020 erwarteten Gewerbesteuerausfälle um 75 Prozent und die sogenannten Unterbringungskosten zu übernehmen – dieser Kniff war aus verfassungsrechtlichen Gründen auch notwendig, da der Bund keinen direkten Zugriff auf die Kommunen hat. Erwartet wird nun freilich, dass die Kommunen die Erleichterungen auch nutzen, um ihre öffentlichen Einrichtungen – an denen auch viele freie und selbständige Künstler und Akteure hängen – gut zu unterstützen. Neben dem Bundesprogramm gibt es auch noch weitere Programme in den einzelnen Bundesländern, und auch viele Kommunen haben Töpfe installiert. Die Politik zeigt sich handlungsfähig.

 

Und doch stellen sich Fragen: Die Milliarde wird sehr bald aufgebraucht sein, die Probleme werden dagegen noch da sein. Die wirtschaftlichen Einbußen und Steuerausfälle werden die öffentlichen Kassen sehr belasten, es wird zu schwierigen Verteilungskämpfen, insbesondere auf kommunaler Ebene kommen, und in diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass der größte Anteil, nämlich rund 45 Prozent der öffentlichen Kulturförderung in Höhe von rund 11,5 Milliarden Euro, von Städten und Gemeinden erbracht werden. Diese werden in besonderer Weise gefordert sein, ihre Grundversorgung in Kultur, Bildung, Sport und Jugend zu erhalten, das wird nicht aus eigener Kraft gelingen. Ganz zu schweigen vom ländlichen Raum. Schließlich ist zu fragen, warum ausgerechnet der Bund als die Ebene, die lediglich rund 15 Prozent zum öffentlichen Kulturetat beiträgt, stärker in die Verantwortung genommen wird und sich als schlagkräftiger erweist als die eigentlichen Kompetenzträger, die Länder und die Kommunen. Die Insuffizienz romantisierend als föderale Vielfalt zu verbrämen, ist ein schlechter Witz. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern um Haltung in der Frage, was uns die Kultur im Kulturstaat wert ist. Insgesamt sind schnelle Hilfen ein Segen, aber keine Antwort auf Konzeptlosigkeit im Kulturbereich. Hierzu brauchen wir mehr Kulturpolitik, die ihren Namen verdient und die eine Antwort gibt auf die Frage, welche Rahmenbedingungen in einer zerklüfteten und sich sozial immer stärker polarisierenden diversen Gesellschaft für die Kunst und ihre Akteure notwendig sind, damit sie das tun können, was sie sollen: Irritieren, stören, unterbrechen und Utopien schaffen, damit sich die Türen zu Neuem öffnen. Denn ein Zurück zum Vorher wird es nicht geben.

 

Ulrich Khuon ist Intendant des Deutschen Theaters Berlin und Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Marc Grandmontagne ist Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins und Sprecher im Rat für Darstellende Kunst und Tanz des Deutschen Kulturrates

 

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