Dem Gemeinwohl verpflichtet

Nachhaltige Stadtplanung

„Eine einheitliche großzügige Lösung zu finden, sowohl für die Forderungen des Verkehrs, als für diejenigen der Schönheit, der Volksgesundheit und der Wirtschaftlichkeit“, so heißt es in der Ausschreibung zum Wettbewerb des Grundplanes zur Bebauung Groß-Berlins 1910. Dies könnte man als eine ältere, aber immer noch zutreffende Beschreibung des Aufgabenspektrums der Stadtplanung bezeichnen und damit auch erklären, dass Stadtplanung als Fachdisziplin seit 100 Jahren der Nachhaltigkeit verpflichtet ist. Auch wenn hier andere Bezeichnungen als in dem späteren Nachhaltigkeitsdreieck vom Gleichklang von Ökonomie, Ökologie und Sozialem benutzt werden, so war doch auch damals schon gemeint, dass zu einer Schönheit der Stadt und zur Gesundheit der Stadt selbstverständlich Freiräume, Grünoasen und große Grünzüge gehören, die neben der dichten, heute wieder urban genannten Bebauung die Stadt lebenswert machen.

 

Kennzeichen der Raumplanung, oder wenn man ihre Wirkungsebenen betrachtet, der Stadt-, Regional- und Landesplanung, ist die integrierte Betrachtung aller für das Leben der Menschen wichtigen Aspekte und der Versuch, diese miteinander in Einklang zu bringen. So ist das Abwägungsgebot wichtigster Kernpunkt des Wirkens der Planenden. Sämtliche bestehenden und erkennbaren, auch zukünftigen, Belange sind in der Planung gerecht untereinander und miteinander abzuwägen. Dies ist selbstverständlich, wie jedes gesellschaftliche Wirken, immer politisch. Je nach den Zeitläufen wandeln sich die Bewertungen und damit auch die jeweiligen Abwägungsrichtungen, aber sie sind nicht modisch im Sinne eines Zeitgeschmacks. Stadtplanung ist als Fachdisziplin grundsätzlich nachhaltig, wenn sie es nicht ist, dann wurde die Abwägung einseitig zulasten eines Aspektes vernachlässigt.

 

Da die Stadtplanung das Regulativ der Bodennutzung ist, sind Konflikte vorprogrammiert. Der nicht vermehrbare Boden ist in den meisten Gesellschaften inzwischen privatisiert und unterliegt ökonomischen Prinzipien. In den meisten Ländern werden Bodenwertsteigerungen der privaten Rendite zugeschlagen und nicht durch Abschöpfung dem Gemeinwohl zur Verfügung gestellt. Dadurch besteht die Gefahr, dass nachhaltiges Wirken von der Ökonomie konterkariert und gemeinwohlorientiertes Handeln erschwert wird. Hier kommt der Stadtplanung als Fachdisziplin zur Bodennutzung eine besondere Aufgabe zu: Sie muss versuchen, ökonomische Interessen so zu lenken, dass soziale und ökologische Interessen nicht unterliegen. Stadtplanung muss in den Markt eingreifen und versuchen, den schwächeren Marktteilnehmern Chancen zu geben.

 

Das trifft nicht nur in den großen Städten zu, wo im Zuge von „Urbanität schaffen“ die letzten freien Flächen bebaut werden und damit Flächen für grüne und soziale Infrastruktur fehlen, obwohl doch mehr Menschen auch mehr Freiraum und Sozialeinrichtungen benötigen. Das muss auch bei der Zersiedelung der Freiflächen an den Stadträndern oder den Dorfrändern beachtet werden, wo möglicherweise kurzfristig Gewinn für das Dorf oder die Kleinstadt durch eine Siedlungserweiterung oder die Ausweisung von Gewerbeflächen erhofft wird, aber längerfristig die Lebensgrundlagen zerstört werden.

 

Die Politik erweist sich leider häufig als Handlanger kurzfristiger ökonomischer Interessen, sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Gesetzesumsetzung. Politische Lebenszyklen orientieren sich an Wahlperioden und Wahlgeschenken, selten an nachhaltigem Wirken. Dass ein solches Verhalten gerade angesichts der notwendigen Klimaanpassung, der Energiewende und der Verkehrswende nicht nachhaltig ist, liegt auf der Hand. Hier haben die Stadtplaner als Berufsstand eine besondere Verantwortung, ihr Fachwissen auch gegen politische Einflussnahmen gutachterlich einzubringen und in der Planumsetzung die Gemeinwohlinteressen in der Abwägung zu betonen.

 

Die meisten am Baugeschehen teilhabenden Berufsgruppen verfolgen entweder direkte wirtschaftliche Interessen wie das Bauhandwerk und die Bauindustrie, die Immobilienwirtschaft und der Großteil der Wohnungswirtschaft. Daneben gibt es allerdings auch Berufsgruppen, die sich wie die Stadtplaner zumindest der Kultur verpflichtet sehen, seien es die Denkmalpfleger, die Restauratoren oder auch Architekten und Ingenieure, die ihre Arbeit als Freiberufler als Verpflichtung zur Umsetzung einer baukulturellen Leistung sehen. Sie sind damit wichtige Verbündete zur Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen, auch wenn sich ihre Tätigkeit meist auf die Erhaltung oder Verbesserung von Einzelgebäuden bezieht.

 

Je größer die eingenommene Fläche eines Baues ist, desto wichtiger werden Nachhaltigkeitsziele. Umso wichtiger wird es, dass Baukultur sich nicht nur auf die Kulturleistung des Baues selbst bezieht, sondern sowohl auf sein Umfeld als auch auf seine Planungskultur und Einbindungskultur. Im letzteren unterscheiden sich die Architekten wiederum in der Regel deutlich von den Stadtplanern. Der Architekt ist vor allem seinem Bauherrn verpflichtet, der Stadtplaner mehr dem Gemeinwohl. Deshalb müssen und werden vom Stadtplaner möglichst viele Akteure und Betroffene beteiligt. Nur ein breiter Konsens vom Beginn der Planung an ermöglicht einen gesellschaftlichen Konsens und dieser ist wiederum Grundlage einer Nachhaltigkeit.

 

So sind die besten nachhaltigen Planungen solche, die in einem meist breit angelegten Beteiligungsverfahren durchgeführt wurden. Dabei ist es nebensächlich, ob dieser iterative Planungsprozess Top-down oder Bottom-up initiiert wurde. Wichtig ist, dass die „Stadtbürger“ mitgenommen werden. Das kostet Kraft, Personal und auch Finanzen, bringt aber dauerhaft positive Ergebnisse, die sich sofort sozial und später meist auch ökonomisch auszahlen. So wie z. B. beim Prozess „Umweltgerechte Stadt Güstrow“, der Ende der 1990er Jahre eine ganze Stadt in Richtung nachhaltiges Leben „umgekrempelt“ hat. Ein nachhaltiger Stadtentwicklungsprozess ist meist in kleineren, überschaubareren Einheiten einfacher, weil die Ergebnisse scheinbar leichter für alle sichtbar zu machen sind. Aber es gibt auch größere Städte, die sich nicht gescheut haben, solche Prozesse mit der gesamten Stadtgesellschaft gemeinsam durchzuführen, wie z. B. Karlsruhe, das mit seinem Leitbildprozess zur räumlichen Entwicklung in den letzten Jahren ein Muster und Vorbild geschaffen hat.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 1/2018.

Rainer Bohne
Rainer Bohne ist Stadtplaner und Geschäftsführer der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL).
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