Schluss mit der Luther-Apologie

„Ich Martinus Luther, genant Doctor der heyligen schrifft, Augustiner tzu Wittenbergk, fug meniglich zu wissen, das durch meyn willen, radt und zuthat auff montag noch Sanct Nicolai ym M.D.XX. Jar vorprennet seyn die Bucher des Pabsts von Rhom und ettlich seyner Jungernn.“

 

„Martin Luther – Ein Name wie Donnerhall! Geht es nicht auch weniger pathetisch?“, fragte Olaf Zimmermann in seiner Einführung zu dieser Kolumnenreihe. Darauf gibt es eine klare Antwort: Es geht.

 

Luther der deutsche Nationalheilige

Martin Luther gehört heute zu den bekanntesten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte. Geht es nach einigen populären Darstellungen, so war er es, der die gesamte abendländische Kirche veränderte. Er erfreut sich, von Jahrhundert zu Jahrhundert immer größer werdender Beliebtheit, und erfährt als anti-papistischer Held noch heute bei allen Kritikern der katholischen Kirche größte Verehrung. Gerade nach 1945 war die Sehnsucht nach einem positiven erinnerungskulturellen Bezugspunkt in der deutschen Geschichte der vor 1933 lag, enorm groß.

 

Seine kulturtouristische Vermarktungsfähigkeit hat Luther allemal unter Beweis gestellt. Regelmäßige Lutherjubiläen trugen das ihre dazu bei, den Gelehrten und Theologen als wahren Propheten erscheinen zu lassen, der Übermenschliches geleistet habe. Es entstand das „verlogene Bild eines Halbgottes oder vielmehr eines Heiligen mit rosigen Wangen, lockigem Haar, väterlicher Miene und sanftmütiger Sprache“ (Lucien Febvre: Martin Luther, Frankfurt am Main 1996, S. 35).

„Das Luther-Jubiläum 2017 ist ein schöner Anlass, das in Deutschland gehätschelte Lutherbild endlich einmal zu revidieren.“

Das Luther-Jubiläum 2017 ist ein schöner Anlass, das in Deutschland gehätschelte Lutherbild endlich einmal zu revidieren. Jedes Jahrhundert zimmerte sich seinen eigenen Luther. Letztlich ist so eine Symbolfigur entstanden, die gehörig verzeichnet ist. – Es wäre sicherlich sehr interessant für die Leserinnen und Leser der puk, an dieser Stelle einmal einen Beitrag über das Luther-Jubiläum 1917 zu lesen. – Auch der Umgang mit Luthers Theologie ist empörend selektiv. Höchste Zeit also, die übliche Luther-Apologie zu überwinden und die quasi-hagiographische Darstellung seines Lebens und Wirkens zu beenden. Wenden wir uns also einigen wenigen, gerne ausgeblendeten oder ungerechtfertigt positiv beschriebenen Seiten Luthers zu.

 

Luther der rituelle Bücherverbrenner

Am 10. Dezember 1520 brannte in Wittenberg vor dem Elstertor ein Feuer. Der Bergmannsohn, Nachfahre von Bauern und ehemalige Augustinermönch, der Bibelprofessor Martin Luther (eigentlich: Luder) verbrannte eigenhändig die Bannandrohungs-Bulle „Exurge Domine“ (Erhebe dich, Herr!) von Papst Leo X., das kanonische Rechtsbuch, die Schriften des Ingolstädter Professors Johannes Maier aus Eck (gen. Johannes Eck) und andere Bücher mit den Worten: „Weil du die Warheit Gottes verderbt hast, verderbe dich heute der Herr“. Das ist die erste in Deutschland nachweisbare rituelle Bücherverbrennung. Luther freute sich über diese „Hinrichtung unliebsamen Gedankenguts“ (Katja Lehman) später mehr als über jede andere Tat seines Lebens.

 

Apologeten feiern noch heute diesen Akt der Barbarei als symbolische Tat der endgültigen Abkehr von Rom. Dies ist unwahr. Wahr ist vielmehr: Erst brennen die Bücher, dann die Menschen. Die Reformation brauchte nur kurze Zeit, bis sie anfing, Abweichler aus ihren eigenen Reihen zu verbrennen. Neuere Untersuchungen ergaben, dass es insbesondere die protestantischen Kernlande waren, in denen später der Hexenwahn am ausgeprägtesten sein Unwesen trieb.

 

Luther der judenfeindliche Gottesbarbar

Luther hat den Anti-Judaismus nicht erfunden, dieser war weit verbreitet. Zunächst ging es ihm auch darum, die Juden zum Protestantismus zu bekehren, nachdem doch der „Doctor uber alle Doctor jm gantzen Bapsttum“ die letzten Wahrheiten erkundet hatte. Als die renitenten Juden sich diesem Ansinnen jedoch nicht beugten, wandelte er sich zum erbitterten Judenfeind. Viele seiner Äußerungen bereicherten später die Sprache der Nationalsozialisten und seine Ideen zum Umgang mit Juden wurden in den Pogromen der Faschisten in letzter Präzision umgesetzt.

 

So lesen wir in „Von den Jüden und iren Lügen“ (1543): „Ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist’s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen. Wenn ich könnte, wo würde ich ihn [den Juden] niederstrecken und in meinem Zorn mit dem Schwert durchbohren. Jawohl, sie halten uns [Christen] in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen sie dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben sanft und wohl von unserm erarbeiteten Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an, das wir arbeiten und sie faule Juncker lassen sein … sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.“

Torsten Ehrke
Torsten Ehrke war als Referent der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen an der Arbeit der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland" beteiligt. Er ist Vorsitzender des Stiftung St. Georg Kapelle Neuruppin e.V.
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