Sichtbar: Ist Religion nicht eigentlich Privatsache?

Vor Kurzem wurde ich bei einer Podiumsdiskussion gefragt, wie man denn mit Muslimen erfolgreich ins Gespräch kommen könne, obwohl der Koran doch so fremd sei. Ich sagte, für mich ist es sehr einfach geworden, nachdem ich mich in solchen Gesprächen nicht schüchtern mit meinem Glauben zurückhalte, sondern offensiv sage, dass ich Christ bin. Bei allen Unterschieden zwischen Islam und Christentum ist eines damit sofort klar, für mich ist Glaube keine Petitesse. Mein Glaube ist mir wichtig, und das macht mein Gegenüber sicherer, dass auch sein Glaube für mich eine Bedeutung hat. Seit ich offensiv mit meinem Glauben umgehe, sind die Gespräche mit Menschen anderer Glaubensrichtungen viel erfolgreicher geworden.

 

Aber ist Religion nicht eigentlich Privatsache? Gerade unter Intellektuellen wird gerne diese Meinung vertreten. Die, die glauben, sind doch eh etwas rückständig, und wenn sie es schon partout nicht lassen können, sollen sie es in ihren vier Wänden mit sich selbst tun und die Öffentlichkeit nicht behelligen. In den 15 Thesen der vom Deutschen Kulturrat initiierten „Initiative kulturelle Integration“ steht als vierte These der Satz: „Religion gehört auch in den öffentlichen Raum“.

 

Religionen können, da sind wir uns in der Initiative sicher, wichtige Beiträge zur kulturellen Integration leisten. Aber ist das nicht alles nur frommes Wunschdenken? Muslime werden in Deutschland auch wegen ihres Glaubens ausgegrenzt, immer wieder werden Moscheen angegriffen, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung warnt Juden sogar in Deutschland, in dem Land der Shoah, öffentlich die Kippa zu tragen, weil es zu gefährlich sei. Der Judenhass, der in Deutschland nie ausgerottet wurde, wird wieder in großer Breite gesellschaftsfähig. Das Juden und Muslime in Deutschland Angst haben müssen, liegt auch daran, dass sie ihre Religion öffentlich zeigen.

 

Solche sichtbaren, individuellen Zeichen wie z. B. Kippa und Kopftuch gibt es im Christentum nicht, doch wer hindert die Christen daran, ihr Bekenntnis deutlich zu benennen und damit der öffentlichen Religionsausübung mehr Normalität zu geben? Zur Sichtbarkeit des Glaubens gehört aber auch, dass Kirchen, Moscheen und Synagogen das kulturelle Bild unserer Städte deutlich mitprägen. Es ist gut, dass in Deutschland jetzt vermehrt Moscheen und Synagogen gebaut werden.

 

Im Grundgesetz unseres Landes ist zu lesen: „Die Freiheit des Glau-bens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Fangen wir an, dieses Recht für alle mit Leben zu füllen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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