Kulturzuständigkeit ist mehr als Kulturförderung!

Diskussionspapier des Deutschen Kulturrates zur Entflechtung der Kompetenzen von Bund und Ländern

Berlin, den 24.06.2004. Im Zuge der Debatten der „Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ (Föderalismuskommission) werden von den Ländern sowie von einzelnen Sachverständigen die Bereiche Bildung und Kultur als die Politikfelder angeführt, in denen die Zuständigkeit ganz auf die Länder übergehen soll. Es wird darauf abgehoben, dass Bildung und Kultur Kernbereiche der Eigenstaatlichkeit der Länder sind und im Sinne eines föderalen Wettbewerbs diese Politikfelder in der Gestaltung der Länder liegen sollte. Die Kompetenz des Bundes soll auf seine angeblich originäre Zuständigkeit in der Auswärtigen Kulturpolitik zurückgeführt werden.

 

Die Länder und die Kommunen übernehmen bisher den größten Teil der Kulturfinanzierung in Deutschland. Hier hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein lebendiges kulturelles Leben mit einer jeweiligen regionalen bzw. landesspezifischen Ausprägung entwickelt. Nicht zuletzt dem Föderalismus ist es unbestritten – in der alten Bundesrepublik – zu verdanken, dass Deutschland über eine ausdifferenzierte und breite Kulturlandschaft verfügt. Ebenso wie die Länder und die Kommunen in erster Linie für die kulturelle Infrastruktur sich verantwortlich zeigen, übernimmt aber auch der Bund bereits seit Jahrzehnten Verantwortung in der Finanzierung von Kultureinrichtungen und -projekten von nationaler bzw. überregionaler Bedeutung.

 

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, beobachtet jedoch die erneute Diskussion um die Entflechtung der Kulturförderung von Bund und Ländern mit erheblicher Sorge.

 

Gestaltung von Rahmenbedingungen

Kulturpolitik des Bundes ist vor allem auch die Gestaltung von Rahmenbedingungen im Bereich der Steuergesetzgebung, des Urheberrechts oder auch des Arbeits- und Sozialrechts. Diese Politikfelder gehören in die originäre Zuständigkeit des Bundes. Sie werden in zunehmendem Maße durch die europäische Rechtssetzung vorgeprägt. Im Urheberrecht ist deutlich zu beobachten, dass die deutsche Gesetzgebung wesentlich von europäischen Richtlinien vorgeprägt wird, wodurch die Einflussnahme auf europäische Rechtssetzungsakte immer wichtiger wird. In der Steuergesetzgebung sind im Zuge der Mehrwertsteuerharmonisierung in der Europäischen Union ähnliche Tendenzen zu verzeichnen. D.h. die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Entwicklung eines ausdifferenzierten kulturellen Lebens werden zu erheblichen Teilen auf der europäischen und/oder der Bundesebene gestaltet.

 

In den vergangenen Jahren wurde seit der Einsetzung des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag sowie der Einrichtung des Amtes des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien die kulturpolitische Debatte vertieft und erweitert. Nicht mehr nur eine Handvoll von Abgeordneten im Deutschen Bundestag kümmert sich um ein vermeintlich exotisches Thema, sondern Kulturpolitik ist ein wichtiger Bestandteil der Debatten im Deutschen Bundestag. Die Diskussion um die Reformen des Stiftungsrecht und des Stiftungssteuerrecht hat gezeigt, dass kulturpolitische Themen auch breite Bevölkerungsschichten betreffen. Die Debatte um Raubkopien und die Umsatzeinbrüche in der Tonträgerindustrie machen deutlich, dass es sich bei Kultur auch um ein Wirtschaftsgut handelt. Die Investition in neue Talente verlangt ein entsprechendes wirtschaftliches Umfeld. Längst hat sich in diesem Zusammenhang das Urheberrecht zum Marktordnungsrecht entwickelt. Die anstehenden Reformen in der Krankenversicherung werden Künstlerinnen und Künstler als eine Versichertengruppe mit spezifischen Problemlagen besondern betreffen.

 

Die Gestaltung der Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur muss in den Ausschüssen des Deutschen Bundestags debattiert und durch sachkundige Abgeordnete vorangetrieben werden.

 

Auf Seiten der Exekutive gilt es, das Instrument der Kulturverträglichkeitsprüfung weiterzuentwickeln und die Behörde der Staatsministerin für Kultur und Medien auch bei solchen Gesetzgebungsmaßnahmen gegebenenfalls noch stärker zu beteiligen, die auf den ersten Blick zwar nicht dem Kulturbereich zu zuordnen sind, jedoch große Auswirkungen auf Kunst und Kultur haben können. Verschiedene Bundesministerien gestalten die Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur. Hier ist die erforderliche sachliche Kompetenz vorhanden, dieses spezielle Themenfeld auf nationalem, europäischem und internationalem Parkett zu vertreten.

 

Die Zivilgesellschaft ist ein wichtiges Frühwarnsystem für mögliche negative Auswirkungen von Gesetzen. Ihre Beteiligung ist daher unerlässlich, um bereits im vorgesetzlichen Raum den Sachverstand aus den Verbänden einzubinden. Hier wird eine Verbindung zur Umsetzung vor Ort hergestellt. Die bundesweit arbeitenden Kulturverbände leisten eine wesentliche Arbeit im Informationsaustausch und der Vermittlung der Anliegen ihrer Mitglieder untereinander sowie gegenüber der Politik und Verwaltung.

 

Die europäische Vereinigung bedeutet auch für den Kulturbereich eine tiefgreifende Veränderung. Zwar soll die Kulturförderung nach dem Subsidiaritätsprinzip auch in der künftigen Europäischen Verfassung den Mitgliedstaaten zugewiesen werden, doch wird gerade auf der europäischen Ebene sehr wirkungsvoll Kulturpolitik in anderen Politikfeldern wie dem Wettbewerbsrecht, dem Handelsrecht oder der Binnenmarktpolitik gestaltet. Ein prägnantes Beispiel hierfür sind die jahrelangen Auseinandersetzungen um den Erhalt der grenzüberschreitenden Buchpreisbindung. Da die Europäische Union schon heute das Verhandlungsmandat für die Mitgliedstaaten bei internationalen Abkommen wie zum Beispiel dem GATS-Abkommen (Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) hat, wird es in der Zukunft vermehrt darauf ankommen, die deutschen Interessen in der Kulturpolitik wirkungsvoll in den Gremien der Europäischen Union zu vertreten. Dabei geht es weniger um die Kulturförderung als vielmehr um die Ordnungspolitik in den Feldern, in denen Europa die Kompetenzen besitzt.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert den Bund auf, bei der Vertretung der deutschen Interessen in den europäischen Gremien verstärkt den Kulturbereich zu berücksichtigen. Insbesondere ist auch hier, die Kulturverträglichkeitsklausel zu berücksichtigen.

 

Kulturförderung des Bundes

Neben der Gestaltung der Rahmenbedingungen übernimmt der Bund auch Aufgaben in der Kulturförderung. Originär laut Grundgesetz zuständig ist er für die Auswärtige Kulturpolitik. Der Deutsche Kulturrat sieht mit Sorge, dass die Etats für die Auswärtige Kulturpolitik in den vergangenen Jahren zurückgefahren wurden. Der Deutsche Kulturrat fordert den Bund auf, in diesem unstrittigen Bereich seiner grundgesetzlichen Verantwortung nachzukommen und für eine den wachsenden Anforderungen adäquate Mittelausstattung in der Auswärtigen Kulturpolitik Sorge zu tragen. Dazu gehört, die Auswärtige Kulturpolitik aus den im Koch/Steinbrück-Papier aufgeführten Finanzhilfen gänzlich und auf Dauer herauszunehmen.

 

Über Jahrzehnte hat der Bund im Inland Aufgaben in der Kulturfinanzierung übernommen. Die Mischfinanzierung von Bund und Ländern bei Einrichtungen wie zum Beispiel den Bayreuther Festspielen, dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach, den Ruhrfestspielen Recklinghausen oder auch der Dokumenta ist historisch gewachsen. Es handelt sich bei diesen Einrichtungen bzw. Ereignissen zweifellos um Institutionen von gesamtstaatlicher Bedeutung. Sie strahlen weit über das Bundesland z.T. über ganz Deutschland hinaus und erreichen ein Fach- oder kulturell interessiertes Publikum aus der gesamten Bundesrepublik. Diese Mischfinanzierungen haben bislang keine Irritationen über grundgesetzliche Zuständigkeiten verursacht. Ihr gesamtstaatlicher Nutzen ist unstrittig, was eine neutrale Evaluation auch zeigen könnte.

 

Mit der deutschen Vereinigung sind die Aufgaben des Bundes in der Kulturförderung gewachsen. In den ersten Jahren nach der Vereinigung hat der Bund bis zum Jahr 1995 weitgehende Aufgaben in der Finanzierung der kulturellen Infrastruktur in den neuen Ländern übernommen, da diese ihrer finanziellen Verantwortung noch nicht nachkommen konnten. Das Engagement des Bundes wurde in den letzten Jahren angesichts des Solidarpaktes I und II sukzessive zurückgefahren, so dass sich der Bund auch in den neuen Ländern immer stärker auf die Unterstützung national bedeutsamer Kultureinrichtungen konzentriert.

 

Gemeinsame Bildungsplanung

Im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) wurden in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche wichtige Modellprojekte – gerade im Feld der kulturellen Bildung bzw. im Bereich der Entwicklung von Ausbildungsmodellen auf Hochschulebene – gefördert. Dies gilt etwa für den Bereich der Kunsttherapie, für Qualifizierung der Kulturpolitik im Rahmen von – inzwischen etablierten – Kulturmanagement-Ausbildungen oder für Projekte, in denen neue Beschäftigungsmöglichkeiten für Künstler erkundet wurden. Diese Zusammenarbeit hat sich zumindest im Kulturbereich bewährt. Daneben ist eine Stärkung der kulturpolitischen Dimension der Kultusministerkonferenz ausgesprochen wünschenswert. Sie bedarf allerdings keiner gesetzlichen Veränderung. Sie muss lediglich von den Ländern praktiziert werden.

 

Aus Ländersicht wird eine Kompetenzübertragung der öffentlichen Fürsorge, hier: bei „ergänzenden öffentlichen Leistungen im Bereich Erziehung und Bildung“ gefordert. Sofern hiermit auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (Buch VIII des Sozialgesetzbuches) gemeint ist, ist zum einen auf die bislang erfolgreiche Praxis der Bundesförderung – etwa im Rahmen des Kinder- und Jugendplan des Bundes -, zum anderen auf die verfassungsgerichtliche Grundsatzerklärung aus dem Jahr 1967 hinzuweisen. Demzufolge ist die Zuständigkeit des Bundes in der Anregung und Förderung im Rahmen der Jugendhilfe unstrittig. Dies gilt insbesondere für Aktivitäten gemäß § 11 KJHG.

 

Die Förderung von national bedeutsamen Einrichtungen erfolgte bislang nach deren Qualität und bundesweiter Ausstrahlung bzw. Bedeutung. Diesen Maßstab, die Qualität künstlerischer Leistung, legen auch die bundesweit fördernden selbstverwalteten Fonds wie der Deutsche Literaturfonds, der Fonds Darstellende Künste, der Fonds Soziokultur und die Stiftung Kunstfonds an.

 

Den Deutschen Kulturrat befremdet, dass die Ministerpräsidenten als Voraussetzung für die Fusion der Kulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung der Länder im Zuge einer Systematisierung der Kulturförderung von Bund und Länder einheitliche Sitzlandquoten für einzelne Förderbereiche sowie die Festlegung von einheitlichen Förderquoten für einzelne Förderbereiche fordern.

 

Forderungen des Deutschen Kulturrates

Der Deutsche Kulturrat fordert Bund und Länder auf, an der Mischfinanzierung von national bedeutsamen Einrichtungen oder Institutionen festzuhalten. Diese Mischfinanzierungen basieren auf Zuschüssen des jeweiligen Sitzlandes einer Einrichtung, der Kommune, eigenen Einnahmen und einem Bundeszuschuss. Ein solcher Bundeszuschuss stellt die Kulturhoheit der Länder nicht in Frage. Er ermöglicht vielmehr den Erhalt bzw. den Ausbau national bedeutsamer bzw. zentraler Einrichtungen. Sollte der Bund im Zuge einer radikalen Entflechtung der Förderkompetenzen von Bund und Ländern diese Einrichtungen nicht mehr fördern dürfte, müssten die Länder gemeinsam in die Verantwortung eintreten.

 

Mit Sorge verfolgt der Deutsche Kulturrat, dass im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses die Exekutive gestärkt wird, die Parlamente, insbesondere die Landtage an Einflussmöglichkeiten verlieren. Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Mitglieder der Föderalismuskommission auf, für eine Stärkung der Entscheidungskompetenzen der Parlamente einzutreten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Einbeziehung des Sachverstands aus den Verbänden des Kulturbereiches, um so die Kompetenzen aus diesen Organisationen zu nutzen und die Bürgerinnen und Bürger stärker zu beteiligen.

 

„Staat“ bedeutet heute jedoch nicht nur die Berücksichtigung der drei Gewalten: der moderne Staat kann seine Steuerungsprobleme nur lösen, wenn er etwa durch eine systematische Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft seine legitimatorische Basis verbreitert, so wie inzwischen in internationalen Kontexten, insbesondere auf der europäischen Ebene, üblich ist.

Vorheriger ArtikelDeutscher Kulturrat fordert Politik auf, die soziale Sicherung der Künstlerinnen und Künstler zu stärken!
Nächster ArtikelEntwurf des „Gesetz zur Änderung des Deutsche-Welle-Gesetzes“ (Drucksache 15/3278): Stellungnahme des Deutschen Kulturrates