Kulturelles Erbe für Europas Zukunft

Das Europäische Kulturerbejahr 2018 in Deutschland

Mit einem Glockenschlag haben wir Anfang Januar im Hamburger Rathaus die deutschen Programmbeiträge zum Europäischen Kulturerbejahr 2018 „Sharing Heritage“ offiziell gestartet. Das Läuten der Schiffsglocke der „Schaarhörn“, des ersten in der traditionsreichen Hansestadt unter Denkmalschutz gestellten Schiffes, war dabei ein sehr gutes Symbol für das, was wir erreichen möchten: Das Kulturerbejahr will das reichhaltige und gemeinsame europäische kulturelle Erbe zum Klingen bringen, neu ins Bewusstsein rücken und damit aus der Kultur heraus einen Beitrag zur Zukunft des Kontinents leisten.

 

Europa braucht neue Impulse
Das Kulturerbejahr findet in einer europapolitisch sehr herausfordernden Phase statt – und kommt vielleicht gerade deshalb zum richtigen Zeitpunkt: Der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, die schwierigen Verhandlungen zum Umgang mit den Flüchtlingsbewegungen und die Zunahme nationalistischer Tendenzen sind nur drei Beispiele dafür, dass die gemeinsamen, über Jahrzehnte erreichten Erfolge der europäischen Integration nicht unverrückbar sind. Der weitere Ausbau der Zusammenarbeit – angesichts supranationaler Herausforderungen in vielen Gebieten erforderlicher denn je – gestaltet sich schwierig. Europa braucht eine Rückbesinnung auf das, was uns zusammenhält und zugleich neue Impulse, um die Gemeinsamkeit mit frischen Ideen, Kraft und Mut zu füllen.

 

Kultur – das wird in diesem Jahr besonders deutlich – wird bei der Gestaltung unseres Kontinents gebraucht; sie ist weit mehr als schönes Beiwerk. Kultur ist der Kitt, der das Fundament des Verständnisses füreinander und des Miteinanders legt. Die nationalen aber auch regionalen kulturellen Traditionen – sie stehen nicht im Widerspruch zu Europa, sondern verdeutlichen die wechselseitigen kulturellen Beeinflussungen über Generationen hinweg. Gemeinsames kulturelles Erbe ist Vielfalt und Reichtum zugleich. Europa ist eine Kulturgemeinschaft.

 

Programm schlägt Brücken überall auf dem Kontinent
Diese europäischen Verknüpfungen stehen bei den deutschen Beiträgen zum Kulturerbejahr im Mittelpunkt. Das umfangreiche Programm wirkt in das ganze Land und schlägt Brücken überall auf dem Kontinent. Der Bund, die Länder, Kommunen, kulturelle Institutionen, Verbände und Initiativen – viele haben sich aufgemacht und neue Projekte konzipiert oder bestehende Angebote weiterentwickelt. Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz koordiniert die Aktivitäten. Bundesweit haben sich bis jetzt weit mehr als 200 Projekte angemeldet, und die Zahl an Aktivitäten nimmt täglich zu. Von der großen Ausstellung über den kreativen Schülerwettbewerb bis hin zum klangvollen Musikfestival ist alles dabei.

 

Bundesweit schon mehr als 200 Projekte
Im westfälischen Münster startet im April beispielsweise ein gemeinsames Ausstellungsvorhaben von fünf Museen, das sich vor dem Hintergrund des 400. Jahrestages des Beginns des Dreißigjährigen Krieges der Sehnsucht nach Frieden, seinen Symbolen und Ritualen, seinen Bildern und Wegen widmet. In Berlin lädt das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Kooperation mit dem Verband der Landesarchäologen in Deutschland zu einer außergewöhnlichen Spurensuche ein: In der Ausstellung „Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland“ werden im Martin-Gropius-Bau ab dem 21. September die spektakulärsten Funde der deutschen Archäologie aus allen 16 Bundesländern zu sehen sein. Bamberg mit seiner einzigartigen Verbindung historischer Stadtstrukturen würdigt seine Auszeichnung als Welterbestätte vor 25 Jahren mit einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm über das ganze Jahr hinweg. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci rücken im Juni die europäische Dimension ihrer Wirkungsstätte in den Blickpunkt und wollen das zum Klingen bringen, was seit Jahrhunderten zu den Fundamenten der Stadt gehört: das tolerante, inspirierende europäische Miteinander. Das sind nur wenige Beispiele aus einem wahren Füllhorn herausragender Kulturereignisse, die Gelegenheiten bieten, kulturelles Erbe mit allen Sinnen zu erfahren. Eine Übersicht über alle Projekte findet man auf der Homepage unter www.sharingheritage.de.

 

Sharing Heritage – Sharing Values
Von Bedeutung weit über das Jahr hinaus wird auch der European Cultural Heritage Summit „Sharing Heritage – Sharing Values“ vom 18. bis 24. Juni in Berlin sein. Im Rahmen von mehr als 30 Veranstaltungen wird dort über die Rolle des kulturellen Erbes und das Europa der Zukunft diskutiert werden. Der Summit mit einem facettenreichen kulturellen Begleitprogramm wird von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Europa Nostra und dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz organisiert.

 

So vielfältig wie das Programm des Kulturerbejahres ist auch das Engagement dafür: Eine große Zahl an Aktivitäten wird durch kommunale Kultureinrichtungen, Vereine, die Zivilgesellschaft und auch private Initiativen getragen. Das bürgerschaftliche Engagement ist enorm. Bund und Länder gehörten auf europäischer Ebene mit zu den Initiatoren des Jahres und unterstützen eine Reihe der Aktivitäten. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien stellt insgesamt 7,2 Millionen Euro für die Förderung herausragender Sharing Heritage-Projekte in Deutschland zur Verfügung. Viele Bundesländer richten eigene Veranstaltungsreihen zum Europäischen Kulturerbejahr aus.

Alle können und sollen mitmachen
Eine wichtige Prämisse des Europäischen Kulturerbejahres lautet: Alle können und sollen mitmachen! Gerade junge Menschen sind besonders angesprochen. So beteiligen sich z. B. rund 300 junge Musikerinnen und Musiker aus mehreren Staaten an einem Projekt des Bundesjugendorchesters und erarbeiten sich Benjamin Brittens „War Requiem“. Die geplanten Konzerte in Köln, Wroclaw und Berlin erinnern an das Leid und die Opfer der beiden Weltkriege. Im Projekt „Lost Traces“ der Landesarbeitsgemeinschaft Architektur und Schule in Bayern wenden sich Jugendliche vermeintlich verlorenen Orten zu und machen alte Kirchen oder verlassene Herrenhäuser mit Installationen zeitweise zu „ihrem“ Ort. Viele weitere Aktivitäten laden Jugendliche ein, sich am Kulturerbejahr zu beteiligen.

 

Junge Menschen werden das Europa von morgen prägen. Was können sie vom gemeinsamen europäischen Kulturerbe kennenlernen, mitnehmen und weitertragen? Wie verändern sich der Umgang und die Präsentation kulturellen Erbes in einer Gesellschaft, die kulturell heterogener und diversifizierter wird? Das Jahr spornt an, sich diesen Fragen zu stellen und Antworten zu finden. Es geht darum, neue Wege der Vermittlungsarbeit zu erproben – sowohl durch neue Formate als auch durch die Weiterqualifizierung bestehender Programme. Auch grenzüberschreitende Aktivitäten werden gestärkt. Zudem sollen noch mehr als bisher die Ansätze der kulturellen Bildung und des forschenden Lernens mit denkmalpädagogischen Methoden verknüpft werden. Nicht zuletzt wird mit dem Europäischen Kulturerbejahr die Digitalisierung im Kulturbereich stärker fokussiert. Digitale Vermittlungsmöglichkeiten können den Zugang zu kulturellem Erbe erheblich erweitern und dabei helfen, neue Zielgruppen zu erreichen. Zugleich eröffnen sie zusätzliche Möglichkeiten in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und der Archivierung, Nutzung und Auswertung von Quellen.

 

Ob nun über die digitalen Kanäle oder über das reichhaltige Programm – das Jahr eröffnet jede Menge Wege, kulturelles Erbe miteinander zu teilen und darüber ins Gespräch zu kommen. Je mehr Resonanz die Vorhaben finden, desto stärker können die Impulse sein, die von diesem Themenjahr für die europäische Zukunft ausgehen. Das Europäische Jahr will und kann etwas bewegen.

 

Am 21. September, dem Weltfriedenstag der Vereinten Nationen, soll dazu ein weiteres wichtiges Zeichen gesetzt werden: Für eine Viertelstunde werden zeitgleich in mehreren europäischen Staaten Glocken als Zeugnisse dieser uralten Kulturtradition erklingen. Von dem Läuten soll ein gemeinsames Signal ausgehen: Für die europäischen Werte des friedlichen Zusammenlebens, der Freiheit, der Toleranz und der Solidarität, für die Gegenwart und Zukunft des kulturellen Erbes. Sharing Heritage!

Martina Münch
Martina Münch ist Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und seit 2016 Präsidentin des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz
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