Der Ampel-Koalitionsvertrag wurde am 24.11.2021 vorgestellt, nach der Zustimmung durch die Parteien wurde am 08.12.2021 Olaf Scholz zum Bundeskanzler gewählt und die Ministerinnen und Minister erhielten ihre Ernennungsurkunden. Auf immerhin 177 Seiten hatten die Parteien im Koalitionsvertrag teils kleinteilig beschrieben, was sie alles machen wollen, und damit die Erwartung geweckt, dass ähnlich einer „to-do-Liste“ alles akribisch „abgearbeitet“ und „abgehakt“ wird. Auch von Seiten der Zivilgesellschaft, wir nehmen dabei den Deutschen Kulturrat als Spitzenverband der Bundeskulturverbände nicht aus, wurde schon während der Koalitionsverhandlungen darauf gedrungen, diese oder jene Zusage aufzunehmen, damit sich in Stellungnahmen und Positionspapieren darauf berufen werden kann.
Kaum hatte die aktuelle Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen, überfiel Russland die Ukraine und neues Handeln war erforderlich, neue Prioritäten mussten gesetzt werden. Nachdem schon die letzte Wahlperiode aufgrund der Coronapandemie vom Krisenmodus geprägt war und Anforderungen entstanden, mit denen zuvor niemand gerechnet hatte, sind es in dieser der Krieg in der Ukraine und seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 der Nahostkonflikt, der ständig droht weiter zu eskalieren. Der Klimawandel fordert darüber hinaus seinen Tribut mit Dürren und Hochwassern – auch in Deutschland; er betrifft auch den Kulturbereich.
Die Latte, die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP mit ihrem Koalitionsvertrag gelegt haben, war denkbar hoch. Vollmundig bezeichneten sie sich selbst als Fortschrittskoalition und wollten „mehr Fortschritt wagen“. Heute machen Begriffe wie Übergangsregierung die Runde und zumeist ist von Streit, Fehlern und fehlendem Vertrauen die Rede. Der Zauber des Anfangs ist längst verflogen. – Doch ist die Ampel tatsächlich so schlecht wie ihr Ruf, oder wurde in den vergangenen drei Jahren nicht doch mit Blick auf den Kulturbereich einiges auf den Weg gebracht? Und nicht zu vergessen: Ein Jahr hat die Ampel noch, um eigene Vorhaben abzuschließen.
Digitalisierung
Als konkrete Vorhaben zur Digitalisierung werden im Kulturbereich der Datenraum Kultur und das Kompetenzzentrum für digitale Kultur im Koalitionsvertrag genannt. Der Datenraum Kultur wurde mit einer Anschubfinanzierung auf den Weg gebracht. Die Bundesförderung endet im Jahr 2025, und bislang ist nicht abzusehen, dass der Datenraum Kultur dann auf eigenen Füßen steht. Hier werden vermutlich die Länder einspringen müssen, oder der Datenraum Kultur wird sterben. Vom Kompetenzzentrum für digitale Kultur ist nicht mehr die Rede.
Zum Glück in der Versenkung verschwunden ist die im Koalitionsvertrag angekündigte wissenschaftsfreundliche Reform des Urheberrechts – wobei sich ohnehin die Frage stellte, welcher Handlungsbedarf nach der gerade in der 19. Wahlperiode erfolgten Verabschiedung des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes besteht. In Sachen E-Lending besteht nach wie vor Stillstand, vermutlich weil die Interessen so unterschiedlich sind, dass sie kaum übereingebracht werden können.
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Die angekündigte Stabilisierung der Künstlersozialkasse (KSK) wurde eingehalten. Der Abgabesatz stieg zwar zum Jahr 2023 von 4,2 Prozent auf 5 Prozent, ist seither aber stabil. Die Künstlersozialkasse wird ab dem 01.01.2025 in die Knappschaft Bahn See eingegliedert. Es besteht die Erwartung, dass damit die Digitalisierung vorangetrieben wird. Der Standort Wilhelmshaven und damit die Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben erhalten. Positiv ist weiter, dass die Zuverdienstmöglichkeiten aus nicht-künstlerischer Tätigkeit für KSK-Versicherte ausgeweitet wurden. Damit wird den geringen und schwankenden Einkommen aus der künstlerischen Arbeit Rechnung getragen und der Sozialversicherungsstatus gesichert. Hinsichtlich der Rentenversicherung wurde ein Gutachten zur Evaluierung der Grundrente in Auftrag gegeben. Das ist wichtig, um datenbasiert Auskunft darüber zu bekommen, inwiefern die Grundrente von KSK-Versicherten überhaupt in Anspruch genommen wird.
Keine Bewegung besteht bei drei weiteren wichtigen sozialpolitischen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag. Zum einen steht nach wie vor aus, dass die Beiträge von Selbstständigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, nach dem tatsächlichen Einkommen bemessen werden. Dies betrifft Selbstständige aus dem Kulturbereich, die nicht in der Künstlersozialkasse versichert sind. Zum zweiten wurde der erleichterte Zugang zur Arbeitslosenversicherung für Selbstständige nicht in Angriff genommen. In der Coronapandemie wurde diese Versicherungslücke schmerzlich spürbar. Beide offenen Fragen ließen sich vermutlich in dieser Wahlperiode noch auf den Weg bringen.
Zum dritten wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Pflicht zur Altersvorsorge für Selbstständige einzuführen. Die gesetzliche Rentenversicherung sollte als Pflichtversicherung für Selbstständige etabliert werden. Ein Opt-Out soll bei einem anderen insolvenz- und pfändungssicheren Vorsorgemodell möglich sein. Dieses Thema wird seit mindestens drei Wahlperioden hin- und herbewegt. Aktuell zeichnet sich nicht ab, dass in Kürze eine Gesetzesinitiative zu erwarten ist, was eine Verschiebung auf die nächste Wahlperiode zur Folge hätte.
Bildung und Teilhabe
Die angekündigte Evaluierung des Beitrags der Bundeskulturförderung zur kulturellen Bildung wurde durchgeführt. Bis dato allerdings noch nicht veröffentlicht. Neu ist der KulturPass, der sich an junge Erwachsene richtet, die im Jahr 2023 volljährig wurden bzw. an diejenigen, die 2024 volljährig werden. Ein individuelles Budget von immerhin 200 Euro im Jahr 2023 und von 100 Euro im Jahr 2024 steht den jungen Erwachsenen u. a. für den Kauf von Büchern, Platten oder den Besuch von Kulturorten (Theater, Museen, Kinos etc.) zur Verfügung. Seit 2024 kann auch die Teilnahme an Workshops über den KulturPass gebucht werden. Im Juli teilte das BKM mit, dass rund 2,9 Millionen Kulturangebote im KulturPass angeboten werden. Mit dem KulturPass werden zwei Zielrichtungen verfolgt: die angesichts der unvorhergesehenen Katastrophen der letzten Jahre stellt sich uns die Frage, welchen Sinn ein so ausgeklügelter und kleinteiliger Koalitionsvertrag macht, wenn es schon an der Umsetzung der großen Themen hapert. Wir werden auch innerhalb des Deutschen Kulturrates darüber diskutieren, wie sinnvoll es ist, wenn in der Zukunft von den Koalitionären kleinteilige Vorhaben im Koalitionsvertrag festgelegt werden oder ob es nicht mehr darum gehen sollte, die kulturpolitische Richtung zu beschreiben.