Von Kiew hinaus ins ganze Land

Das Goethe-Institut setzt in der Ukraine auf die "Arbeit in der Fläche"

 

Seit 2014 herrscht im Osten der Ukraine Krieg. Welche Auswirkungen hat der Konflikt mit Russland sowohl auf die Kulturpolitik als auch auf die Kulturszene? Wie weit spiegeln diese den Krieg wider?

 

Natürlich wird die künstlerische Praxis von diesem Konflikt überschattet. Es gibt eine Polarisierung im Politischen, die die persönlichen Beziehungen und die künstlerische Zusammenarbeit beeinflusst. Reisen aus der Ukraine nach Russland und von Russland in die Ukraine sind schwierig geworden. Früher gab es sehr enge Beziehungen zur russischen Kunst- und Kulturszene. Jetzt entsteht oft ein Spannungsfeld, wenn man mit alten Partnern in Russland zusammenarbeitet. Das Thema Krieg und Konflikt findet sich im künstlerischen Schaffen wieder. In einigen Projekten gehen wir am Goethe-Institut auch direkt der Frage nach, welche Rolle Kultur in Konfliktregionen spielen kann. Im letzten Jahr haben wir z. B. in Zusammenarbeit mit der Europa-Universität Viadrina in Deutschland fünf deutsch-ukrainische Forschungsteams zusammengestellt, die bei mehreren Arbeitsaufenthalten im Osten der Ukraine in Zusammenarbeit mit lokalen NGOs diesen Problemen nachgegangen sind. Außerdem versuchen wir, unsere Arbeit im Osten der Ukraine zu verstärken, weil wir wissen, wie prekär sich die Lebensumstände für die Dortgebliebenen gestalten. Die Kulturangebote und -förderung haben nach dem Ausbruch des Krieges enorm nachgelassen. Universitäten sind aus den Konfliktzonen abgewandert. Es gab bis zu zwei Millionen Binnenflüchtlinge. Das war ein enormer Exodus, auch an Infrastruktur. Wir versuchen, neue Beziehungen aufzubauen. Aktuell entwickeln wir einige Projekte mit Mariupol und mit anderen Städten am Rande der Konfliktzone, die unter starken Infrastrukturproblemen leiden. Das beeinflusst natürlich die Schwerpunkte und Arbeitsweise des Goethe-Instituts.

 

Wie engagiert sich das Goethe-Institut darüber hinaus in der Ukraine? Gibt es weitere Leuchtturmprojekte?

 

Im Programmbereich haben wir uns die Themen Menschenrechte, Zusammenarbeit von Minderheiten und Inklusion auf die Fahnen geschrieben. Wir haben z. B. mit Unterstützung von Experten in Deutschland ein Planspiel entwickelt, das die Zusammenarbeit verschiedener Minderheiten – wie der deutschen, krimtatarischen, ukrainischen, griechischen oder türkischen Minderheiten – fördert. Diese Minderheiten pflegen oft keine gemeinsamen Plattformen oder kreieren nur selten Projekte zusammen.

 

Außerdem haben wir in Kooperation mit einer NGO in Deutschland, die sich um die Inklusion von Menschen mit Down-Syndrom kümmert, eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Aktivisten mit und ohne Down-Syndrom in Gang gesetzt. So sind exemplarisch zwei Ausstellungen in Kiew und Odessa sowie eine Filmdokumentation entstanden.

 

Besonders erfolgreich ist unsere digitale Kinderuniversität, die wir sowohl in der Ukraine als auch in der gesamten Region Osteuropa/Zentralasien in den letzten Jahren verwirklicht haben. Nun wollen wir sie zu einer Jugendakademie Digital erweitern.

 

Mehr und mehr Bedeutung gewinnen für uns europäische Kooperationen. Das können bilaterale Projekte sein wie unser aktuelles Projekt zur Leseförderung in der Ostukraine, das wir mit unseren französischen Partnern vom Institut français verwirklichen. Wir arbeiten aber auch multilateral zusammen und entwickeln Aktivitäten mit EUNIC, dem Verbund europäischer Kulturinstitute. Ab Herbst übernimmt das Goethe-Institut die Führung im nächsten europäischen Förderprogramm für die Ukraine „House of Europe“, das die Mobilität im Kultur-, Bildungs- und Gesundheitsbereich sowie den Jugendaustausch unterstützen wird. In diesen europäischen Projekten möchten wir vor allem auch Synergien schaffen und bei der Vielzahl der Akteure Dopplungen vermeiden.

 

Sie erwähnten auch die deutsche Minderheit. Wie engagiert sich das Goethe-Institut für diese?

 

Einen Schwerpunkt setzen wir natürlich im Bereich der Deutschförderung. Wir fördern Sprachkurse, die die deutsche Minderheit selbst in ihren Zentren im Land für Zugehörige der deutschen Minderheit anbietet. Wir bilden die Lehrer fort, die in diesen Programmen arbeiten. Wir stellen Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Besonders attraktiv ist im Moment das Sprachassistentenprogramm. Wir haben die Möglichkeit, jedes Jahr vier Sprachassistenten aus Deutschland einzuladen, um an den Minderheitenzentren zu arbeiten. Dort bereichern sie mit Landeskunde den Unterricht und verwirklichen mit unserer Unterstützung ihre eigenen kleineren Kultur- und Bildungsprojekte.

 

Was planen Sie als Leiterin des Goethe-Instituts zukünftig in der Ukraine?

 

Wir werden unser Netzwerk weiter ausbauen – in so einem großen Flächenland ist es notwendig, aus der Metropole rauszugehen, da es traditionell ein großes Gefälle zwischen kulturellen Angeboten in der Stadt und in den Regionen gibt.

 

Wir werden unsere Bildungsprogramme für Kulturschaffende erweitern, um die Professionalisierung im Kulturbereich weiter zu fördern. Wir sind auch daran interessiert, Start-ups im Bereich Kultur und Kreativindustrie weiter zu unterstützen. Wir werden natürlich unsere bewährten Bildungsprogramme für Deutschlehrerinnen und Pädagogen weiterführen und den Reformprozess im Schulwesen weiter begleiten. Wir sind schon jetzt, gemeinsam mit dem British Council und dem Institut français, ein Partner des Kulturministeriums in der Entwicklung von neuen Programmen und Curricula für den Primarschulbereich. Wir werden uns in den Bereich der Berufsförderung einbringen, der in der Ukraine eine Herausforderung ist. Denn es gibt kein duales Ausbildungssystem und durch die große Abwanderung von Fachkräften in den Westen steigt der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften im Land.

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019

Beate Köhler und Theresa Brüheim
Beate Köhler leitet das Goethe-Institut in Kiew. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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