Schere im kritischen Kopf

Auch aufklärerische Medien meiden Themen

Wer wäre heute nicht gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit, nicht für die Aufnahme vergewaltigter, misshandelter Flüchtlinge in Not und ihrer Familien, für den Schutz von Frauen und Kindern vor sexueller Gewalt? Stellte ich diese Fragen so allgemein, würde wohl kaum jemand Nein sagen. Im Konkreten sieht das anders aus.

 

Beispiel eins: Seit einem Jahr recherchiere ich zu anerkannten Flüchtlingen aus Eritrea, einer der schlimmsten Diktaturen der Welt, denen der Familiennachzug ihrer Frauen und Kinder nach Deutschland in vielen Fällen verwehrt wird – nicht von CSU-Innenminister Horst Seehofer, sondern von den deutschen Botschaften und dem zuständigen Auswärtigen Amt . Unter Verantwortung und auf Geheiß von SPD-Außenminister Heiko Maas, der sich stets als großer Menschenfreund und Verteidiger der Menschenrechte feiert. Aber in Wahrheit sehr kaltherzig und gleichgültig ist. Zwei der Flüchtlinge, um die es geht, sind christliche Frauen, die auf ihrer Flucht im Sudan von Horden muslimischer Männer gefangen gehalten und massenvergewaltigt wurden. Rassismus und Sexismus gibt es eben überall. Dennoch erlauben ihnen die Botschaften und das Auswärtige Amt seit Jahren nicht, ihre dadurch entstandenen kleinen Kinder zu sich nach Deutschland zu holen, unter bürokratischen Vorwänden, und überlassen sie ihrem Schicksal. Verzweifelte Versuche von Anwälten, von Helfern auch mit Hilferufen an Maas persönlich und von mir über mehrere Bundestagsabgeordnete, ihre Einreise zu erreichen, blieben erfolglos. Ein sechsjähriges Mädchen ist jetzt mutterseelenallein bei einer fremden Frau in einem sudanesischen Dorf, die dafür von der geflüchteten Mutter Geld verlangt. Selbst das konnte das Auswärtige Amt und das Verwaltungsgericht Berlin nicht erweichen.

 

Einen dringenden Bericht darüber habe ich 20 Redaktionen geschickt, von der taz bis zur FAZ, und diversen Fernseh- und Radiosendern. Die Allermeisten haben gar nicht geantwortet, derweil alle Kanäle voll waren mit Liveberichten vom abgebrannten Lager Moria auf Lesbos. Die Situation dort ist seit Jahren schrecklich, aber die Menschen sind immerhin in der EU und werden bleiben. Die Kinder der vergewaltigten Frauen aus Eritrea dürfen nicht rein, obwohl sie teils in akuter Gefahr sind. Warum? Und weshalb kratzt das niemanden, so wenig wie z. B. die Millionen umherirrender Binnenflüchtlinge in Syrien, wo immer noch Krieg tobt? Ein leitender Redakteur eines großen Mediums, das ständig Rassismus, Unterdrückung von Frauen und die Inhumanität gegenüber Geflüchteten anprangert, schrieb mir: „Das sind bewegende Fälle. Aber das interessiert hier niemanden.“ Ist das so? Oder schließt er von sich auf die Leser? Mich bewegt die Not dieser Kinder und Frauen sehr, weil ich selbst Vater von drei Kindern und Großvater bin. Ich möchte ihnen helfen, durch öffentlichen Druck. Aber ich bekomme die Möglichkeit dazu nicht.
Beispiel zwei: Ich hatte privat und als Journalist immer wieder mit sexueller Gewalt gegen Kinder zu tun, habe mehrere Fälle selbst recherchiert und einen furchtbaren öffentlich gemacht. Ich bin deswegen wiederholt bedroht worden, der Chefredakteur einer großen Zeitung, der mit einem der mutmaßlichen Täter per Du war, hat versucht, mich als Journalist zu vernichten. Meine Informanten wurden massiv unter Druck gesetzt. Der Regierungschef eines Bundeslandes hat, wie ich herausfand, widerrechtlich Ermittlungen vereitelt gegen einen Filmproduzenten, der sich an Kindern verging und wohl auch Kinderpornos produzierte. Eine Berliner Sozialarbeiterin, die lange in einer Schule in Kreuzberg arbeitete, berichtete mir, dass dort Kinder von einem Kinderschänderring weitergereicht wurden und die Eltern – darunter Grüne, linke Journalisten und Professoren – wegschauten oder die Väter selbst mitmachten. Die Leiterin einer Opferberatungsstelle sagte mir, dass am Runden Tisch der Bundesregierung zur Aufarbeitung des Missbrauchs in den Kirchen und an Vorzeigeschulen ebenfalls Vertreter solcher Täterringe saßen, getarnt als Opferschützer. Einen langen Text von mir dazu wollte kein Medium drucken. Warum? Weshalb decken Journalisten und Politiker solche Schwerverbrecher, die Kinder zerstören? #MeToo war ein riesiges Thema, besonders wenn es um Schauspielerinnen und Prominente ging. Wieso ist es die tägliche massenhafte sexuelle Gewalt gegen Kinder nicht mindestens genauso?

 

Beispiel drei: Eine 75-jährige Bekannte, die jahrelang Flüchtlinge betreute, berichtete mir von einer syrischen Großfamilie, um die sie sich intensiv gekümmert hat. Besonders die Tochter, ein fröhliches Mädchen, das Arzthelferin werden wollte. Doch dann zwangsverheiratete sie die Mutter an einen doppelt so alten Cousin, obwohl sie selbst zwangsverheiratet und dadurch um ein eigenständiges Leben gebracht worden war. Als sehr emanzipierte Frau hielt die Flüchtlingshelferin das nicht aus, brach jeden Kontakt ab und gab die Flüchtlingshilfe nach weiteren Enttäuschungen schweren Herzens auf. Mit meiner Hilfe schrieb sie ihre Erfahrungen auf. Doch auch das wollte niemand veröffentlichen. Weshalb? Weil es dem Klischee in grünen und linken Kreise widerspricht, dass Flüchtlinge und Migranten immer Opfer sind? Oder weil sich Redakteurinnen und Redakteure nicht entscheiden können, ob sie die Rechte von Mädchen und Frauen auf ein freies, selbstbestimmtes Leben auch dann verteidigen wollen, wenn sie nicht von „biodeutschen“ Männern unterdrückt werden, sondern von patriarchalischen eingewanderten Männern und Frauen?

 

„Schreiben, was ist“, hat Rudolf Augstein als Mahnung hinterlassen. Das gilt leider zu oft nicht mehr. Ich werde es dennoch weiter tun.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.

Ludwig Greven
Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor.
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