ECHO oder wie man mit widerlichen Inhalten sehr viel Geld verdienen kann

Drei Vorschläge als Reaktion auf die vergeigte ECHO-Verleihung 2018

 

Text aus Politik & Kultur Mai/Juni 2018 (Seite 3)

 

Am 12. April dieses Jahres erhielten die Gangsta-Rapper Kollegah und Farid Bang den »ECHO-Deutscher Musikpreis« in der Kategorie Hip-Hop/Urban National für ihr Album »Jung Brutal Gutaussehend 3«. Seither findet eine Diskussion darüber statt, wo die Grenzen der Kunstfreiheit sind und wie weit Kunst gehen kann. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht dabei eine Zeile aus dem Song »0815«, in der die Musiker singen, dass ihr Körper definierter sei als der von Ausschwitz-Insassen.

 

Um es gleich am Anfang zu sagen, dieser Vergleich ist geschmacklos und widerlich. Er verhöhnt die Opfer, die Überlebenden und die Nachkommen von Überlebenden. Geradezu perfide ist, dass die Auszeichnung auch noch am israelischen Holocaust-Gedenktag vergeben wurde. An diesem Tag ertönen für eine Minute alle Sirenen in Israel und die Menschen verharren schweigend im Gedenken an die Opfer.

 

Dennoch darf bei der Diskussion um die Verleihung des »ECHO-Deutscher Musikpreis« an Kollegah und Farid Bang nicht alles in einen Topf geworfen und kräftig verrührt werden, sondern eine differenzierte Auseinandersetzung ist erforderlich.

 

ECHO

 

Zunächst zum »ECHO-Deutscher Musikpreis«: Seit 1992 wird der ECHO von der Deutschen Phono-Akademie, dem, wie es auf der Webseite heißt, »Kulturinstitut des Bundesverbandes Musikindustrie« verliehen. Der Begriff »Kulturinstitut« legt die Vermutung nahe, dass mit dem ECHO kulturell besonders interessante oder wertvolle Musik ausgezeichnet werden soll. Das ist beim ECHO Pop mitnichten der Fall. Bis auf den ECHO-Kritikerpreis, der von einer Jury aus Musikkritikern verliehen wird, und dem ECHO für soziales Engagement, sind das entscheidende Kriterium, um für einen ECHO überhaupt infrage zu kommen, die Verkaufszahlen. Dieses wird von der Deutschen Phono-Akademie auch gar nicht verschwiegen. Im Gegenteil, offensiv wird unter »Q & A« auf der ECHO-Webseite geschrieben: »Wir alle bestimmen als musikliebende Fans das Ergebnis: Die Menschen, die Musik hören, mit Musik arbeiten oder auch über sie schreiben. Kriterium für die Einstufung der Wichtigkeit ist die nationale und internationale Aufmerksamkeit & Honorierung, die Künstlern und Bands geschaffen werden. Der ECHO bleibt ein genuin demokratischer Preis, ein Stimmungsbarometer, das widerspiegelt, was uns hier in Deutschland musikalisch gerade bewegt. Punkt.« Und weiter: »Unsere Gewinner und Nominierten sprechen die breite Masse an – die deutsche Mehrheit, um genau zu sein. Das bringt sie an die Spitze der Charts und damit in unsere Shortlist. Manch einer nennt es Kommerz, wir nennen es Erfolg. Und wir finden, Musiker sollen für ihren Erfolg belohnt werden, alles andere wäre brotlos und von Luft & Liebe allein wird niemand satt.«

 

D. h., beim ECHO ging es nie darum, besonders interessante neue popkulturelle Entwicklungen auszuzeichnen, sondern darum, was den meisten Menschen gefällt. Das kann einfältig oder geschmacklos, aber auch musikalisch spannend sein. Es sollte daher nicht verwunderlich sein, dass sich bei einigen erfolgreichen Künstlerinnen wie Helene Fischer, Andrea Berg oder bis vor Kurzem Marius Müller-Westernhagen die ECHOs bereits stapeln.

 

Kunstfreiheit

 

Fragen der Kunstfreiheit spielen bei der Nominierung überhaupt keine Rolle. Sollte ein Titel über die Grenzen der Kunstfreiheit hinausgehen, könnte gerichtlich dagegen vorgegangen werden und er würde gar nicht erst den kommerziellen Erfolg haben können, der für eine ECHO-Nominierung erforderlich ist. Das letzte bekannte Beispiel einer gerichtlichen Auseinandersetzung um die Grenzen der Kunstfreiheit war das Verfahren um den Roman »Esra« des Autoren Maxim Biller.

 

Das verfassungsrechtliche Gut der Kunstfreiheit spielt auch eine wesentliche Rolle bei der Arbeit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien: kurz Bundesprüfstelle. Rund 800 Stellen in Deutschland können bei der Bundesprüfstelle eine Indizierung von Medien als jugendgefährdend beantragen. Ausgenommen hiervon sind Radio- oder Fernsehinhalte, Filme oder Computerspiele. Sie müssen mit einer Alterskennzeichnung versehen werden. Zuständig sind die jeweiligen Selbstkontrollen der Branchen.

 

Eine Indizierung hat zur Folge, dass ein Medium Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden darf. Dazu zählen auch ein Verbot des Kioskverkaufs, Einschränkungen im Versandhandel sowie ein Werbeverbot. Indizierte Titel werden auf differenzierten Listen geführt. Dabei wird unterschieden zwischen jugendgefährdenden und strafrechtlich relevanten Inhalten von Trägermedien und ausschließlich jugendgefährdenden Inhalten. Trägermedien, die strafrechtlich relevante Inhalte haben, droht die Beschlagnahmung.

 

Die Bundesprüfstelle muss in ihren Entscheidungen sehr genau abwägen zwischen Kunstfreiheit sowie Meinungsfreiheit und Jugendschutz. Nicht alles, was einem persönlich nicht gefällt, was als widerlich oder abstoßend empfunden wird, kann indiziert werden. Aufgrund der sogenannten Tendenzschutzklausel dürfen z. B. Medien »nicht allein wegen ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts« indiziert werden. Mit Blick auf die Kunstfreiheit muss beachtet werden, dass Kunst sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Rechtswissenschaft offen ausgelegt wird. Hierzu schreibt die Bundesprüfstelle: »… Kunst das ist, was der Künstler als Kunst bezeichnet und worüber andere streiten, ob es Kunst ist.« Und weiter: »Der künstlerische Wille der Urheberin/des Urhebers, die Gesamtkonzeption des Werkes und seine Gestaltung im Einzelnen sind zu beachten. Allerdings sind daneben auch die realen Wirkungen eines Kunstwerkes zu berücksichtigen: Minderjährige können etwa ein Werk anders verstehen, als Erwachsene es tun.«

 

Großes Missverständnis

 

Der Bundesverband Musikindustrie hatte beim ECHO bereits im Jahr 2013 gemerkt, dass kommerzieller Erfolg nicht mit gesellschaftlicher Akzeptanz gleichzusetzen ist. Als die Gruppe Freiwild auftreten sollte, drohten andere Künstler, nicht zur ECHO-Verleihung zu kommen. Dies wirkte: Freiwild trat nicht auf und wurde auch nicht ausgezeichnet. Der Bundesverband Musikindustrie richtete einen Beirat ein, der in Zweifelsfällen entscheiden sollte. Dieser Beirat hatte am 6. April die Entscheidung zu treffen, ob die Nominierung von Kollegah und Farid Bang aufrechterhalten bleiben soll und sie damit gegebenenfalls mit dem ECHO ausgezeichnet werden. Der Bundesverband Musikindustrie gab also den »Schwarzen Peter« an den siebenköpfigen Beirat und dieser traf mit Mehrheit die Entscheidung, dass die Kunstfreiheit nicht so weit verletzt ist, dass eine Nominierung untersagt werden muss. Das große Missverständnis dabei ist, dass sich der Beirat auch in seiner öffentlichen Erklärung lange mit Kunstfreiheit auseinandersetzt, statt klipp und klar ein Qualitätsurteil zu fällen. Wäre dies geschehen, würden im kommenden Frühjahr voraussichtlich wieder die gleichen erfolgreichen Künstler um die ECHO-Auszeichnung »fiebern«.

 

Es sind nämlich, um es klar zu sagen, zwei ganz verschiedene Paar Schuhe, über Kunstfreiheit zu sprechen, die teilweise äußerst schwer auszuhalten ist, oder ob es um die Auszeichnung eines Werkes geht.

 

Gesellschaftliche Akzeptanz

 

Ein Gutes hat die verunglückte ECHO-Auszeichnung allerdings: Sie hat eine Diskussion um gesellschaftliche Akzeptanz speziell von Musik angeregt. Denn das eigentlich Skandalöse ist doch, dass sehr viele Menschen eine Musik kaufen, die nicht nur Holocaust-Opfer verhöhnt, sondern ebenso zutiefst frauenfeindlich, rassistisch, sexuelle Gewalt verherrlichend und anderes mehr ist.

 

Und zur Wahrheit gehört ebenfalls, dass sich mit dieser Musik offenbar sehr viel Geld verdienen lässt. Ansonsten hätte ein Label wie BMG, Musiker, deren erste Alben indiziert wurden, nicht unter Vertrag genommen. Hier scheinen weniger die Alarmglocken als vielmehr zu erwartende Einnahmen geklingelt zu haben. Nach dem Eklat kommen halbherzige Ansätze von BMG, dass die Zusammenarbeit überdacht werden soll. (Mittlerweile wurde die Zusammenarbeit eingestellt.)

 

Besonders zynisch ist, dass die Stiftung des Mutterkonzernes von BMG, Bertelsmann, den Niedergang der kulturellen Bildung wortreich bedauert, um dann im Konzern diesen Niedergang zum Geschäftemachen zu nutzen.

 

Die eigentlich interessante und gesellschaftlich auch äußerst relevante Frage ist, warum mit widerlichen Inhalten offenbar sehr viel Geld verdient werden kann?

 

Fazit

  1. Es gilt endlich auch im Musikbereich durchgängig, also in allen Genres, Haltung zu zeigen, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Frauenfeindlichkeit.
  2. Diese Haltung muss auch von Unternehmen eingefordert werden, die fragwürdige künstlerische Inhalte präsentieren.
  3. Radio- oder Fernsehinhalte, Filme und Computerspiele werden durch die jeweiligen Selbstkontrollen der Branchen streng mit einer Alterskennzeichnung versehen. Das muss es auch für Musik geben.

 

Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates

 

Text aus Politik & Kultur Mai/Juni 2018 (Seite 3)

 

 

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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