Sichern wir unsere Selbständigen ab!

Dauerhafte Regelung bei Arbeitslosigkeit oder Arbeitsausfall dringend notwendig

Die Coronakrise führt den Wert sozialer Sicherung dramatisch vor Augen. Während sozialversicherungspflichtig Beschäftigte durch den Anspruch auf Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld abgesichert sind, ist das bei Selbständigen in aller Regel nicht der Fall. Im Kulturbereich ist diese Zweiteilung oft nahe beieinander klar zu beobachten: Freischaffende können plötzlich vor dem Nichts stehen, Angestellte, die vielleicht ganz ähnliche Tätigkeiten wahrnehmen, gehen in Kurzarbeit.

 

Daher sind viele Selbständige in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Aus dem Stegreif mussten Unterstützungspakete geschnürt werden, die aber oft als zu eingeschränkt wahrgenommen werden. Gerade Lebenshaltungskosten – also die Unternehmerlöhne – waren nicht abgesichert, sieht man von der Grundsicherung ab, die jedoch trotz der in der Coronakrise vereinfachten Bezugsbedingungen für viele Selbständige nicht in Frage kommt.

 

Das alles macht so klar wie noch nie: Es fehlt eine verlässliche dauerhafte Regelung, wie Selbständige bei Arbeitslosigkeit beziehungsweise Arbeitsausfall unterstützt werden können. Zwar können sich bestimmte Selbständige in der Arbeitslosenversicherung freiwillig versichern, aber die Bedingungen sind restriktiv: Benötigt werden Vorversicherungszeiten, so dass es sich eigentlich nicht um eine Arbeitslosenversicherung für Selbständige, sondern für ehemalige Angestellte handelt. Entsprechend ist die Zahl der versicherten Selbständigen gering. Das liegt aber nicht nur an den deutschen Regeln: Auch international ist eine sehr geringe Abdeckung freiwilliger Arbeitslosenversicherungen der Normalfall.

 

Rein mit einer Absicherung gegen Arbeitslosigkeit hätte man die Auswirkungen der Krise auf Selbständige aber nicht in den Griff bekommen. Denn eigentliche Arbeitslosigkeit trat in den meisten Fällen gar nicht ein. Gerade Künstlerinnen und Künstler geben ihren Beruf nicht wirklich auf, und dazu soll ja auch niemand gedrängt werden. Vor allem wird also auch eine Kurzarbeitsregelung für Selbständige benötigt, denn in den meisten Fällen wurde und wird das Geschäft nicht endgültig aufgegeben, aber die zeitweisen Einkommenseinbußen sind immens.

 

Natürlich stellt sich die Frage: Liegt es nicht in der Natur unternehmerischen Handelns, die Risiken selbst zu tragen? Gewiss, eine selbständige Tätigkeit ist etwas anderes als eine abhängige Beschäftigung. Aber im Krisenfall besteht die Problematik ja trotzdem, dass Selbständige bei Eintreten der Risiken unmittelbar vor dem Gang in die Grundsicherung stehen – der ihnen in vielen Fällen aber durch die Bedürftigkeitsregelungen dann doch versperrt ist. Und soziale Absicherung zeigt ihren Nutzen nicht erst im Krisenfalle, sondern hält den Rücken frei für eine nachhaltige und zuversichtliche berufliche Entwicklung. Die Zahl der Selbständigen in Deutschland sinkt, nicht erst seit Corona – etwas mehr Gründungsmut könnte dem Land nur guttun. Zudem würde eine umfassende Absicherung dazu führen, dass das Entgeltniveau am Markt die Kosten der sozialen Sicherung einbezieht – die Bruttoverdienste würden also steigen. Das kann man etwa am Unterschied von sozialversicherungspflichtigen Bruttoentgelten gegenüber Minijobentgelten beobachten, welche für die Arbeitnehmer sozialversicherungsfrei sind.

 

Wenn soziale Sicherung aber für Selbständige umfassend organisiert wird, ist es umso wichtiger, die konkreten Regeln praktikabel auszugestalten. Gerade eine Absicherung für vorübergehende Arbeitsausfälle – also ein Kurzarbeitergeld für Selbständige – ist zentral. Gleichzeitig ist eine solche Regelung aber nicht trivial, sondern stellt wesentliche Herausforderungen. Dafür und für eine Arbeitslosenversicherung für Selbständige generell haben Paul Schoukens und ich im Krisenjahr 2020 eine Reihe von Empfehlungen herausgearbeitet. So geht es darum, wie hoch ein Einkommensausfall ist und wodurch er verursacht wird. Insbesondere muss darauf geachtet werden, dass Lohnersatzleistungen nicht routinemäßig schon dann fließen, wenn es zu normalen Schwankungen der Auftragssituation kommt. Folglich sind einige Bedingungen notwendig:

 

  • So sollte ein bestimmter Mindesteinkommensrückgang unter den aktuellen Standard nachgewiesen werden.
  • Es müsste ein klarer Grund für den Einkommensrückgang angegeben werden, der unfreiwillig und kurzfristig unvermeidlich war.
  • Es müssten realistische Perspektiven aufgezeigt werden, die Aktivität nach einem vorübergehenden Ausfall wiederaufzunehmen.
  • Während es in der Natur der Kurzarbeit liegt, dass man für die Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen muss, könnte bei länger andauerndem Arbeitsausfall aber eine Verfügbarkeit für Weiterbildung und andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen verlangt werden.
  • Wie üblich wäre die Kurzarbeit zeitlich zu begrenzen.
  • Geprüft werden könnte im Vorhinein und mit besserer Informationslage noch einmal nachgelagert.

Diese Regeln würden dazu dienen, Mitnahmeeffekte möglichst gut zu begrenzen. Sicherlich liegen bestimmte Informationsasymmetrien vor. Allerdings wäre z. B. durchaus nachvollziehbar, mit welchem Geschäftsmodell bisher Einkommen erzielt wurde, ob dieses extern gestört wurde und ob die Aussicht auf eine Fortsetzung besteht. Unter dem Strich wäre Kurzarbeit für Selbständige bei außergewöhnlichen Ereignissen möglich – vorab mit klar definierten Bedingungen, die transparent ausgestaltet werden sollten. Kurzarbeitergeld ist dabei eine Leistung der Arbeitslosenversicherung. Das bedeutet: Selbständige wären in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen. Zur Finanzierung sollte es einen Beitrag geben, der sich anders als gegenwärtig am laufenden Einkommen orientiert. So wäre sichergestellt, dass das Ziel der Einkommensstabilisierung auch tatsächlich erfüllt wird und dass Beiträge nur entsprechend der eigenen finanziellen Leistungsfähigkeit gezahlt werden. Die Leistungen sollten dann wie üblich abhängig von den Beiträgen berechnet werden. Momentan orientieren sich die Leistungen für Selbständige dagegen an der formalen Qualifikation; bei gleichen Beiträgen erhält man mit höherer Qualifikation also ein höheres Arbeitslosengeld. Das entspricht natürlich nicht dem Äquivalenzprinzip, und gerade bei künstlerischen Tätigkeiten ist ein formaler Abschluss sicherlich nicht notwendigerweise ein entscheidendes Kriterium. Wichtig ist auch, sich bei allen Versicherungsregeln an dem erzielten Einkommen zu orientieren, und nicht an einer kaum messbaren Zahl von Arbeitsstunden.

 

Anders als bei eilig geschnürten Notpaketen gäbe es also von vornherein verlässliche Bedingungen – sowohl bei den Leistungen als auch bei der Finanzierung. Und auch bei Wechseln zwischen selbständigen und angestellten Tätigkeiten wäre eine kontinuierliche Absicherung gewährleistet.

 

Der Anspruch auf Arbeitslosengeld, anders als bei der oben geschilderten Kurzarbeit, wäre bei Selbständigen an eine tatsächliche Beendigung der Tätigkeit gebunden – z. B. die Schließung ihres Geschäfts. Anders als bei der Entlassung eines abhängig Beschäftigten ist bei ihnen allerdings schwer zu prüfen, inwieweit das unfreiwillig geschah. Daher müsste zumindest nachgewiesen werden, dass die Geschäftsaufgabe aus triftigen Gründen und nicht etwa deshalb erfolgte, um die Versicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen.

 

Um Fehlanreize für eine übermäßige wiederholte Inanspruchnahme zu vermeiden, werden oft Regelungen wie eine Deckelung der Zahl der Anträge verwendet. Allerdings schränkt dies eine kontinuierliche soziale Absicherung auf gravierende Weise ein. Denkbar wäre stattdessen ein weniger abruptes „experience rating“, das im Falle wiederholter Inanspruchnahme von Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld das Leistungsniveau reduziert. Eine solche Regelung wäre sowohl kontinuierlich als auch anreizkompatibel.

 

Bei der Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt sollte freischaffenden bzw. unternehmerischen Persönlichkeiten in einer ersten Phase Spielraum gegeben werden, sich in der Arbeitslosigkeit frei für eine selbständige Tätigkeit entscheiden zu können. Bleiben solche Bemühungen allerdings aus oder hält die Arbeitslosigkeit länger an, sollte aber eine rasche Arbeitsmarktintegration durch entsprechende Vermittlungsaktivitäten sichergestellt werden.

 

Die Absicherung gegen Arbeitslosigkeit hat einen hohen persönlichen und gesellschaftlichen Wert, unabhängig davon, ob jemand einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat. Die Regeln einer Versicherung für Selbständige sollten denen für Beschäftigte so ähnlich wie möglich sein, aber auch so spezifisch wie nötig ausgestaltet werden. Dies würde verlässliche Bedingungen schaffen, um in die nächste Krise nicht genauso hineinzulaufen wie in die aktuelle.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.

Enzo Weber
Enzo Weber ist Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und Lehrstuhlinhaber an der Universität Regensburg.
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