Die Coronakrise wird von nicht wenigen als Chance gesehen, endlich die vollständige Digitalisierung im Kulturbereich durchzusetzen. Analog war gestern, digital ist morgen!
Natürlich ist es vernünftig, die Werke in unseren Museen und Bibliotheken zu digitalisieren, um sie weltweit besser zur Nutzung in Datenbanken zur Verfügung zu stellen. Gefährlich wird es dort, wo das Digitalisat auf Kosten des analogen Originals gesetzt wird.
Die meisten, die eine Transformation des Kulturbereiches von analog zu digital fordern, haben von Bits und Bytes keine große Ahnung. Ich hatte das Glück, in meiner Ausbildung Programmiersprachen, wie z. B. Pascal, lernen zu können. Auch heute schreibe ich manchmal noch kleine Programme in Python oder C++. Aber trotzdem bin ich ein digitaler Analphabet. Ich habe von den wirklich wichtigen Fragen keine Ahnung, nämlich, wo und wie meine digitalen Daten gelagert werden und – vor allem – wie sicher sie sind.
Wo befinden sich die Texte aus meiner Dropbox, wo meine Fotos in der „Creative Cloud“ von Adobe Lightroom? Ich habe keine Ahnung, wie Google meine persönlichen Einträge im Internet bei Suchanfragen wertet.
Vor Kurzem hat ein Feuer beim größten Cloud-Anbieter Europas, dem französischen Unternehmen OVHcloud in Straßburg mehr als 100.000 Server von Unternehmen, Behörden und sonstigen Einrichtungen zerstört. Für einige der Geschädigten gab es ein Back-up-System, aber die meisten Daten auf den Servern sind wohl unwiederbringlich verloren.
Hollywood hat im vierten Film der „Stirb langsam“-Reihe 2007 für einen Cyberangriff auf die Daten eines ganzen Landes den Begriff „Fire-Sale“ erfunden. Was würde schon heute mit vielen Datenbanken, in denen unser kulturelles Erbe gespeichert ist, bei einem „Fire-Sale“ passieren?
Corona hat uns deutlich gezeigt, dass wir nicht gut aufgestellt sind in Deutschland, wenn es darum geht, Krisen zu bewältigen. Je mehr Kulturdaten wir auf Server schaffen, umso wichtiger wird die Antwort auf die Frage sein: Sind unsere Daten wirklich dauerhaft sicher?
Die beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert haben viel Kultur unwiederbringlich vernichtet, aber trotz der massiven Zerstörungen ist glücklicherweise vieles, analog, erhalten geblieben. Aber was würde schon heute bei einem „Fire-Sale“ mit unseren digitalen Kulturdaten passieren?
Wir sollten nicht darauf hoffen, dass uns der „Stirb langsam“-Held Bruce Willis alias John McClane mit seinem Siegesschrei: „Yippie-Ya-Yay, Schweinebacke!“ aus der Katastrophe rettet. Wir werden uns wohl selbst kümmern müssen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2021.