„Grünbuch der EU-Kommission über die Zukunft der Mehrwertsteuer Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizienteren Mehrwertsteuersystem“ KOM (2010) 695 endgültig: Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 31.05.2011. Mit Interesse hat der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, das „Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer. Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizienteren Mehrwertsteuersystem“ zur Kenntnis genommen. Ein kulturfreundliches Steuerrecht kann dazu beitragen, dass sich mehr Menschen in Kulturorganisationen engagieren, dass Kulturorganisationen unkomplizierter ihren steuerlichen Pflichten nachkommen können, dass der Kulturaustausch unbürokratischer abläuft, dass der Kauf von Kulturgütern breiten Bevölkerungsschichten möglich ist und vieles andere mehr.

 

Der Deutsche Kulturrat ist der Auffassung, dass im Mehrwertsteuersystem den EU-Mitgliedsstaaten im Bereich der Kultur soweit als möglich ein Gestaltungsspielraum verbleiben sollte. In den verschiedenen europäischen Verträgen, zuletzt im Vertrag von Lissabon, wurde der EU in Fragen der Kulturpolitik stets eine subsidiäre Funktion zugewiesen. Zuerst sind die Mitgliedstaaten gefordert, kulturpolitisch aktiv zu werden. Da laut den Europäischen Verträgen die anderen Politikfelder auf ihre Wirkungen auf den Kulturbereich hin überprüft werden müssen (Kulturverträglichkeitsprüfung), ist der Deutsche Kulturrat der Überzeugung, dass im vorliegenden Fall die Kulturverträglichkeitsprüfung zwingend zu dem Schluss führen wird, die Gestaltung des Mehrwertsteuersystems im Bereich der Kultur soweit als möglich in der Hand der EU-Mitgliedstaaten zu belassen, damit sie auch mittels steuerlicher Vorschriften, die Kultur stärken und fördern können.

 

Diese Auffassung wird durch das von den EU-Mitgliedstaaten sowie der EU selbst ratifizierte UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zusätzlich unterstützt. In Art. 1 h wird das souveräne Recht der Staaten bekräftigt, Maßnahmen beizubehalten bzw. zu ergreifen, die sie für den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in ihrem Hoheitsgebiet für angemessen erachten. In Art. 6 (2) werden diese Maßnahmen näher beschrieben. Der Deutsche Kulturrat sieht sich nicht zuletzt durch das UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen darin bestärkt, dass die Gestaltung und die Verwaltung des Mehrwertsteuersystems vor allem in der Hand der Nationalstaaten bleiben sollen.

 

Der Deutsche Kulturrat wird im Folgenden zu zwei ausgewählten Fragen aus kulturpolitischer Sicht Stellung nehmen.

 

Frage 6: Welche Mehrwertssteuerbefreiungen sollen abgeschafft werden? Erklären Sie bitte, weshalb Sie diese Befreiungen für problematisch halten. Welche Steuerbefreiungen sollen beibehalten werden? Führen Sie bitte Gründe an.

 

Der Deutsche Kulturrat setzt sich auf nationaler Ebene bereits seit längerem dafür ein, Kultureinrichtungen ein Optionsrecht einzuräumen, mit dem ihnen der Verzicht auf eine Umsatzsteuerbefreiung für kulturelle Dienstleistungen ermöglicht wird. Bereits die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“ hat in ihrem Schlussbericht (Bundestagsdrucksache 16/7000) ein solches Optionsrecht empfohlen, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Kultureinrichtungen gibt, die – entgegen dem eigentlichen Sinn und Zweck einer Entlastung der Kosten kultureller Dienstleistungen von der Umsatzsteuer – de facto umsatzsteuerlich belastet werden, weil sie aufgrund einer Umsatzsteuerbefreiung nicht mehr zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Aktuell stehen insbesondere privatwirtschaftliche Kultureinrichtungen vor dem Problem, dass die Finanzbehörden von sich aus für eine Umsatzsteuerbefreiung votieren und die entsprechenden Schritte bei den zuständigen Kulturbehörden einleiten, ohne zuvor mit den Kultureinrichtungen Rücksprache genommen zu haben. Für die Kultureinrichtungen hat dieses Vorgehen negative Auswirkungen, da oftmals in beträchtlichem Umfang bereits erstattete Vorsteuern wieder zurückgezahlt werden müssen.

 

Bislang kann der nationale Gesetzgeber aufgrund der bestehenden EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie ein solches Optionsrecht – wie es zum Beispiel bei bestimmten Finanzumsätzen und im Bereich der Immobilienwirtschaft bereits bestehen – nicht einräumen. Der Deutsche Kulturrat appelliert an die EU-Kommission ein solches Optionsrecht auch für den Kulturbereich vorzuschlagen, damit im oben beschriebenen Sinne die Nationalstaaten die Möglichkeit erhalten, kulturpolitisch sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen.

 

Frage 19: Verursacht die derzeitige Struktur der Mehrwertsteuersätze Ihrer Ansicht nach größere Beeinträchtigungen des Binnenmarktes (Wettbewerbsverzerrungen), eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Produkte (insbesondere von Online-Diensten gegenüber Produkten mit ähnlichem Inhalt) oder höhere Befolgungskosten für Unternehmen? Wenn ja, in welchen Situationen?

 

Frage 20: Würden Sie es vorziehen, wenn es keine ermäßigten Sätze (oder nur sehr wenige) gäbe, so dass die Mitgliedstaaten einen niedrigeren Normalsatz anwenden könnten? Oder würden Sie eine Liste verbindlicher, einheitlich angewandter ermäßigter Mehrwertsteuersätze in der EU befürworten, etwa um bestimmte politische Ziele zu verwirklichen, die insbesondere in „Europa 2020“ ausgeführt sind?

 

Im Grünbuch selbst nimmt die Kommission auf die kulturpolitische Bedeutung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze für einen einfacheren Zugang zu Kultur und Bildung Bezug. Auch führt die Kommission aus, dass weder die Variationen beim Normalsatz in der EU noch die ermäßigten Mehrwertsteuersätze einiger Mitgliedstaaten den Binnenmarkt stören. D.h., dass das bestehende System der unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze, der Ermäßigungen wie auch in einigen Fällen der Befreiungen zu keinen Beeinträchtigungen führen.

 

Der Deutsche Kulturrat unterstreicht noch einmal die Bedeutung der Mehrwertsteuerermäßigungen und -befreiungen für den Kulturbereich. Er appelliert sowohl an die EU-Kommission als auch den nationalen Gesetzgeber an den bestehenden Tatbeständen festzuhalten und sie den neuen technischen Gegebenheiten wie z.B. bei E-Books, dem künstlerischen Siebdruck und künstlerische Fotografie, der Videokunst und anderen anzupassen sowie bestehende Ungleichbehandlungen mit Blick auf die positiven wirtschaftlichen und kulturellen Anreize, die mit einer solchen Privilegierung einhergehen, zu beseitigen.

 

Die Aufstellung einer neuen verbindlichen Liste von Mehrwertsteuerermäßigungen bzw. -befreiungen hält der Deutsche Kulturrat für nicht sachgerecht, da eine solche Liste den Entwicklungen des Kulturbereichs nicht gerecht werden könnte und voraussichtlich überdies zu einem Mehr statt einem Weniger an Bürokratie führen würde.

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