Deutscher Kulturrat fordert Politik auf, die soziale Sicherung der Künstlerinnen und Künstler zu stärken!

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 24.06.2004. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, fordert den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung auf, die soziale Sicherung der freiberuflichen Künstlerinnen und Künstler zu stärken. Künstlerinnen und Künstler leisten mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Teil zur Selbstvergewisserung und Reflektion der Gesellschaft.

 

Freiberufliche Künstler und Publizisten sind seit 1983 Pflichtmitglied in der Künstlersozialversicherung. Sie haben damit in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zumindest grundsätzlich den selben Versicherungsschutz wie Arbeitnehmer. Die Beiträge zur Künstlersozialversicherung werden zu 50% von den Versicherten selbst, zu 30% von den Verwertern künstlerischer Leistungen und zu 20% durch einen Bundeszuschuss gedeckt. Der Bundeszuschuss wird aus sozial- und kulturpolitischen Gründen gezahlt.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung auf, bei anstehenden Änderungen der sozialen Sicherungssysteme die spezifische Situation der freiberuflichen Künstlerinnen und Künstler zu berücksichtigen.

 

Der Deutsche Kulturrat sieht besonders die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“ in der Verantwortung, über die aktuelle Tagespolitik hinaus in ihren Handlungsempfehlungen Modelle zu entwickeln, wie die soziale Sicherung der Künstlerinnen und Künstler verbessert werden kann. Auslöser für die Einrichtung der Künstlersozialkasse war die so genannte Künstler-Enquete in der Mitte der 70er Jahre. Im Einsetzungsbeschluss der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“ wird hierauf Bezug genommen. Der Deutsche Kulturrat versteht dieses als Verpflichtung der Enquete-Kommission, Modelle zu entwickeln, wie die soziale Sicherung der Künstler zukunftsfest gemacht werden kann. Dabei müssen die zur Zeit diskutierten Modelle künftiger sozialer Sicherungssysteme wie z.B. die „Bürgerversicherung“ und die „Kopfpauschale“ auf ihre möglichen Auswirkungen auf die soziale Sicherung der Künstlerinnen und Künstler rechtzeitig abgeklopft werden.

 

Freiberufliche Künstlerinnen und Künstler dürfen bei einer Neugestaltung der sozialen Sicherungssysteme nicht auf der Strecke bleiben!

 

Krankenversicherung
Den Deutschen Kulturrat erfüllt mit Sorge, dass die zur Diskussion stehenden Modelle der „Bürgerversicherung“ und der „Kopfpauschale“ das System der sozialen Sicherung der Künstler und Publizisten gefährden könnten. Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Bundesregierung, den Deutschen Bundestag und die Parteien auf, bei ihren Überlegungen zur Veränderung der Krankenversicherung die bisher gewollten Besonderheiten der Künstlersozialversicherung zu berücksichtigen.

 

Mit Sorge erfüllen den Deutschen Kulturrat weiter die im Gesundheitsmodernisierungsgesetz verabschiedeten Änderungen (Praxisgebühr, Zahnersatz, Krankengeld, Zuzahlungen). Freiberufliche Künstlerinnen und Künstler können mit ihren, wie die Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag „Wirtschaftliche und soziale Entwicklung der künstlerischen Berufe und des Kunstbetriebs in Deutschland“ selbst bestätigt, unterdurchschnittlichen Einkommen diese Eigenleistungen kaum erbringen. Bundesregierung und Parlament sind daher aufgefordert, Lösungen für diese Personengruppe zu entwickeln, damit sie weiterhin Krankengeld und Zahnersatz in Anspruch nehmen kann.

 

Rentenversicherung
Freiberufliche Künstlerinnen und Künstler erzielen in ihrer überwiegenden Mehrheit ein unterdurchschnittliches Einkommen. Die Bundesregierung gibt in ihrer bereits erwähnten Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag „Wirtschaftliche und soziale Entwicklung der künstlerischen Berufe und des Kunstbetriebs in Deutschland“ das Durchschnittseinkommen der in der Künstlersozialkasse Versicherten mit rund 11.000 Euro im Jahr an. Ein solch geringes Einkommen hat zur Folge, dass im Rentenalter nur sehr kleine Renten zu erwarten sind. Die Mehrzahl der Künstlerinnen und Künstler wird daher im Alter auf die bedarfsorientierte Grundsicherung angewiesen sein.

 

Die Generation der Künstlerinnen und Künstler, die jetzt und in den kommenden zwei Jahrzehnten das Rentenalter erreichen, stehen zusätzlich vor dem Problem, dass sie einen vollen Versicherungszeitraum von 40 Jahren nicht erreichen können, da die Künstlersozialkasse erst im Jahr 1983 errichtet wurde und freiberufliche Künstlerinnen und Künstler zuvor nicht Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung werden konnten. Diese Personengruppe bezieht auf Grund der kürzeren Versicherungszeiten daher eine besonders kleine Altersrente und muss in besonderem Maße die bedarfsorientierte Grundsicherung in Anspruch nehmen.

 

Die bedarfsorientierte Grundsicherung entspricht der Sozialhilfe und ist für Fälle gedacht, in denen Personen aus verschiedenen Gründen am Arbeitsleben nicht teilnehmen und deshalb nur geringe Rentenanwartschaften aufbauen konnten. Auf Künstlerinnen und Künstler trifft dieses nicht zu. Es ist deshalb nicht sachgerecht, dass diese Berufe nach arbeitsreichen Jahren und der Schaffung von Werken, die sich heute vielleicht noch einer abschließenden Bewertung entziehen, in Altersarmut fallen.

 

Die bestehenden Alterssicherungssysteme reichen auf Grund der geringen Einkommen und teilweise der kürzeren Versicherungszeiten nicht aus, Künstlerinnen und Künstlern eine auskömmliche Rente zu ermöglichen. Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Bundesregierung, den Deutschen Bundestag und in besonderem Maße die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“ auf, Modelle zu entwickeln, nach denen freiberufliche Künstlerinnen und Künstler trotz ihres geringen Einkommens eine zusätzliche Alterssicherung aufbauen können. Dieses würde mittelfristig auch zu einer Entlastung der öffentlichen Haushalte führen, da die bedarfsorientierte Grundsicherung dann weniger in Anspruch genommen werden müsste. Die neuen Modelle dürfen nicht zu einer höheren Belastung der Abgabepflichtigen führen. Der Deutsche Kulturrat wird sich an der Entwicklung solcher Modelle beteiligen.

 

Künstlersozialkasse
Die Künstlersozialkasse ist zur Zeit organisatorisch an die Unfallkasse des Bundes angebunden. Die Anbindung an eine Sozialversicherung war gerade in den Anfangsjahren der Künstlersozialkasse erforderlich, um die erforderliche Sachkenntnis entwickeln zu können. In den mehr als zwanzig Jahren ihres Bestehens hat sich die Künstlersozialkasse jedoch zu einer anerkannten Institution entwickelt, die unbestritten über die erforderlichen sachlichen und personellen Kompetenzen verfügt, um ihren Auftrag sachgerecht zu erfüllen. Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Selbständigkeit der Künstlersozialkasse.

 

Erfordernis der sozialen Sicherung von Künstlern
Kunst und Kultur sind unverzichtbar für die Gesellschaft. Ohne Künstlerinnen und Künstler, Autorinnen und Autoren würden künstlerische Werke weder geschaffen noch aufgeführt werden. Eine angemessene soziale Sicherung der freiberuflichen Künstlerinnen und Künstler liegt im Interesse der gesamten Gesellschaft, damit diese Berufsgruppe sich ihrer eigentlichen Arbeit, der Kunst, widmen kann, und bei Krankheit und Invalidität sowie im Alter abgesichert ist.

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