Zwischen Erwartungen, Realität und Forderungen: Einschätzungen und Meinungen aus den Verbänden zum „NEUSTART KULTUR“

 

Musikwirtschaft

 

Das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket der Bundesregierung ist grundsätzlich sehr beachtlich. Nicht nachvollziehbar ist allerdings die Tatsache, dass in diesem 130 milliardenschweren Programm für den gesamten (!) Kulturbereich lediglich 1 Milliarde Euro eingeplant wurde. Das ist viel Geld. Angesichts der Bandbreite von Wirtschaftsbereichen, die damit wieder auf die Beine gebracht werden sollen – nämlich Kultureinrichtungen, kleinere und mittlere privatwirtschaftlich finanzierte Kulturstätten, der Musikbereich – also Tonträgerproduzenten und Musikunternehmen, Musikverleger, Konzert-, Tournee- und Festivalveranstalter, Musikclubs, Künstlervermittler sowie der Instrumentenfachhandel -,Theater und Tanz, die Filmwirtschaft, Galerien, soziokulturelle Zentren sowie die Buch- und Verlagsszene – relativiert sich der Betrag allerdings ganz erheblich. Es stimmt nachdenklich und ist traurig, dass die Kulturwirtschaft in Relation zu anderen Wirtschaftsbereichen offenbar einen lediglich geringen Stellenwert genießt. Und dass für den Detailbereich der Musikwirtschaft mit immerhin rund 120.000 Erwerbstätigen und weiteren rund 30.000 Erwerbstätigen, die als Dienstleister wirtschaftlich von ihr abhängig sind, für den Neustart gerade mal 150 Millionen eingeplant sind, zeigt einen beachtlichen Mangel an Wertschätzung. Für den Veranstaltungsbereich steht derzeit fest, dass die berufliche Zwangspause noch bis Ende Oktober und damit acht Monate dauern wird. Der eingetretene Schaden wird allein bis Ende August rund 410 Millionen Euro betragen. Der Verteilungskampf um das Budget für den Musikbereich wird daher hart.

 

Die Musikwirtschaft wird mit ihren finanziellen Erwartungen immer wieder an das Wirtschaftsministerium, das große Angebot des Konjunkturpakets und insbesondere die dort geregelten Überbrückungshilfen verwiesen. Leider bieten aber auch sie der Musikwirtschaft im Allgemeinen und den Konzert- und Tourneeveranstaltern im Besonderen keinen Ausweg aus der Krise. Sie beschränken sich in der Höhe – abgesehen von begründeten Ausnahmefällen – auf 9.000 Euro für Unternehmen mit bis zu fünf und auf 15.000 Euro für Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten und entsprechen damit der am 23. März veröffentlichten Corona-Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbständige. Es ist bereits nicht nachvollziehbar, wieso hier für gewerbliche Unternehmen nicht höhere Hilfen für erforderlich gehalten wurden. Noch weniger nachvollziehbar ist der Sprung zwischen Hilfen für Unternehmen mit bis zu zehn und über zehn Mitarbeitern. Während Erstere maximal 15.000 Euro erhalten können, wird Unternehmen, die mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen, eine Hilfe bis zu 150.000 Euro gewährt. Das Programm vermag die wirtschaftlichen Nöte der Unternehmen in der Veranstaltungsbranche insbesondere aber auch deshalb nicht zu verringern, da sich die Hilfe an den „fixen Betriebskosten“ orientiert. Die sind bei Veranstalterinnen und Veranstaltern zumeist relativ gering. Zahlreiche ihrer Leistungen sind häufig auf spezialisierte Veranstaltungsdienstleister ausgelagert. Ihre Personaldecke ist gering und auch ansonsten ermöglicht eine Orientierung an den fixen Kosten zumeist nicht einmal die Möglichkeit, den vollen Betrag auszuschöpfen. Zur Überbrückung der erheblichen Schäden, die aufgrund verlorener Kosten für Vorleistungen entstanden sind, ist das Angebot also ungeeignet.

 

Natürlich wissen wir, dass es sich bei dem Hilfspaket um ein Konjunkturprogramm und damit ein Programm handelt, welches zukunftsorientiert unter anderem Wirtschaftswachstum und einen hohen Beschäftigungsstand zum Ziel hat. Aber so weit ist der Live-Bereich nach der ja noch immer andauernden Zwangspause noch gar nicht. Wenn z. B. Veranstalter überhaupt irgendwann wieder Veranstaltungen durchführen sollen, werden sie Geld benötigen, um wieder Künstlerinnen und Künstler einkaufen, Spielstätten und Technik anmieten und in die Veranstaltungswerbung investieren zu können. Sie werden daher Zuwendungen benötigen, um überhaupt wieder zur Konjunktur beitragen zu können. Günstige Kredite, auch wenn sie zu 100 Prozent durch die KfW verbürgt sind, helfen da nicht, da sie auch irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Bei Verdienstmargen von 7 bis 8 Prozent vor Steuern sind Veranstalter da – insbesondere angesichts der aktuellen Herausforderungen – sehr zurückhaltend. Dies umso mehr, da die Branche davon ausgeht, dass es, selbst wenn Veranstaltungen wieder stattfinden dürfen, lange dauern wird, bis im Konzert- und Veranstaltungsgeschäft wieder Normalität einkehrt. Abgesehen davon, dass Veranstaltungen seriös erst wieder geplant werden können, wenn die Veranstaltungsverbote bundesweit aufgehoben sind, und abgesehen davon, dass Veranstaltungen mit Abstandsgeboten wirtschaftlich undurchführbar sind, werden viele – insbesondere ältere – Konsumenten mit ihrer Entscheidung, wieder ein Konzert oder Theater zu besuchen, zunächst sehr zurückhaltend sein. Für die Musikwirtschaft bietet das milliardenschwere Konjunkturprogramm also keine Grundlage für die Rückkehr zur Normalität.

 

Jens Michow ist Präsident des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft

 

Filmwirtschaft

 

Die Filmwirtschaft wurde von der Corona-Pandemie stillgelegt – von der Produktion über den Verleih bis zu den Kinos. Damit die Filmkultur keinen bleibenden Schaden nimmt, sind zwei Dinge gefragt: Die Sicherung der kulturellen Infrastruktur und Investitionen in Innovationen.

Das Frühjahr ist die wichtigste Jahreszeit der Filmbranche. Mit der Berlinale beginnt der Festivalreigen, auf den Filmsets werden die ersten Klappen geschlagen, in den Kinos sind Ostern und Pfingsten Umsatzgaranten. Nicht so 2020: Wichtige Rampen wie der Deutsche Filmpreis oder die Einladung zum Filmfestival in Cannes mussten ungenutzt bleiben. Filme wie „Berlin Alexanderplatz“, „Undine“ oder „Enfant Terrible“ wurden durch die Pandemie ausgebremst. Denn Corona legte die Branche genau in dem Moment lahm, als die Filmsaison begann.

 

Neben der Filmkultur ist auch die wirtschaftliche Grundlage der Branche bedroht. Die Filmwirtschaft arbeitet in einem Geflecht aus kleinen und mittelständischen Unternehmen. Diese Struktur bietet in normalen Zeiten eine hohe wirtschaftliche und kreative Flexibilität. Jetzt aber sehen wir in diesem Netzwerk an mehreren Stellen tiefe Risse.

 

Eine Studie zur Kultur und Kreativwirtschaft im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums schlägt Alarm: 98 Prozent der Unternehmen und Beschäftigten in der Filmwirtschaft sind stark von der Corona-Krise betroffen. Deutschlandweit wird damit gerechnet, dass die Filmwirtschaft 33 bis 72 Prozent des jährlichen Umsatzes einbüßen wird. Diese Zahlen zeigen: Hier ist auch die Wirtschaftspolitik gefragt, um einen Strukturbruch zu verhindern.

 

Lange musste die schwer angeschlagene Kultur- und Kreativwirtschaft auf Hilfe warten. Mit der „Kulturmilliarde“ hat die Beauftragte der Bunderegierung für Kultur und Medien ein beeindruckendes Maßnahmenpaket vorgelegt – und ein wichtiges Aufbruchssignal an die Branche gesendet.

 

Der Schwerpunkt auf dem Erhalt der Kulturinfrastruktur ist richtig gewählt. Das zeigt schon die oben skizzierte Bedeutung der Kinos und Filmfestivals für die gesamte Branche. Wichtig ist, dass hier die Voraussetzungen geschaffen werden, damit Filmstarts und Produktionen schnell anlaufen können. Eine Aufstockung des Zukunftsprogramms Kino, eine höhere Förderung pro Saal und gezielte Hilfen für die Anlaufphase sind für die Kinos entscheidend.

 

Zudem ist jetzt eine rasche und pragmatische Absicherung für die noch immer bestehenden Corona-Risiken in der Produktion gefragt. „NEUSTART KULTUR“ sollte mit einer Lösung für das Ausfallrisiko bei Kinoproduktionen einen Anfang machen, damit Dreharbeiten wieder breit aufgenommen werden. Das Ziel muss weiterhin eine umfassende Lösung sein, die auch TV-Produktionen absichert. An dieser Stelle werden besonders die Länder gefragt sein.

 

Ein nachhaltiger Weg aus der Krise darf aber nicht nur auf die Erhaltung setzen. Er muss Investitionen in Innovationen ermöglichen. Die Branche hat Konzepte für einen Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsschub vorgelegt. Beispiel filmtechnische Dienstleister: Mit einem eigenen Investitionsprogramm können Zukunftstechnologien und die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Dies wird nur gelingen, wenn Kultur- und Wirtschaftspolitik an einem Strang ziehen.

 

Damit der Neustart für die Filmkultur nicht zu spät kommt, müssen die Filme des Jahres 2020 mit „Wumms“ in die Kinos kommen. Die Angebotslücke durch verschobene Hollywood-Blockbuster könnte so zur Chance für deutsche und europäische Filme werden: Verleih und Weltvertrieb brauchen jetzt gezielte Unterstützung, damit die Konjunkturhilfen das Herz unserer Branche stärken: herausragende Filme und großes Kino.

 

Thomas Negele ist Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO)

 

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