Nach der Wahl und vor der Bundesregierung

Zentrale kulturpolitische Forderungen

Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe ist die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag gerade einmal 24 Stunden her. Die einen jubilieren, die anderen lecken noch ihre Wunden, die ersten Rücktritte sind zu verzeichnen und es steht die Frage im Raum, welche Bedeutung die ehemalige deutsch-deutsche Grenze wieder hat, wenn man die Grafiken zu den Wahlergebnissen zwischen Ost und West sieht – als wäre der Grenzzaun wieder aufgebaut worden.

 

Anforderungen an die Kulturpolitik 

Es ist nun an der Union, eine Regierung zu bilden und die SPD als Koalitionspartner zu gewinnen. Wie zu vernehmen ist, soll es ein kurzer Koalitionsvertrag sein, in dem nur wesentliche Themen und Verfahrensweisen benannt werden. Dies ist sicherlich auch eine Lehre aus den Erfahrungen der letzten beiden Wahlperioden. In der 19. Wahlperiode (2017 bis 2021) setzte die Coronapandemie der „normalen“ Umsetzung des Koalitionsvertrags ein Ende, in der 20. Wahlperiode (2021-2025) waren es der Ukraine-Krieg, die dadurch bedingten verstärkten Militärausgaben sowie die Stützung der Energiepreise aufgrund des Wegfalls von preiswertem russischem Gas.  

Für ein prägnantes Kulturkapitel in einem gemeinsamen Koalitionsvertrag sind aus unserer Sicht vor allem die nachfolgend genannten Themen vordringlich.

 

Rahmenbedingungen  

Die wesentliche Aufgabe der Kulturpolitik auf bundespolitischer Ebene ist die Gestaltung der Rahmenbedingungen. Der Bund ist für das Arbeits- und Sozialrecht, das Steuerrecht, das Urheberrecht, das Kulturgutschutzgesetz originär zuständig.

 

Hier werden die Rahmenbedingungen zur sozialen Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern sowie anderen im Kulturbereich Tätigen gestaltet. Hier wird entschieden, wer an den gesetzlichen sozialen Sicherungssystemen partizipieren kann und wer nicht. Fragen der Statusfeststellung, die Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung – seit 2009 in der Diskussion –, der Mutterschutz für Selbstständige und die Absicherung von Selbstständigen bei unvorhersehbaren Verdienstausfällen z. B. durch eine Pandemie müssen zügig angepackt werden.

 

Klar muss bleiben, dass das Urheberrecht die Schöpferinnen und Schöpfer künstlerischer Leistungen in den Mittelpunkt rückt. Es geht um die Sicherung der unverbrüchlichen Verbindung von Urheber und Werk sowie um die Erlösmöglichkeiten für Rechtsinhaber. Angesichts der technischen Entwicklungen und mit Blick auf die Rechtssetzung durch die Europäische Union müssen hier Prioritäten gesetzt werden. 

Die Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes wäre ohne vorgezogene Neuwahlen sicherlich längst vollzogen. Jetzt kann der bestehende, unstreitige Gesetzesentwurf genutzt werden, um an dieses Vorhaben zügig einen Haken zu machen. Komplexer ist die Frage nach einem speziellen Restitutionsgesetz oder Regelung von Restitutionsfragen im Kulturgutschutzgesetz und anderen Gesetzen mit Blick auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Der in der 20. Wahlperiode vorgelegte Entwurf stieß auf scharfe Kritik. Es braucht einen neuen Anfang. Der NS-verfolgungsbedingte Entzug von Kulturgut liegt fast 90Jahre zurück. Das Thema muss nun ohne Zeitverzug, mit Augenmaß und Empathie angegangen werden. Die Schuldfrage ist eindeutig. Kleinlichkeit ist hier fehl am Platz.

 

Zu den gesetzlichen Maßnahmen würde auch die Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz gehören. In diesem Jahr ist es 20 Jahre her, dass die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags »Kultur in Deutschland« diese Handlungsempfehlung einstimmig beschlossen hat. Der Satz »Der Staat schützt und fördert die Kultur« besticht unseres Erachtens nach wie vor durch seine Klarheit und Kürze. 

 

Kulturförderung 

Bei der Kulturfinanzierung spielt der Bund im Vergleich zu den Kommunen, die die Hauptlast der öffentlichen Kulturförderung tragen, und den Ländern, die dicht auf die Kommunen folgen, eine geringere Rolle. Gleichwohl ist kein Euro an Bundesförderung verzichtbar. Der Bund konzentriert sich in seiner Kulturfinanzierung auf Institutionen und Vorhaben von nationaler und teils auch internationaler Bedeutung. Zu denken ist etwa an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Bundesarchiv, die Deutsche Welle, das Deutsche Historische Museum, das Haus der Geschichte, die Kulturstiftung des Bundes, die Bundeskulturfonds und andere Institutionen. In der Projektförderung setzt der Bund Impulse, die wiederum andere Fördermittel nach sich ziehen können, er unterstützt jene Exzellenz im Kulturbereich, die die Spitzenstellung von Kunst sowie Künstlerinnen und Künstlern aus Deutschland begründen, er forciert Vermittlungsvorhaben und leistet einen wesentlichen Beitrag zur kulturwissenschaftlichen Forschung.  

Stabilität in der öffentlichen Kulturförderung ist die Voraussetzung, um ggfs. zusätzliche private Mittel einzuwerben. Wer allerdings meint, dass private Mäzene oder Sponsoren bereit wären, die Grundförderung zu übernehmen, kennt die öffentlichkeits- und modengetriebenen Vorlieben dieser Förderer nicht. 

 

Die Umsetzung angestoßener oder neuer Veränderungen setzt Planungs- und damit auch finanzielle Sicherheit voraus. 

Gehütet werden sollte sich vor Bekenntniszwängen bei der künftigen Kulturförderung. Die Kulturministerkonferenz, die BKM und die kommunalen Spitzenverbände haben in der Gemeinsamen Erklärung „Freiheit und Respekt in Kunst und Kultur“ vom 13.03.2024 Eckpunkte zur Kulturförderung verabschiedet, die tragfähig sind. Der Deutsche Kulturrat hat sich in seiner Stellungnahme „Freiheit der Kunst sichern – Antisemitismus und Rassismus im Kulturbereich bekämpfen!“ hierzu positioniert und eigene Vorschläge gemacht, wie durch Sensibilisierung und Stärkung der Eigenverantwortung Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegengewirkt werden kann. Der Prozess findet derzeit statt.

 

Digitalisierung und Datenwirtschaft 

Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Datenwirtschaft sind keine neuen Herausforderungen, aber nach wie vor aktuell. Essenziell ist unseres Erachtens, dass es im Kulturbereich um Werke und nicht um Daten geht.  

Mit Blick auf den Vorsprung und die marktbeherrschende Stellung US-amerikanischer Technologiekonzerne ist es eine kulturpolitische Herausforderung, wie mit dem Gesamtkomplex „Digitales umgegangen wird. Verschiedene, zeitlich befristete und im Weltmaßstab deutlich zu gering finanzierte Vorhaben werden nebeneinanderher gefördert. Der eine muss sich von dem anderen abgrenzen, und viel Zeit und damit auch Geld wird dafür aufgewandt, Abgrenzungen und Spezialisierungen zu formulieren. Hier bedarf es einer großen Kraftanstrengung gemeinsam mit allen Ländern, um tatsächlich einen Schritt voranzukommen. Dabei müssen Prioritäten gesetzt und ggfs. von Vorhaben Abschied genommen werden. Ebenso muss ehrlich die Frage beantwortet werden, ob Ertragsmöglichkeiten tatsächlich bestehen oder ob eine dauerhafte öffentliche Förderung von Nöten ist. Wenn ja, müssen hierfür die entsprechenden Ressourcen bereitgestellt werden.

 

 

Mögliche Streitpunkte  

Werden die Wahlprogramme von CDU/CSU und SPD zu kulturpolitischen Fragen nebeneinandergelegt, gibt es neben Fragen, bei denen andere Schwerpunkt oder Nuancen in der Ausrichtung gesetzt werden, zwei Themen, in denen beide weit auseinanderliegen. 

Das ist zum einen der Anspruch „Kultur für alle, den die SPD erhebt und dem die Formulierung einer „Leitkultur der CDU/CSU gegenübersteht. Allein das Wort „Leitkultur lädt zu erbitterten Auseinandersetzungen und vor allem Missverständnissen ein. Ist Leitkultur nach dem Verständnis von CDU/CSU, alles, was in Kultureinrichtungen bewahrt und lebendig gestaltet wird oder steckt dahinter doch der Wunsch einer Präzisierung und damit möglicherweise auch Ausgrenzung z.B. des zeitgenössischen künstlerischen Schaffens? Das wird sicherlich eine Frage sein, die das Verhandlungsteam Kultur bei möglichen Koalitionsverhandlungen beschäftigen wird.  

Der andere mögliche Streitpunkt ist die Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz. Friedrich Merz hat vor der Wahl die Bedeutung von Europa unterstrichen, hier wirkt der Beginn seiner politischen Laufbahn als Abgeordneter des Europäischen Parlaments möglicherweise noch nach. Zur europäischen Verständigung gehört essenziell die Versöhnung mit jenen Ländern, in denen vor dem 2. Weltkrieg Deutsche gelebt haben, die in Folge des Krieges vertrieben wurden. Von den ehemals Vertriebenen leben nur noch Hochbetagte. Die Kinder, Enkel und Urenkel der Vertriebenen hören allenfalls von ihren Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern Geschichten aus der verlorenen Heimat. Die Kultureinrichtungen, die das kulturelle Erbe jener Regionen pflegen, haben sich in den letzten Jahren – auch im europäischen Dialog – neu aufgestellt. Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ordnet die Vertreibung der Deutschen sensibel in weltweite Vertreibungsgeschichten ein und steht im europäischen Dialog. Ein Zurück zur Vertriebenenkulturpolitik der 1990er Jahre wäre vollständig aus der Zeit gefallen.

 

Zusammenhalt in Vielfalt 

Am Wahlabend wurde gezittert, wie viele Parteien in den Deutschen Bundestag einziehen und welche Regierungsbündnisse möglich sind. Viele Bürgerinnen und Bürger wünschen sich Stabilität, die Bindungskraft der ehemaligen Volksparteien hat aber deutlich nachgelassen. Deutschland ist eine vielfältige Gesellschaft. Umso wichtiger ist der Zusammenhalt in Vielfalt; damit dieser gelingt, bedarf es des Zusammenwirkens der verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte, des Blicks über den eigenen Tellerrand und der Toleranz.

 

Die nun anstehenden Koalitionsverhandlungen werden zeigen, ob es einer neuen Bundesregierung gelingen kann, die Weichen für Zusammenhalt in Vielfalt zu stellen und beherzt umzusetzen. Danach erwarten wir von Bundeskanzler Friedrich Merz und seiner Regierung nicht nur schöne Worte, sondern handfeste kulturpolitische Taten.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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