D er Deutsche Kulturrat hat die umfangreiche Studie „Frauen in Kultur und Medien – Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge“ vorgelegt. Kern der Studie ist der von Gabriele Schulz erarbeitete Datenteil, der ausführlich über die Entwicklung der Repräsentanz von Frauen im Kultur- und Medienbereich in den Jahren von 1994 bis 2014 Auskunft gibt. Doch warum diese Beschäftigung mit Geschlechtergerechtigkeit im Kulturbereich?
Als ich Anfang der 1980er Jahre bei einem bekannten Kunsthändler meine ersten beruflichen Schritte tat, vertrat dieser keine Frauen in seinem Programm. Er war der festen Auffassung, dass Frauen keine guten Künstlerinnen sein könnten und hielt mit dieser Auffassung auch nicht hinter dem Berg. Auch gut zehn Jahre nach dem Aufkommen der zweiten Frauenbewegung, nach dem Erfolg von Künstlerinnen, die ihre Kunst bewusst als feministisch verstanden, war die Aussage meines ehemaligen Chefs weder anstößig, noch rief sie in irgendeiner Hinsicht Protest in der Kunstwelt hervor. Der männlich geprägte Geniekult wurde damals nicht hinterfragt.
Eine andere persönliche Erfahrung eine Dekade später, Anfang der 1990er Jahre: Für die Fachgruppen Bildende Kunst der IG Medien habe ich, damals selbstständiger Galerist, sogenannte Professionalisierungsseminare für freiberufliche Künstlerinnen und Künstler entwickelt und dutzende Male durchgeführt. An diesen Seminaren nahmen vor allem Bildende Künstlerinnen und Künstler teil. Ziel der Seminare war es, über den Kulturmarkt zu informieren, „Überlebenstechniken“ zu erlernen und sich mit Selbstmarketing zu befassen. Der überwiegende Teil waren Teilnehmerinnen. Auffallend war, dass, obwohl die Mehrzahl der Teilnehmerinnen sehr qualifiziert und im Markt präsent war – oft mehr als die Teilnehmer –, sie dennoch das Gefühl hatten, sich noch weiter qualifizieren zu müssen.
Eine weitere Situation weitere zwei Jahrzehnte später: Wenn ich als Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates eine Stelle für ein Praktikum, eine Studentische Mitarbeit, eine Referentin oder einen Referenten ausschreibe, bewerben sich in erster Linie Frauen, hoch qualifizierte Frauen mit hervorragenden Zeugnissen, mit Berufserfahrungen vielfältiger Form, lern- und wissbegierig und mit hoher Einsatzbereitschaft.
Was haben diese Anekdoten mit Gleichstellung im Kulturbetrieb zu tun? Dreierlei meines Erachtens. Zum einen zeigt die eine den Subtext, wenn über Gleichstellung im Kulturbetrieb oder Frauen im selbigen gesprochen wird. Patriarchale Strukturen haben sich tief in das Bild von künstlerischer Arbeit eingegraben. Männern werden eher künstlerische Charakteristika wie Kreativität, Obsession, Wille und Durchsetzungsvermögen zugeschrieben. Und dies, obwohl erfolgreiche Künstlerinnen längst bewiesen haben, dass sie sich sowohl in der Kunstwelt als auch im Markt behaupten können. Die zweite Anekdote veranschaulicht, dass Frauen sehr häufig unter dem Druck stehen, ihre Qualifikation immer wieder unter Beweis stellen zu müssen. Oft haben sie den Eindruck, sich stets weiterbilden zu müssen. Die dritte Anekdote zeigt die aktuelle starke Präsenz von Frauen in geistes- und kunstwissenschaftlichen Studiengängen, ihre hohe formale Qualifikation und ihr Engagement für eine berufliche Laufbahn im Kulturbereich.
Für den Deutschen Kulturrat ist die Repräsentanz von Frauen im Kultur- und Medienbereich seit 1995 ein Thema. In jenem Jahr erschien die Studie „Repräsentanz von Frauen in Kunst und Kultur“, der eine Befragung von Mitgliedsverbänden des Deutschen Kulturrates zur Repräsentanz von Frauen in ihren Organisationen und im Arbeitsfeld zugrunde lag. In weiteren Mitgliederbefragungen hat der Deutsche Kulturrat in den darauffolgenden Jahren geprüft, ob sich die Repräsentanz von Frauen in den Kulturverbänden verändert hat. Mit Unterstützung der Kultusministerkonferenz erstellte der Deutsche Kulturrat im Jahr 2002 die umfangreiche Studie „Frauen in Kunst und Kultur“, in der über einen Zeitraum von fünf Jahren die Präsenz von Frauen in Führungspositionen von Kultureinrichtungen und ihre Partizipation an der individuellen Künstlerförderung untersucht wurde. Der Deutsche Kulturrat hatte zusammen mit den für „Frauenkultur“ zuständigen Referentinnen aus den Kulturministerien der Länder geplant, die Untersuchung „Frauen in Kunst und Kultur“ alle fünf Jahre zu wiederholen, um so anhand von Datenreihen Entwicklungen nachvollziehen zu können. Obwohl die Studie des Deutschen Kulturrates als Referenz vielfach herangezogen wurde, hatte die KMK leider kein Interesse an der Fortführung.
Der Frage, welche Aufstiegschancen Frauen in einem Medienunternehmen haben und welche Möglichkeiten Gleichstellungsarbeit im Betrieb hat, wurde in der Untersuchung zum WDR als Kulturakteur 2009 nachgegangen. Hier konnte gezeigt werden, dass aktive Gleichstellungspolitik von Seiten eines Intendanten Wirkung entfaltet. In der Untersuchung „Arbeitsmarkt Kultur – Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Kulturberufen“ wurde 2013 querlaufend das Geschlechterthema mitdiskutiert. So wurde beispielsweise ausgewertet, wie hoch der Studentinnenanteil in den künstlerischen Studiengängen ist, wie viele Künstlerinnen und wie viele Künstler in den verschiedenen Berufsgruppen in der Künstlersozialversicherung versichert sind und wer wie viel verdient. Jetzt konnte der Deutsche Kulturrat, mit finanzieller Unterstützung von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, MdB, die bislang umfangreichste Studie zu Frauen im Kultur- und Medienbereich vorlegen.
Eine wichtige Erkenntnis aus der Studie ist: Differenzierung ist vonnöten. Die Situation in einer öffentlichen Kultureinrichtung, einem Forschungsmuseum oder gar einer Hochschule kann nicht mit der einer freiberuflichen Künstlerin gleichgesetzt werden. Doch Differenzierung bedeutet nicht Unklarheit. Im Gegenteil: Die Studie zeigt klar, wie, mit welchen Mitteln und an welchen Orten mehr Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden kann. Staat, Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie auch Verbände müssen jetzt aktiv werden.
Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/16.