36. KW: Die große Freiheit der Kunst?

  1. Die große Freiheit der Kunst?
  2. Schwerpunkt in Politik & Kultur 9/24: Kunstfreiheit
  3. Sonntagstipp: „Gaming Culture: Digitale Spiele als Kulturgut“
  4. Zum Nachsehen und -hören: Online-Diskussion: „Kultur und Sport – Passt das zusammen?”
  5. Fachtagung: „Jüdisches Leben in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Autonomie“
  6. Zur Subskription! Anthologie zu „Slammt Tacheles! Poetry-Slam zum jüdischen Leben in Deutschland“
  7. Text der Woche: Verständigung ist möglich von Johann Hinrich Claussen
  8. Zum Schluss …

 


 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

vor gut 105 Jahren wurde in der im Juli 1919 verabschiedeten Weimarer Verfassung in Deutschland erstmals die Kunstfreiheit in der Verfassung verankert. In Artikel 118 der Weimarer Verfassung steht: „Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern.“

 

Nach Jahrhunderten der Repression insbesondere von Literatinnen und Literaten, der staatlichen Zensur, die dazu führte, dass Künstlerinnen und Künstler das Land verließen und im Exil lebten, war die Verankerung der Kunstfreiheit in der Weimarer Verfassung ein wesentlicher Befreiungsschritt. Allerdings wurde in dem Gesetz festgelegt, dass für die neue Kunstform Kino abweichende Regeln getroffen werden können und zum Jugendschutz gesetzliche Maßnahmen zur Einschränkung der Kunstfreiheit möglich sind. Bemerkenswert ist die Möglichkeit, die zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur eingeräumt wurde.

 

Die Weimarer Republik garantierte aber nicht nur die Freiheit der Kunst, sie war auch eine geschichtliche Epoche, in der sich besonders Künstlerinnen und Künstler für eine freie Gesellschaft, für die Demokratie und die Republik eingesetzt haben.

 

Dieser Aufbruch fand ein jähes Ende nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933. Gleich in den ersten Monaten des NS-Regimes mussten Künstlerinnen und Künstler, die sich für die Demokratie einsetzten, ihre öffentlichen Ämter räumen, teils wurden sie inhaftiert, teils flüchteten sie aus Deutschland. Im Mai 1933 wurden die Bücher unliebsamer Autorinnen und Autoren auf dem Berliner Opernplatz und an vielen anderen Orten im Deutschen Reich verbrannt. Am 22. September 1933 wurde die Reichskulturkammer unter Vorsitz von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels gegründet. Die Kunst und vor allem die Kunstschaffenden wurden fortan gleichgeschaltet. Künstlerinnen und Künstler, die während der NS-Zeit auftreten, ausstellen oder veröffentlichen wollten, mussten sich der Gleichschaltung unterwerfen. Am 10. Oktober 1945 wurde die Reichskulturkammer durch den Alliierten Kontrollrat verboten und ihr Eigentum beschlagnahmt.

 

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist seit 1949 in Artikel 5 formuliert: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

 

Es wird klargestellt, dass die Freiheit der Lehre dahingehend eingeschränkt wird, dass die Treue zur Verfassung gegeben sein muss. Diese Anforderung wird an die Kunst explizit nicht gestellt. Was Kunst ist, bestimmt der Diskurs der Kunst selbst.

 

In der Verfassung der DDR aus dem Jahr 1949 stand unter Artikel 34 „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. In der DDR-Verfassung von 1968 ist zwar noch von der Gewährleistung der Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens (Artikel 27, Absatz 2) die Rede, die Kunstfreiheit taucht aber nicht mehr explizit auf. Vielmehr wird in Artikel 25, Absatz 3 auf die Teilhabe am kulturellen Leben der Bürger eingegangen.

 

In der Verfassung der DDR wurde seit 1968 das Augenmerk auf die kulturelle Teilhabe und nicht auf die Freiheit der Kunst gelegt. In der Geschichte der DDR finden sich zahlreiche Beispiele, wie Künstlerinnen und Künstler, die gegen die Gängelung des Staats aufbegehrt haben, nicht ausstellen, publizieren oder auftreten durften und sogar inhaftiert und ausgewiesen wurden.

 

Die Freiheit der Kunst ist also kein angestammtes Recht und erst recht kein bereits seit Langem bestehendes Verfassungsgut. Die verfassungsrechtlich verankerte Kunstfreiheit schützt die Künstlerinnen und Künstler vor Zensur und vor staatlichen Zugriffen bis hin zu Verboten. Kunstfreiheit heißt auch, dass Werke scheußlich, irritierend oder geschmacklos sein können. Das heißt eben auch, dass „Schmutz und Schund“ durch die Kunstfreiheit geschützt wird. Es sei denn, dass ein Werk gegen den Jugendschutz verstößt und damit nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden darf.

 

Es gab immer Diskussionen um Kunstfreiheit. Debattiert wurde und wird, ob aus Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle die Kunstfreiheit eingeschränkt werden sollte. Diskutiert wird der Eingriff in Werke, weil sich Menschen durch bestehende Formulierungen verletzt fühlen könnten. Wir streiten darüber, inwiefern angesichts einer diversen Gesellschaft Werke aus früheren Jahrhunderten umgeschrieben werden müssten.

 

Aktuell findet eine teils sehr erregte Diskussion darüber statt, inwiefern an die Förderung von künstlerischen Projekten und Kultureinrichtungen besondere Anforderungen gelegt werden dürfen, damit mit öffentlichen Mitteln keine antisemitische Kunst gefördert wird. Der Deutsche Kulturrat hat sich gerade deutlich dafür ausgesprochen, die Freiheit der Kunst zu sichern und gleichzeitig Antisemitismus und Rassismus im Kulturbereich entschieden zu bekämpfen! Zwischen Kunstfreiheit und dem Eintreten gegen Antisemitismus und Rassismus besteht kein Widerspruch. Es sind keine Rechtsgüter, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Im Gegenteil, die Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft besteht darin, die Freiheit der Kunst ohne Wenn und Aber zu sichern und gleichzeitig Antisemitismus, Rassismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten.

 

Ihr

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 


 

2. Schwerpunkt in Politik & Kultur 9/24: Kunstfreiheit

 

Die September-Ausgabe von Politik & Kultur richtet den Schwerpunkt auf das Thema „Kunstfreiheit“. Die Beiträge dieses Schwerpunktes beleuchten verschiedene Aspekte der Kunstfreiheit: juristische, historische und kulturpolitisch aktuelle.

 

Autorinnen und Autoren des Schwerpunktes sind:

 

 

 

  • Hier finden Sie alle Beiträge des Schwerpunktes.

 


 

3. Sonntagstipp: „Gaming Culture: Digitale Spiele als Kulturgut“

 

Digitale Spiele haben sich längst als Massenmedium etabliert, sind Kunst- und Kulturgegenstand und eine wichtige Zukunftsbranche: Die Deutsche Gesellschaft e.V. wirft am 7. und 8. September 2024 im Rahmen des „GG!“ Kolloquiums zu Games und Gesellschaft einen vielfältigen Blick auf das Thema Computerspiele. Das zweitägige Kolloquium verfolgt das Ziel, die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung digitaler Spiele zu fördern, die Vielfalt des Mediums abzubilden und einem breiten Kreis der Öffentlichkeit zu vermitteln sowie Austausch und Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren sowie Institutionen zu ermöglichen und neue Impulse zu schaffen. Im Rahmen des Kolloquiums diskutiere ich am Sonntag über digitale Spiele als Kulturgut.

 

Was: Panel zum Thema „Gaming Culture: Digitale Spiele als Kulturgut“

 

Datum: Sonntag, 8. September 2024
Wann: 9:45 – 10:30 Uhr
Wo: Deutsche Gesellschaft e. V., Mauerstraße 83-84, 10117 Berlin

 

  • Hier lesen Sie das Programm des Kolloquiums.
  • Der Eintritt ist frei.
  • Die Teilnahme ist digital und vor Ort möglich.

 

 


 

4. Zum Nachsehen und -hören: Online-Diskussion: „Kultur und Sport Passt das zusammen?”

 

Kultur und Sport. Voneinander lernen – miteinander handeln“ lautet das Schwerpunktthema in der Ausgabe 7-8/24 von Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates. In Kooperation mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) werden unterschiedliche Aspekte aus beiden Perspektiven beleuchtet.

 

„Kultur und Sport – Passt das zusammen“? haben wir vergangenen Freitag in einer neuen Folge von „JaAberUnd“ gefragt. Es ging um Fragen rund um Gemeinsamkeiten, Unterschiede und zukünftige Kooperationen.

 

  • Die Online-Diskussion kann hier auf dem YouTube-Kanal des Deutschen Kulturrates nachgesehen und -gehört werden.

 


 

5. Save the Date: Fachtagung „Jüdisches Leben in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Autonomie“

 

Sollen sich Jüdinnen und Juden anpassen oder als Kollektiv zeigen und behaupten? Wie gestaltet sich das jüdische Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober 2023? Diese Fragestellungen stehen im Zentrum der Fachtagung „Jüdisches Leben in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Autonomie“ der Initiative kulturelle Integration, die am Montag, den 18. November 2024 von 10.00-17.00 Uhr im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main stattfinden wird.

 

Zum fünften Gedenktag an den Anschlag auf die Synagoge in Halle (am 9. Oktober 2019) laden dazu als Kooperationspartner ein: Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien; Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus; Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Olaf Zimmermann, Sprecher der Initiative kulturelle Integration und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.

 

Die Fachtagung wurde gemeinsam mit dem israelischen Soziologen Prof. em. Dr. Natan Sznaider, Prof. Dr. Doron Kiesel, dem Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland, und der Leiterin des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main Prof. Dr. Mirjam Wenzel konzipiert.

 

Den Eröffnungsvortrag hält Prof. em. Dr. Natan Sznaider. Alle weiteren Rednerinnen und Redner finden Sie hier im Tagungs-Programm.

 

  • Weitere Informationen zur Fachtagung lesen Sie hier.
  • Hier geht es zu den Aktionstagen zum Gedenken an den Anschlag in Halle der Jahre 2020-2023.
  • Hier erfahren Sie mehr über die Initiative kulturelle Integration.

 


 

6. Zur Subskription! Anthologie zu „Slammt Tacheles! Poetry-Slam zum jüdischen Leben in Deutschland“

 

Am 9. Oktober 2024 erscheint die Anthologie zu „Slammt Tacheles! Poetry-Slam zum jüdischen Leben in Deutschland“ Ich freue mich, das Buch gemeinsam mit Denise Bretz und Henrik Szántó herausgeben zu dürfen.

 

Die Anthologie stellt 21 Texte aus der Jury-Vorauswahl des Wettbewerbs „Slammt Tacheles! Poetry Slam zum jüdischen Leben in Deutschland“ vor, inklusive der zehn prämierten Texte in drei Preiskategorien, und lädt ein in die Lebens- und Gedankenwelt von Jüdinnen*Juden in Deutschland und ihren Verbündeten.

 

Jetzt zum Subskriptionspreis bestellen! Wenn Sie bis zum 8. Oktober 2024 über den Online-Shop des Deutschen Kulturrates die Anthologie bestellen, erhalten Sie einen 20-prozentigen Preisnachlass. Das Buch wird Ihnen versandkostenfrei zu einem Preis von 14,20 Euro zugesandt.

 

  • Hier geht es zum Online-Shop.

 

Slammt Tacheles!

Poetry Slam zum jüdischen Leben in Deutschland

Hg. v. Denise Bretz, Henrik Szántó und Olaf Zimmermann

ISBN: 978-3-95461-257-4

160 Seiten, 17,80 Euro

 


 

7. Text der Woche: Verständigung ist möglich von Johann Hinrich Claussen

 

Es gibt offensichtlich Menschen, die sich selbst erst dann spüren, wenn sie ihre gesamte Umwelt gegen sich aufgebracht haben. Das ist ein bedenklicher Charakterzug, der leider von Medienleuten regelmäßig ausgenutzt wird, um Dynamik in ihre Produkte zu bringen, auch wenn am Ende nur Unsinn, Verirrung und Erschöpfung stehen. Ganze Karrieren, journalistische und politische, speisen sich aus dieser Mechanik.

 

Johann Hinrich Claussen ist Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland

 

  • Hier lesen Sie den ganzen Text.

 


 

8. Zum Schluss …

 

Kultur braucht viel mehr Inklusion! Der Behindertenbeauftragte Jürgen Dusel und der Deutsche Kulturrat haben am Dienstag dazu eingeladen, zusammen mit Behinderten- und Kulturverbänden über Teilhabeempfehlungen von Behinderten an Kulturangeboten zu diskutieren. Im Dezember wollen wir die gemeinsamen Empfehlungen der Öffentlichkeit vorstellen.

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