Deutsche Muslime leben Verantwortung

Einsatz aus religiöser Überzeugung gegen jegliche gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit

 

Ich konnte zusammen unter anderem mit Rabbiner Walter Homolka im vergangenen Jahr eine Fahrt am Ende eines Seminars in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz begleiten. Für mich war es die erste Reise dorthin, an den Ort des Schreckens, des unbeschreiblichen menschlichen Leids. Er ist ein furchterregendes Symbol für die Entrechtung, Entmenschlichung und Verfolgung von Millionen Menschen, für den von Deutschen begangenen Zivilisationsbruch, der Shoah. Man kann eigentlich nicht wollen, diesen Ort zu besuchen, weil er den Schrecken vor Augen führt und dennoch als Erinnerungsort nur einen Hauch des Unfassbaren vermitteln kann. Wir haben uns als Muslime aufgemacht – zusammen mit unseren jüdischen Freunden – ihn zu besuchen, weil man diesen Ort besuchen muss, um wenigstens zu versuchen zu verstehen, welche Verantwortung wir heute und in der Zukunft zu tragen haben.

 

Wir deutschen Muslime – als Zentralrat der Muslime in Deutschland allemal – haben uns an diesem Ort zu unserer Verantwortung und damit für unsere Zukunft, unsere Gegenwart und für unsere Geschichte unseres Landes bekannt. Wir unterstreichen damit, uns für den Erhalt unseres Rechtsstaates einzusetzen, für unsere freiheitliche Demokratie, für unsere von Vielfalt geprägte, plurale Gemeinschaft in Deutschland einzutreten, die getragen sein soll von „Einigkeit und Recht und Freiheit“, die „des Glückes Unterpfand“ sind, wie es so trefflich in der Nationalhymne beschrieben steht.

 

Dieses Bekenntnis bedeutet im islamischen Verständnis, alles zu tun, alles zu unternehmen, damit sich eine derartige Katastrophe wie die Shoah niemals wiederholen kann. Weder in unserem Land noch sonstwo auf dieser Welt. Dies bedeutet, dass wir aus religiöser Überzeugung gegen jegliche gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit aufstehen und unsere Stimme erheben, uns dem Antisemitismus widersetzen, allen Rassisten entschieden die Stirn bieten. Jede Form von Antisemitismus, gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit und Rassismus ist eine Sünde im Islam.

 

In seiner Abschlusspredigt sagte der Prophet des Islam: „Die gesamte Menschheit stammt von Adam und Eva ab. Ein Araber hat weder einen Vorrang vor einem Nicht-Araber, noch hat ein Nicht-Araber einen Vorrang vor einem Araber; Weiß hat keinen Vorrang vor Schwarz, noch hat Schwarz irgendeinen Vorrang vor Weiß“. Dies ist das anti-rassistische Manifest unseres Propheten, das anti-rassistische Manifest des Islam. Und im edlen Koran heißt es „O ihr Menschen, Wir haben euch von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Der Angesehenste von euch bei Gott, das ist der Gottesfürchtigste von euch. Gott ist gewiss allwissend und hat Kenntnis von allem“ (Vers 49/Sure 13).

 

Dieses Grundverständnis trägt uns, wenn wie Zeugnis darüber ablegen, was in Auschwitz und in anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern an unfassbarem Bösen geschehen ist. Wir stehen gegen das Vergessen. Wir werden uns mit unserer Kraft, mit der Kraft unseres Glaubens, gemeinsam für das „Nie wieder Auschwitz“ einsetzen.

 

Ich bin sehr gespannt, wie die Initiative kulturelle Integration im kommenden Jahr einen besonderen Akzent auf das Thema „Erinnerung an die Shoah“ legen will, und werde mich an diesen Diskussionen natürlich gerne beteiligen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2019-01/2020.

Aiman A. Mazyek
Aiman A. Mazyek ist deutscher Medienberater, Publizist und Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland.
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