Urheberrecht: Es geht um viel

Das Ganze wieder in den Blick nehmen

Urheberrechtsdebatten zeichneten sich in den letzten Jahren stets durch gewisse Unerbittlichkeit aus. Egal, ob es um die diversen Körbe bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft in nationales Recht Anfang der Nullerjahre ging, um das Urhebervertragsrecht, das die erste rot-grüne Bundesregierung auf den Weg brachte und seine Novellierung in der letzten Wahlperiode, um die Ausweitung der Schrankenregeln mit dem Urheberrechts-Wissenschaftsgesellschaftsgesetz in der letzten Wahlperiode oder um den Streit um die EU-Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, die nun in nationales Recht umgesetzt werden muss, der Streit war jedes Mal heftig und wurde teils mit harten Bandagen geführt.

 

Dass diese Diskussionen so erbitterte Streite herbeiführten und nach wie vor führen, liegt vor allem daran, dass es um viel Geld geht. Es geht um das Geld, dass Künstlerinnen und Künstler damit verdienen, dass ihre Werke gesehen, gehört oder gelesen werden. Es geht um das Geld, dass Verwerter, also Verlage, Labels und andere daraus erlösen, dass sie Werke auf den Markt bringen. Es geht um das Geld, das Plattformen mit Werbung verdienen, die um die Inhalte gruppiert werden. Und „last but not least“ geht es auch um das Geld der öffentlichen Hände, denn eine Ausweitung von Schrankenregeln und eine stärkere Fokussierung auf unbezahlt zugängliche Inhalte in Bildung und Wissenschaft entlasten auch die Haushalte der öffentlichen Hände.

 

Eng mit dem pekuniären Aspekt verbunden, sind die durch die Digitalisierung veränderten Wertschöpfungsketten in der Kultur- und Kreativwirtschaft, wie sie erst kürzlich in einer Studie herausgearbeitet wurden, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf Anregung des Deutschen Kulturrates in Auftrag gegeben hatte. In der Studie „Digitale Verwertungsformen in der Kultur- und Kreativwirtschaft und ihre Auswirkungen auf die Künstlersozialversicherung“ wird am Beispiel folgender Branchen aufgezeigt, wie sich die Wertschöpfungsstrukturen im Zuge der Digitalisierung verändert haben:

 

• Pressemarkt
• Werbemarkt
• Designwirtschaft
• Buchmarkt
• Musikwirtschaft
• Software- und Games-Industrie
• Filmwirtschaft

 

Es wird deutlich, dass neue Akteure zum Akteursgeflecht hinzugekommen sind und daher von einem Wertschöpfungswandel gesprochen werden muss. Eine der spannenden Schlussfolgerungen der Studienautoren ist, dass die Selbstvermarktung, also der unmittelbare Verkauf oder die unmittelbare Entlohnung durch den Endverbraucher, durch den Wertschöpfungswandel nicht signifikant gestiegen ist. Verändert hat sich allerdings, dass branchenfremde Akteure, also Unternehmen, die nicht aus der Kultur- und Kreativwirtschaft, sondern eher der Technologiebranche entstammen, die digitalen Geschäftsmodelle in der Kultur- und Kreativwirtschaft prägen. Sie bestimmen laut BMAS-Studie „die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Umgang und Verwertung digitaler Inhalte auf Plattformen.“ Das heißt konkret, Google, YouTube und Co. nutzen die Vorarbeit der traditionellen Verwerter, also der Verlage, Galerie, Musiklabels usw., um ihre Geschäfte zu machen. Und das heißt auch, die Urheber generieren ihr Einkommen nach wie vor über Vergütungen der traditionellen Verwerter sowie speziell im Musikbereich über Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften GEMA und GVL. Insbesondere die GEMA-Ausschüttungen sind für Textdichter und Komponisten eine zentrale Einkommensquelle. Mit Blick auf die freiberuflichen Künstlerinnen und Künstler, die in der Künstlersozialversicherung versichert sind, wird herausgearbeitet, dass zwar die Markteintrittsbarrieren für viele sinken. Der vormalige Flaschenhals Verwerter, also Verlag, Musiklabel usw., ist größer geworden. Im Gegenzug hat der nationale und auch internationale Wettbewerb auf Portalen zugenommen. Dies führt zu einer ökonomischen Entwertung kreativer Produkte und Dienstleistungen. Ganz besonders trifft dieser Befund auf Crowdworking zu, „wo der Wettbewerb auf globaler Ebene ausgefochten wird“. Die ökonomische Situation der einzelnen Künstlerinnen und Künstler hat sich im Großen und Ganzen durch neue Verwertungsmodelle im digitalen Raum nicht nur nicht verbessert, sondern in einigen Bereichen sogar dramatisch verschlechtert. Aus Branchenverbänden des Designbereiches ist zu hören, dass der gesetzliche Mindestlohn, der abhängig Beschäftigten mindestens gezahlt wird, für Designleistungen, die auf einigen internationalen Plattformen vermarktet werden, geradezu paradiesisch anmutet.

 

Hinsichtlich der Künstlersozialabgabe fordern die Autoren der genannten Studie richtigerweise, dass Plattformen, die im Wertschöpfungswandel an Bedeutung gewinnen, auch zur Künstlersozialabgabe herangezogen werden müssten. Denn es kann nicht angehen, dass die „traditionellen“ Verwerter deren Lasten durch einen erhöhten Abgabesatz zur Künstlersozialkasse übernehmen müssen.

Als Anknüpfungspunkt dient dabei die in Artikel 17 der EU-Richtlinie Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt beschriebene öffentliche Zugänglichmachung im urheberrechtlichen Sinne von Online-Weitergabediensten, vulgo Plattformen wie YouTube.

 

Das heißt genau jener Artikel, der in der Urheberrechtsdebatte von den Gegnern der Reform in den letzten Monaten am heftigsten kritisiert wurde, bietet den Anknüpfungspunkt für die Einbeziehung von Plattformen in die solidarische Finanzierung der Künstlersozialversicherung.

 

Die erwähnte Studie des BMAS führt also einmal mehr exemplarisch vor wie bestehende Gesetze an die digitale Welt angepasst werden müssen, um den neuen Geschäfts- und Wertschöpfungsmodellen gerecht zu werden. Nichts anderes wurde letztlich bei den Urheberrechtsreformen der letzten Jahrzehnte, bei denen es um die Anpassung des Urheberrechts an die digitale Welt und die veränderte Wertschöpfung ging, versucht.

 

Dennoch führten gerade Urheberrechtsreformen in jüngster Zeit zu einem erheblichen öffentlichen Furor und offenbarten eine große Sprachlosigkeit und aneinander vorbeireden der unterschiedlichen Akteure. Es stoßen unterschiedliche Sichtweisen aufeinander, bei denen es sich teilweise auch um einen Generationenkonflikt handelt.

 

Wir sind der festen Überzeugung, dass eine der wesentlichen Aufgaben für den Kultur- und Medienbereich in den anstehenden Debatten bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt darin besteht, zu differenzieren und zu präzisieren. Zur Differenzierung gehört auch, sich mit denjenigen auseinanderzusetzen, die gegen die Urheberrechtsrichtlinie protestiert haben. Ihre Argumente zu hören und sich damit auseinanderzusetzen. Genauso kann von den Gegnern der Reform erwartet werden, dass sie sich mit den Argumenten der in sich sehr differenzierten Kultur- und Kreativwirtschaft auseinandersetzen.
Vor allem muss es darum gehen, die Urheberrechtsrichtlinie in Gänze in den Blick zu nehmen. Der vornehmlich diskutierte ehemalige Artikel 13, nun Artikel 17, ist einer unter vielen. Es gilt die anderen Vorschriften ebenso ernsthaft zu diskutieren und in nationales Recht zu übersetzen. Und vor allem wird es ohne Kompromisse nicht gehen. Das Urheberrecht, das zu allererst den Schöpfer eines Werkes schützen soll, ist schon längst zu einem Recht geworden, in dem die Interessen anderer Beteiligten ebenso abgewogen und berücksichtigt werden. Damit dies gelingt, sind umfassende Diskussionen erforderlich und gegebenenfalls das Schnüren unterschiedlicher Pakete sinnvoll, um die unterschiedlichen Regelungen adäquat zu behandeln. Wir freuen uns auf diese Debatten. Es geht um viel!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2019.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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