Von der Entstehung bis zur Gegenwart

Zur Geschichte des Radios in Deutschland

Mediale Stille. Kein Internet, kein Fernsehen, keine Klänge aus dem Radio. In diese Situation muss man sich zurückdenken, wenn man nur einigermaßen nachvollziehen will, was es in Deutschland bedeutete, seit 1923/24 auf einmal fast überall mithilfe kleiner Apparate – und zunächst nur mit Kopfhörern – zu Hause Stimmen und Musik zu vernehmen, die an ganz anderer Stelle erklangen – in Berlin oder München und später auch in London oder Moskau. Die Technik machte nämlich schnell große Fortschritte und die Nachfrage nach dem neuen medialen Angebot war riesig, obwohl seine Kosten beträchtlich waren. Allein zwei Reichsmark im Monat für die Erlaubnis, Radio hören zu dürfen, waren damals eine Menge Geld. Die meisten Zeitungsabonnements waren viel billiger.

 

Die Intendanten der neu gegründeten, von privatem Kapital finanzierten, aber von der Reichspost streng kontrollierten regionalen Rundfunkgesellschaften hatten eine Mission: Sie betrachteten ihr Medium primär als Kulturträger und neues Bildungsangebot. Gewichtige Vorträge und klassische Musik standen deshalb im Zentrum ihrer grundsätzlich live ausgestrahlten Programme, denn Speichermöglichkeiten gab es kaum. Sie hatten deshalb auch kein Problem damit, dass die labile Republik politische Sendungen strengstens kontrollierte und Nachrichten fast ganz quasi staatlich produziert wurden. Schwieriger war es für sie, auf die Forderungen der Hörerschaft einzugehen – mehr Unterhaltendes zu bringen, aktuelle Schlager und vor allem Tanzmusik. Ein Grundkonflikt zeichnete sich da ab, der im Grunde die deutsche Radiogeschichte bis heute prägt.

 

Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 bedeutete für das deutsche Radio einen tiefen Einschnitt. In kürzester Zeit wurde die Organisation ganz auf den Staat ausgerichtet, das Personal durch Entlassung jüdischer sowie aller von der neuen politischen Linie abweichenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neu ausgerichtet und die Programme mit viel Politik durchsetzt. Die Folgen blieben dem zuständigen Propagandaministerium und seinem zwar fanatischen, aber nicht dummen Leiter Joseph Goebbels nicht lange verborgen. Das Angebot des eindimensional vom Sender auf die Empfänger gerichteten Mediums konnte zwar strikt kontrolliert, sein Empfang aber nur begrenzt verordnet werden. Zwar gab es immer wieder Ansätze zum Gemeinschaftsempfang, aber letztlich erfolgte der Großteil des Radiokonsums ganz privat zu Hause.

 

Das Problem fand seine Zuspitzung während des Zweiten Weltkriegs. Es war zwar einfach, das Hören von „Feindsendern“ wie der BBC, Radio Moskau oder selbst dem schweizerischen Radio Beromünster zu verbieten, jedoch war die Kontrolle dieses Verbots schwierig. Zwar wurde dem System durch Denunziation viel verbotenes Hören zugetragen und die Strafen fielen zum Teil sehr drastisch aus, aber wichtiger als die Abschreckung wurde die Anpassung des eigenen Angebots an zentrale Publikumswünsche. Wichtigste Zielgruppe war dabei die Masse der Soldaten, junger Männer, die ganz überwiegend vor allem flotte Unterhaltungsmusik hören wollten und keine politische Propaganda. Das früh ausgesprochene Jazz-Verbot hatte so schnell nur vordergründig Bestand. Entsprechendes wurde durchaus gesendet, allerdings nicht unter diesem Namen. Das speziell dazu gegründete Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester hatte Einschlägiges auf immer wieder verwertbaren Schallplatten einzuspielen. Goebbels Rezept war recht einfach: viel massenwirksame Unterhaltung, vor allem mit aktueller leichter Musik, und vergleichsweise wenig politische Information, die aber streng kontrolliert.

 

Als der Krieg zu Ende war, musste auch das Radio neu organisiert werden. In der Sowjetischen Besatzungszone und der daran anschließenden DDR war es selbstverständlich, dem sowjetischen Vorbild zu folgen. Die staatliche Lenkung wurde beibehalten, nur die Inhalte den neuen ideologischen Vorgaben angepasst. In den westlichen Besatzungszonen war die Lage schwieriger. Jede Form von Staatsrundfunk sollte vermieden werden. Die nationalsozialistische Vergangenheit war zu präsent und zudem wollte man sich auch von der neuen Konkurrenz im Osten abgrenzen. Im wirtschaftlich am Boden liegenden Land einen neuen Privatfunk aufzubauen, war aussichtslos. Wofür hätte geworben werden, woher hätten die nötigen Werbeeinnahmen kommen sollen? Als Alternative bot sich das in Großbritannien bewährte System eines öffentlich-rechtlichen Programmanbieters an. In deutscher Modifikation einigte man sich auf den Aufbau mehrerer regionaler Rundfunkanstalten, in denen nicht die Länderregierungen, sondern komplex zusammengesetzte Gremien, Rundfunkräte genannt, die zentralen Entscheidungen zu treffen hatten.

Konrad Dussel
Konrad Dussel ist außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte an der Universität Mannheim und freiberuflicher Wissenschaftler.
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