Billige Apparate für die breite Masse

Das Radio als nationalsozialistisches Propagandainstrument

Bereits in der Weimarer Republik gab es einen staatlich kontrollierten Rundfunk, an den die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung 1933 anknüpfen konnten. Das Reich und die Länder übten eine Art Aufsicht über das Programm aus. Nach 1930 gewann das Reich über die von ihm kontrollierte Reichsrundfunkgesellschaft an Einfluss. Parteipolitik sollte außen vor bleiben, aber nicht die Politik der Regierungen. Die Reichspost war für Verwaltung, Wirtschaft und Technik zuständig.

 

Die Nationalsozialisten bemühten sich bereits vor 1933, Einfluss auf den Rundfunk zu gewinnen. 1933 kam es dann auch im Rundfunk zu einer Machtergreifung. Die Verantwortung für das Medium übernahm Goebbels’ Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Die leitenden Stellen wurden mit entschiedenen Nationalsozialisten besetzt. Die Länder mussten einen Großteil ihrer Kompetenzen an das Reich abgeben. Goebbels betrachtete den Rundfunk als wichtigstes Massenmedium, und er finanzierte mithilfe der Gebühren die sonstigen Aktivitäten seines Ministeriums.

 

Der Rundfunk richtete sein Programm auf die Masse der Bevölkerung aus. Das Ziel lautete, die Bevölkerung für die nationalsozialistische Bewegung zu gewinnen. So wurden 1933 allein 50 Reden Hitlers übertragen. Mit der Zeit gewann man aber die Überzeugung, dass sich zu viel politische Propaganda abnutze. Fortan stärkte man als zweites Bein des Programms die Unterhaltung, um die Bevölkerung zu zufriedenen regelmäßigen Radiohörern zu erziehen. Damit wollte man sie mehr indirekt an das Regime binden. So bestanden in den 1930er Jahren etwa zwei Drittel des Programms aus Musiksendungen. Politische Propaganda wurde jetzt – abgesehen von Großereignissen – mehr subkutan verabreicht.

 

Die nationalsozialistische Radiopolitik stand und fiel mit der Verbreitung von Radiogeräten. Damit sah es jedoch 1933 nicht sehr gut aus. Nur jeder vierte deutsche Haushalt besaß einen Radioapparat, von den Arbeiterhaushalten weniger als jeder zehnte. Daraus leiteten die Nationalsozialisten zwei Strategien ab: Erstens die Schaffung eines preiswerten Empfängers für den Individualempfang und zweitens den Ausbau des Gemeinschaftsempfangs aller Volksgenossen.

 

Man beschloss, die alte Idee eines billigen Radioapparats für die breite Masse, eines Volksempfängers, umzusetzen. Die entscheidenden Anstöße scheinen vom nationalsozialistischen Reichsverband deutscher Rundfunkteilnehmer gekommen zu sein. Goebbels und sein Ministerium segneten die Pläne ab. Die Überlegungen gingen dahin, den Volksempfänger gemeinschaftlich durch sämtliche 28 deutsche Radiohersteller produzieren zu lassen. Die Vereinigung der Hersteller übernahm es, die nationalsozialistischen Vorstellungen zu realisieren. Kommissionen wählten das Gerät aus, erstellten die Konstruktionsunterlagen und prüften die fertigen Apparate. Die Mitgliedsfirmen des Verbands erhielten Produktionsquoten.

 

Der Preis für das 1933 auf den Markt gebrachte Standardmodell wurde auf 76 Reichsmark festgelegt, mehr als die in der Presse gehandelten Erwartungen. Es erhielt die Bezeichnung VE 301, als Reminiszenz an den Tag der Machtergreifung. Die Empfangseigenschaften des Volksempfängers hingen sehr von den örtlichen Gegebenheiten und den Wetterbedingungen ab. Bei guten Verhältnissen konnte man regionale Sender, den Deutschlandsender und auch ausländische Sender hören. Die Bedienung war dabei nicht unkompliziert. Weitere Modelle besaßen eine spezielle Ausstattung, insbesondere für die unterschiedlichen Stromsysteme. Mit der Zeit wurde die Familie der Volksempfänger verbessert und verbilligt.

 

Einen weiteren großen Schritt bedeutete die seit 1938 erfolgte Produktion des Deutschen Kleinempfängers (DKE 1938) zum Preis von 35 Reichsmark. Der DKE 1938 wies ähnliche Empfangseigenschaften auf wie der erste Volksempfänger. Außerdem setzte man bei ihm Forderungen des Vierjahresplans nach Materialeffizienz um.

 

Für die Radioindustrie und den Handel bildeten der Volksempfänger und der Deutsche Kleinempfänger ein ambivalentes Geschäft. Einerseits konnte man mit den Gemeinschaftsgeräten trotz der niedrigen Gewinnmargen zusätzliche Erträge realisieren. Andererseits lautete die Frage, ob dem nicht Verluste beim Verkauf von Markengeräten entgegenstünden. Es sieht so aus, dass die Bilanz durchaus unterschiedlich lautete. Manche Unternehmen profitierten von den Gemeinschaftsgeräten, bei anderen verschärften sie eine bereits vorher vorhandene Krise. So meldeten 1935 gleich drei Radiofabriken einen Vergleich an. Die Nationalsozialisten ignorierten natürlich die Krisen und priesen den Volksempfänger als Rettung der Radiowirtschaft.

 

Zweifellos trugen die Gemeinschaftsgeräte zur Verbreitung des Radios in Deutschland bei. Die Frage lautet: in welchem Umfang? Die Verkaufszahlen der Markengeräte lagen immer höher als die des Volksempfängers. Die beiden Gemeinschaftsgeräte sorgten 1933/34 und 1938 für eine Radiokonjunktur, die aber danach wieder zurückging. Die Verkaufszahlen erfuhren also eine ausgeprägte Wellenbewegung, was die Wirtschaft vor zusätzliche Probleme stellte.

 

Man machte die Erfahrung, dass die Gemeinschaftsgeräte für Arbeiterhaushalte immer noch zu teuer waren. Sie erweiterten die Radioverbreitung im unteren Mittelstand, erreichten aber nicht die Geringstverdienenden. Ein Grund hierfür waren die Gerätekosten, aber auch die Betriebskosten mit Faktoren wie Strom, Programmzeitschrift und vor allem die Rundfunkgebühr von zwei Reichsmark im Monat. Eine Ermäßigung der Rundfunkgebühr wurde diskutiert, aber wegen des angespannten Reichshaushalts abgelehnt.

 

Dessen ungeachtet erhöhte sich der Anteil der deutschen Radiohaushalte von 25 Prozent (1933) auf 65 Prozent (1941). Dabei handelte es sich zweifellos um einen Erfolg, dessen Wertigkeit aber mithilfe eines internationalen Vergleichs geklärt werden muss. Die nationalsozialistische Propaganda stellte Deutschland als führendes Rundfunkland der Welt heraus – natürlich ohne genaue Zahlen zu nennen. Betrachtet man aber die tatsächliche Verbreitung des Radios in Europa, so zeigen sich folgende Ergebnisse: Bei der Rundfunkverbreitung auf 1.000 Einwohner rangierten Schweden und Dänemark vor Deutschland. Und bei der Zunahme zwischen 1934 und 1942 Frankreich und Norwegen vor Deutschland. Die deutsche Radioverbreitung nahm also in den 1930er Jahren kräftig zu, allerdings war dies im europäischen Kontext nicht so außergewöhnlich, wie die Nationalsozialisten behaupteten. Mit den Vereinigten Staaten konnte sich Deutschland ohnehin nicht messen. Die Radioverbreitung lag viel höher, und der Volksempfänger hatte auf dem Exportmarkt gegen die billigen amerikanischen Radios nicht den Hauch einer Chance.

Wolfgang König
Wolfgang König ist pensionierter Professor für Technikgeschichte an der Technischen Universität Berlin und Mitglied von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.
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