Von der Entstehung bis zur Gegenwart

Zur Geschichte des Radios in Deutschland

Der frühe westdeutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk hatte den Mangel zu verwalten, nicht nur in ökonomischer, sondern auch in technischer Hinsicht. Seit Radio überhaupt gesendet wurde, geschah dies analog auf der Mittelwelle. Doch da waren die Frequenzen begrenzt. Jede Anstalt hatte grundsätzlich nur eine Frequenz, mit der sie haushalten musste. Für viel Konkurrenz war da schon rein technisch kein Platz. In den 1950er Jahren begann zwar UKW als Alternative zur Verfügung zu stehen. Aber es dauerte Jahre, bis entsprechende Empfangsgeräte nicht nur breitflächig in den Haushalten vorhanden waren, sondern auch entsprechend genutzt wurden. Und zudem trat das Radio zunehmend in den Schatten des Fernsehens, das in Deutschland wie selbstverständlich von Anfang an ebenfalls öffentlich-rechtlich organisiert wurde. Die Gründe lagen nahe: Es gab die mit der Funktechnik bestens vertrauten Hörfunkanstalten und wie beim frühen Radio, so waren auch beim frühen Fernsehen die Frequenzen knapp. An Konkurrenz war auch da nur begrenzt zu denken. Und als sich erste Möglichkeiten der Programmerweiterung abzeichneten, wurde der von Bundeskanzler Adenauer favorisierten Alternative einer Mischung aus Privat- und Staatsfunk als zweites Fernsehprogramm vom Bundesverfassungsgericht eine deutliche Absage erteilt.

 

In den 1960er und 1970er Jahren war das westdeutsche Radio darum bemüht, sich durch tiefgreifende Programmreformen seinen Platz neben dem immer dominanteren Fernsehen zu sichern. Das gelang zwar ziemlich gut, aber das Leitmedium Fernsehen bestimmte trotzdem die weitere Entwicklung. In den 1970er Jahren zeichneten sich ganz neue Übertragungswege für Fernseh- wie Radioangebote ab. Über Kabel und Satelliten konnten immer mehr Programme empfangbar gemacht werden. Und plötzlich galt es nicht nur, das nationale Rundfunkangebot zu organisieren, sondern auch die internationale Konkurrenz im Auge zu behalten. Das schon seit den 1930er Jahren betriebene Radio Luxemburg, nun zu RTL weiterentwickelt, entwickelte sich nicht nur zur großen Herausforderung für die deutsche Rundfunkpolitik, sondern für die ganz Westeuropas, einschließlich der damals noch existenten DDR. Nach langen innenpolitischen Auseinandersetzungen wurde in der Bundesrepublik schließlich Mitte der 1980er Jahre auf Staatsvertragsbasis eine duale Rundfunkordnung etabliert: ein komplex organisiertes Nebeneinander von primär durch Gebühren – mittlerweile Beiträge genannt – finanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten und rein von Werbeeinnahmen abhängigen privaten Anbietern, die aber ihrerseits durch öffentlich-rechtliche Landesmedienanstalten zugelassen und kontrolliert werden.

 

In seinen Grundzügen gilt dieses System, das nach dem Zusammenbruch der DDR auch in die neuen Bundesländer übertragen wurde, bis heute. Allerdings gerät es durch die technischen Entwicklungen seit der Jahrtausendwende immer mehr unter Druck. Digitalisierung und Internet stellen für traditionelles Radio – aber auch Fernsehen – größte Herausforderungen dar. Längst handelt es sich nämlich nicht nur darum, dass da auch ein neuer Übertragungsweg nutzbar ist, der mehr Angebot ermöglicht. Die Strukturen von Angebot und Nutzung ändern sich grundlegend. Mit verhältnismäßig geringem Aufwand kann mittlerweile einerseits Webradio angeboten werden. Und andererseits sind die an Audioangeboten Interessierten längst nicht nur auf linearen, von traditionellen Radioproduzenten angebotenen Programmkonsum angewiesen. Gerade im Musikbereich gewinnen Streamingdienste immer größere Bedeutung. Nebenbei bemerkt, bedeutet dies auch den Niedergang älterer Speichermedien wie CDs, von LPs ganz zu schweigen.

 

Vor diesem Hintergrund wird die Zukunft des klassischen Radios je nach Aspekt ganz unterschiedlich zu beurteilen sein. Sicherlich: Die Masse des Angebots wird immer größer werden. Die Nutzungsmuster erweisen sich jedoch als relativ stabil. Das ganz traditionelle Radio mit seiner Mischung aus Musik und Information hat da ein breites Publikum. Und die öffentlich-rechtlichen Anbieter haben aufgrund der staatlich regulierten Beitragsfinanzierung ein solides Fundament. Sie brauchen auf Musik spezialisierte reine Streamingdienste nicht zu fürchten. Schwieriger wird es für die Privatfunkanbieter werden, denn die werden immer mehr ihre wichtigsten Kunden verlieren – nicht die Hörer, sondern die Werbetreibenden. Noch härter wird dies allerdings das Privatfernsehen treffen, dessen Kosten ja viel höher sind. Aber das ist ein ganz anderes Thema

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2021.

Konrad Dussel
Konrad Dussel ist außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte an der Universität Mannheim und freiberuflicher Wissenschaftler.
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