Sicherheitszwang

Ist das Vertrauen im kulturellen Wandel verloren gegangen?

Bildwelten des Schreckens, Terroranschläge, Amokläufe und anonyme Drohungen haben unser Zusammenleben schleichend verändert. Das Sicherheitsbedürfnis wächst und findet Eingang in alle Lebensbereiche. Möglicherweise ist es dringend an der Zeit, dies aus einer distanzierten Perspektive gemeinsam kritisch zu reflektieren: Wollen wir wirklich so leben?

 

Jüngst wurde ich von einem Ministerium zu einem Gespräch eingeladen. Es besteht hier eine lange gute Zusammenarbeit. Noch vor fünf Jahren meldete man sich bei der Pforte, zeigte den Ausweis und nannte seinen Gesprächspartner. Heute gibt es einen Nebeneingang mit einer Sicherheitsschleuse, wie im Flughafen. Da ich direkt nach dem Gespräch zurückreisen wollte, hatte ich einen Koffer dabei. Beim Eintritt wurde nicht nur darum gebeten, den Laptop, sondern alle elektronischen Geräte, wie auch Handys aus der Tasche zu nehmen und in ein separates Fach zu legen. Ich wurde durchleuchtet und als ich dann zum Empfang gehen wollte, ertönte die entrüstete Stimme des Sicherheitspersonals: „Halt, Sie haben eine Nagelschere dabei!“ Ja, eine Nagelschere im Kosmetikkoffer in meinem Rollkoffer. Mein freundlicher Einwand, ich könne den Koffer gerne hier am Eingang stehen lassen, wurde mit einem barschen „Nein, das geht nicht, Sie müssen die Nagelschere herausnehmen und aushändigen“ kommentiert … Ich war eingeladen! Kurz durchzuckte mich der Gedanke, wie es wäre, wenn die eigene Einrichtung auch eine solche Sicherheitsschleuse aufbauen würde – immerhin haben wir Publikumsverkehr. Wie würden sich hier Kooperationspartner und Förderer fühlen?

 

Daran anknüpfend, werden viele weitere Assoziationen und Erlebnisse wach. Der Eiffelturm, dessen Platz seit einiger Zeit nicht mehr offen zugänglich ist, oder jüngst eine Diskussion auf einer Tagung zum internationalen Jugendaustausch mit der globalen Perspektive, eine kulturelle Partnerschaft auf Augenhöhe anzustreben: Programmverantwortliche scheitern hier jedoch oftmals bei der Visabeschaffung. Denn die Einreise aus afrikanischen Ländern nach Europa bedingt hier oftmals den Nachweis einer konkreten Arbeit und eines Einkommens. Für deutsche Jugendliche ist dagegen die Visumsbeschaffung kein Problem. Die Botschafterin aus Benin erlaubte sich auf der Tagung ein klares Statement: Es gäbe in ihrem Land nur zwei Prozent, die auswandern wollen. Das Gros liebe ihr Land und würde es nicht verlassen, dennoch würden immens hohe Hürden für europäische Visa bestehen. Eine Frage des fehlenden Vertrauens? Schaffen es einige wenige Vorfälle des Terrors oder der Flucht, hier unser gesamtes menschliches Miteinander auf den Kopf zu stellen? Wäre es hier nicht ein erster Schritt, Regeln für die Sicherheit flexibler und differenzierter anzuwenden? Können Sicherheitsvorkehrungen oder Visabestimmungen je nach Situation nicht variieren? Geht es um eine namentlich unbekannte Besuchergruppe? Oder einen geladenen Gast, Kooperationspartner oder eine Grundschulklasse?

 

Auch müssen wir uns grundsätzlich die Frage stellen: Können wir uns wirklich gegen alle Gefahren absichern? Oder ist dies sowieso ein Trugschluss? Sind Wertschätzung und Vertrauen nicht ebenso ein wichtiges Gut wie Sicherheit? Wenn wir auf nationalen Tagungen diskutieren, gehen wir oft sofort in medias res und verweisen auf kritische Aspekte. Auf internationalen Tagungen kann dagegen oft die Haltung beobachtet werden, erst einmal die positiven Aspekte eines Beitrags zu loben, bevor auf die Negativen eingegangen wird. Vielleicht brauchen wir eine neue Balance zwischen Sicherheit und Vertrauen: Wo müssen wir uns schützen, aber auch, wo können wir vertrauen, um eine wertschätzende Atmosphäre des Miteinanders zu schaffen?

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2019-01/2020.

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
Vorheriger ArtikelEin Recht auf Kultur
Nächster ArtikelDas Ende des gesellschaftlichen Diskurses