Wie sieht die Kulturnation des 21. Jahrhunderts aus?

Kulturpolitik in Zeiten der digitalen Globalisierung

 

Das liegt zum einen an den Inhalten: Der Inhalt einer Beethoven-Symphonie bleibt stets derselbe, egal ob sie in der Berliner Philharmonie, einer „Digital Concert Hall“ oder auf YouTube zu hören ist. Der Inhalt eines guten Buches ist der gleiche – gleich, ob es als Hardcover oder als E-Book gelesen wird. Und ob eine Melodie Millionen begeistert oder nicht, liegt nicht an der Produktionsart oder den Vertriebskanälen, sondern immer noch zum großen Teil an der Originalität und Eingängigkeit der Musik. Das ist die Chance für die Kulturschaffenden in Europa und die sollten wir nutzen. Zum anderen sind wir immer noch Teil eines christlich-abendländisch geprägten Kulturkreises, der Amerika und Europa umfasst. Das sollten wir über manche tagespolitische Frage hinaus nicht vergessen. Dieser gemeinsame Kulturkreis hat in den vergangenen Jahrhunderten einen so bedeutenden kulturellen Reichtum hervorgebracht und verfügt über so viele gute Künstler und begabte Kulturschaffende, dass ich optimistisch bin, dass er auch im digitalen Zeitalter eine starke Rolle weltweit spielen wird. Ich bin der festen Überzeugung: Der Inhalt macht den Unterschied und da müssen sich Europa und auch Deutschland nicht verstecken.

 

Wir brauchen europäische Geschichten, wir brauchen deutsche Erzählungen und Stoffe. An der eigenen Erzählung lassen sich Identitäten abgleichen, diskutieren und vereinbaren. Gerade im Zeitalter der Globalisierung, in dem Bindungen an Stabilität verlieren, nimmt die Bedeutung der Kulturpolitik zu, denn dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Selbstvergewisserung und Besinnung auf die eigenen geistigen und kulturellen Wurzeln kann nur aus der eigenen Kultur begegnet werden. Ich sehe z. B. Chancen gerade in einem intensiveren Austausch zwischen Kulturschaffenden in Deutschland mit Mittel- und Osteuropa. Ein solcher Austausch kann Gemeinsamkeiten begründen und verschüttete Wurzeln aus der Geschichte gedeihen lassen.

 

Aufgabe der Kulturpolitik

 

Wenn wir in Deutschland unterstreichen, wie sehr kulturelle Vielfalt unser Leben bereichert, müssen wir der zunehmenden Marktmacht insbesondere US-amerikanischer Produktionen mit einer aktiven, fördernden Kulturpolitik begegnen. Angesichts der Umstände der traditionell differenzierten europäischen Medienproduktion haben wir hier einen eindeutigen Auftrag, zum Erhalt einer deutschen und europäischen Stimme im Chor der „contents“ beizutragen.

 

Die letzten knapp 15 Jahre sind ein selbstbewusster Beleg für genau diesen Anspruch. Die Entwicklung und Ausgestaltung etwa der Filmförderung in Deutschland ist Ausdruck des Wunsches, eine Grundlage für die Entwicklung deutscher und europäischer Erzählungen zu bieten. Für sich selbst sprechen die großartigen Erfolge, die der neue deutsche Film in Deutschland, aber auch über unsere Grenzen hinaus erringen konnte.

 

Hinterlegt ist die fördernde Kulturpolitik des Bundes mit mittlerweile gut 1,9 Milliarden Euro, die der Haushalt 2019 der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien umfasst.

 

Wir sind überzeugt, dass sich Kulturpolitik nicht in der Förderung von Opernhäusern, Orchestern oder Theatern erschöpfen darf. Sie muss helfen, die Ankerpunkte von Kultur in der Fläche, gerade im ländlichen Raum, zu halten. Vielfach setzen wir hier an, etwa in den Programmen zur Unterstützung kleinerer Kinos bei der Modernisierung oder in der Einführung eines Preises für vorbildliche Buchhandlungen. Es ist eine behutsame Ergänzung der Kräfte des Marktes. Buchhandlungen und Kinos sind wichtige Orte, an denen Kultur erfahrbar und greifbar wird. Sie sind mehr als reine Verkaufsstellen, sie halten die Kultur in der Fläche. Angesichts der starken und zunehmenden Konkurrenz, die diesen Orten der Kultur über eine zentrale Vermarktung von Büchern und Filmen in der neuen, netzgestützten Wirtschaft erwachsen ist, haben wir uns dazu entschieden, Impulse für das Überleben dieser Orte zu setzen.

 

Direkte Erlebbarkeit der Kultur

 

Kultur muss einen Bezug haben zum Leben vor Ort. Mit unserer fördernden Kulturpolitik tragen wir genau dazu bei – für eine Relevanz, einen Platz und einen Ort der Kultur in Deutschland. Diese Politik verhilft den vielen guten Ansätzen zur Vergewisserung und Verortung deutscher und europäischer Kultur zu der Grundlage, von der aus sie von selbst wirkt. Sie ist daher eine notwendige Ergänzung des Marktes in Zeiten der digitalen Globalisierung.

 

Kultur ist immer direkt erlebbar. Aufgabe der Kulturförderung ist es, dass dieses „face-to-face“-Erlebnis erhalten bleibt. Durch den Einsatz digitaler Techniken haben wir heute die Möglichkeit, dieses Erlebnis noch zu verstärken, etwa durch den Einsatz von Computern und moderner Medien in Museen. So werden bestehende Kultureinrichtungen auch für die junge Generation attraktiver. Diese Chancen müssen wir nutzen.

 

Ungeachtet des großen Einflusses der Digitalisierung bleibt die Kultur in Konzertsälen, auf Festivals und in Ausstellungen weiterhin analog erlebbar und dieses Erleben hat einen besonderen Wert, wenn fast alle Lebensbereiche zunehmend digitalisiert sind. Gerade auch den Wert des gemeinsamen Erlebens von Kultur vor Ort muss die Kulturpolitik im Blick halten. Ich bin zuversichtlich, dass unserer Kulturnation dies auch im 21. Jahrhundert gelingen wird.

 

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019

Ralph Brinkhaus
Ralph Brinkhaus, MdB ist Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.
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