Von Kiew hinaus ins ganze Land

Das Goethe-Institut setzt in der Ukraine auf die "Arbeit in der Fläche"

Seit 25 Jahren ist das Goethe-Institut in der Ukraine tätig. Das Institut in Kiew baut auf sein Partnernetzwerk im ganzen Land und hält somit trotz des seit 2014 andauernden Krieges im Osten die Kultur- und Bildungsbeziehungen in- und außerhalb der Ukraine aufrecht. Die Institutsleiterin Beate Köhler kennt die Besonderheiten und Herausforderungen des zweitgrößten europäischen Landes. Theresa Brüheim spricht mit ihr über verlässliche Partner, politischen Umbruch, anhaltenden Konflikt und vieles mehr.

 

Theresa Brüheim: Frau Köhler, Sie leiten das Goethe-Institut in Kiew – das einzige in der Ukraine. Was macht das Goethe-Institut dort aus?

 

Beate Köhler: Das Goethe-Institut ist für mich besonders durch unser großes Netzwerk in der Ukraine gekennzeichnet. Wir arbeiten mit 15 Sprachlernzentren, mit 17 PASCH-Schulen, wir betreuen drei Kulturgesellschaften und etliche Lesesäle. Wir sind eben nicht nur in der Metropole Kiew aktiv, wo sich unser Institut befindet, sondern wir arbeiten auch außerhalb der Großstadt. Wir kommen damit einer sehr hohen Nachfrage an Deutschunterricht nach, sowohl im Erwachsenenbereich als auch in Schulen. Die Ukraine steht immerhin an Platz fünf in der weltweiten Rangliste der Nachfrage nach Deutschunterricht. Damit verbunden haben wir einen sehr hohen Bedarf an Informationen über Deutschland. Unsere Bibliothek in Kiew ist hochfrequentiert, aber entwickelt auch digitale Angebote, und arbeitet mit einem großen Netzwerk an Partnerbibliotheken zusammen. Wenn wir über die Kulturarbeit reden, dann ist nach der letzten Revolution auf dem Maidan ab 2014 natürlich die Unterstützung aus Deutschland und vonseiten der EU für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und die Unterstützung der Reformprozesse in der Ukraine gewachsen. Davon ist unsere Programmarbeit stark betroffen. Wir arbeiten sehr, sehr intensiv mit NGOs im Kulturbereich zusammen. Wir nehmen eine Brückenfunktion zu zivilgesellschaftlichen Akteuren und öffentlichen Institutionen ein. Anders als in weiteren Transformationsländern oder autoritären Ländern, in denen ich gearbeitet habe, wollen in der Ukraine beide Seiten kooperieren, sind das aber noch nicht gewöhnt bzw. müssen die Arbeitskontexte dafür erst schaffen. Eine Reihe von Projekten des Goethe-Instituts fördern dies. Z. B. haben wir 2014 bis 2017 eine Kultur- und Bildungsakademie aufgelegt. Dort haben Aktivisten und Entscheidungsträger an Runden Tischen über neue Strategien und Projekte in der Kulturarbeit diskutiert und Projekte eingeleitet. Daraus entstanden ist unsere „Culture Leadership Academy“. Das ist ein Qualifizierungsprogramm, das wir gemeinsam mit dem ukrainischen Kulturministerium betreuen. Es begleitet die Dezentralisierung im Kulturbereich.

 

Die erschreckend geringe Kenntnis, die viele in Deutschland bzw. in ganz Westeuropa über die Ukraine und ihre Besonderheiten haben, erschwert die Schaffung von Brücken und die Verbindung von Partnern und deren nachhaltige Vernetzung erheblich.

 

Das große Netzwerk ist sicherlich essenziell, um dem zweitgrößten europäischen Flächenland gerecht zu werden.

 

Ja, denn für die Arbeit in der Fläche, in kleineren Kommunen und in den vielen Landesteilen sind wir auf unsere verlässlichen Partner angewiesen, die uns oft direkt in der Umsetzung von Programmen unterstützen. Gleichzeitig entwickeln diese Partner natürlich mit unserer Unterstützung und Begleitung auch eigene Programme in der Informations-, der Bildungs- und in der Kulturarbeit, die genau auf die Bedürfnisse der jeweiligen Städte angepasst sind. Ohne dieses „In-die-Fläche-Gehen“ wird es kompliziert. Ich sehe das an anderen europäischen Partnern, die zum Teil nicht über dieses Netzwerk verfügen und dann größere Schwierigkeiten haben, in den Landesteilen vor Ort aktiv zu werden.

 

Sie haben viele verlässliche Partner vor Ort – natürlich auch im Kulturbereich. Spielen bei der Zusammenarbeit mit ukrainischen Kulturschaffenden die teils unterschiedlichen Hintergründe und Ethnien eine Rolle?

 

Die letzte Revolution auf dem Maidan war ein großer Einschnitt, der die Arbeit verändert hat. Seither wurden große Reformprozesse in der Ukraine eingeleitet, die wir mit unserer Arbeit unterstützen. Das Goethe-Institut genießt einen großen Vertrauensvorschuss. Ich führe täglich Gespräche mit NGOs und Aktivisten, die uns um Unterstützung bei ihren Projekten bitten. Wir haben eine große Beratungs- und Brückenfunktion – auch für Fördermittelanträge in Deutschland oder der EU. Im Moment stehen die Themen oder Probleme, die Ethnien untereinander haben, nicht im Zentrum der Arbeit. Stattdessen Fragen der nationalen Identität und Selbstbesinnung: Wie definiert die Ukraine sich und ihr Verhältnis zu Europa? Inwieweit möchte sie sich abgrenzen vom früheren Kontext der postkommunistischen Länder? Unsere Partner vor Ort konzentrieren sich auf Ausstellungen, die Künstler ins Scheinwerferlicht rücken, deren Arbeiten bisher in den Archiven verschwunden waren, die aber von international qualitativem Rang sind. Im Theaterbereich entstehen dokumentarische Stücke, die sich mit dem Verhältnis der Ukraine zu Europa beschäftigen. Das alles steht mehr im Vordergrund als Fragen von ethnischen Konflikten.

 

In all Ihren Antworten klingt die politische Situation in der Ukraine mit. Vor Kurzem wurde Wolodymyr Selenskyj zum Präsidenten gewählt. Zuvor war er Kultur- und Medienschaffender. Wie ist es um die kulturpolitische Situation in der Ukraine unter ihm bestellt?

 

Selenskyj hat in der letzten Wahl sehr großen Zuspruch gefunden. Er hat mit deutlicher Mehrheit gesiegt und genießt einen hohen Vertrauensvorschuss, vor allem bei der jungen Wählerschaft. Bei den Bildungseliten und Kunstschaffenden in den Metropolen herrscht nach wie vor viel Skepsis. Sie sagen klar, dass sie sich den Maidan nicht wieder nehmen lassen. D. h. sie würden keinen Kurswechsel weg von dem proeuropäischen Kurs und den Reformbewegungen der letzten Jahre hinnehmen. Selenskyj positioniert sich bislang als Vertreter von Kontinuität hinsichtlich der eingeleiteten Reformen im Kultur- und Bildungsbereich. Ende Juli fanden die Wahlen zum Parlament statt. Der Präsident hat mit seiner neu gegründeten Partei auf Anhieb auch hier die Mehrheit erreicht. Das fördert Ängste vor einer neuerlichen Machtkonzentration ebenso wie die Hoffnung auf schnelle Problemlösungen. Administrative und personelle Veränderungen wurden in den letzten Wochen bereits eingeleitet, darunter die Zusammenlegung der Ministerien für Kultur, Jugend und Sport, und Information. Führungspositionen werden derzeit neu besetzt, eventuell auch in wichtigen Institutionen der Kulturförderung. Wie sich das auf unsere Arbeit auswirkt, kann ich derzeit nicht abschätzen.

 

 

Beate Köhler und Theresa Brüheim
Beate Köhler leitet das Goethe-Institut in Kiew. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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