„In der Rap-Szene existiert ein judenfeindliches Grundrauschen“

Ben Salomo im Gespräch

Während in Deutschland Synagogen brannten, konnte mein Großvater aus Europa flüchten. Er entging den Flammen der Todesöfen, wäre er Einer der sechs Millionen, würde keiner heut meine Botschaft hören– mit einschlägigen Textzeilen wie aus dem Track Identität“ hat sich der in Berlin aufgewachsene Israeli Jonathan Kalmanovic unter dem Künstlernamen Ben Salomo in der Rap-Szene ein außergewöhnliches Standing erarbeitet. In seiner Musik verarbeitet er seine jüdische Identität – eine Ausnahme im Deutsch-Rap, der immer wieder durch gewaltverherrlichende, homophobe, frauenverachtende und antisemitische Tendenzen auffällt. Im Gespräch gibt Ben Salomo Einblick in die Szene und schildert seine Position dazu. 

 

Ludwig Greven: Jüdische Musik verbindet man vor allem mit Klezmer. Wie sind Sie als jüdischer weißer“ Musiker zum ursprünglich von Schwarzen geprägten Rap gekommen? 

Ben Salomo: Erst mal finde ich es ein Missverständnis, dass ich weiß bin. Plötzlich heißt es, Juden seien mit Macht versehene Weiße, obwohl sie 2.000 Jahre lang verfolgt wurden. Diese simplifizierte Eingruppierung durch Postkolonialisten und Antirassisten ignoriert außerdem, dass 50 Prozent der Juden äußerlich gar nicht dem europäischen Typ entsprechen. Ich sehe mich auch nicht darin. Ich bin ein Orientale. Die meisten Juden sind es, auch wenn manche im Lauf der Geschichte ein europäischeres Aussehen entwickelt haben. Zum Rap bin ich dadurch gekommen, dass ich schon als Kind gerne gereimt habe. Musik wurde mir ebenfalls in die Wiege gelegt. Meine Mutter spielte Klavier, mein Vater etwas Gitarre. Als dann Rap auftauchte, konnte ich beides kombinieren, meine Freude am Reimen und an der Musik, und ich merkte, dass ich damit sehr vielen angestauten Emotionen ein Ventil geben konnte. 

 

Rap ist wie Hip-Hop ursprünglich in Schwarzen-Ghettos in den USA entstanden. Weshalb transportiert er heute so viel Aggression gegen Minderheiten? 

Ja und nein, denn schon in der Frühphase des Rap und Hip-Hop haben sich daran auch Puerto Ricaner und andere Minderheiten aus sozialschwachen Gegenden New Yorks beteiligt, auch Juden. Der Anfang von Rap war im Grunde reine Partykultur. Bevor darin Lebensrealitäten verarbeitet wurden, ging es darum, gute Stimmung zu verbreiten – zunächst nur als Pausenfüller, wenn der DJ die nächste Platte auflegte. Im Lauf der Zeit sind dann Inhalte hineingekommen, die man heute zu Recht als problematisch ansieht, weil sich weitere soziale Schichten seiner Popularität bedient haben. Zudem ist es naiv zu glauben, wenn eine Bevölkerungsgruppe einer Diskriminierung ausgesetzt ist, dass sie das automatisch zu Anti-Diskriminierern“ macht. 

 

Aber wieso sind gerade im Gangsta-Rap gewaltverherrlichende, frauenverachtende, rassistische und judenfeindliche Inhalte so dominant? 

Im Gangsta-Rap, dem seit Langem erfolgreichsten Genre des Rap, steckt nicht mehr dessen ursprüngliche Hip-Hop-Kultur, sondern im weiteren Sinne eine Gefängniskultur. In ihr finden wir vieles davon wieder: Abgrenzung von anderen Gruppen, Gewalt und Drogen, ein komplett verdrehtes Werteverständnis, meistens sehr bildungsfern. Der Gewalttätige ist der, der das Sagen hat. Sexuelle Erniedrigung ist Teil davon. Dass der Gangsta-Rap gerade in Deutschland auch stark antisemitisch ist, hat damit zu tun, dass viele der Rapper aus migrantisch-muslimischen Communitys stammen. In Teilen dieser Communitys gelten Juden als mächtige Drahtzieher hinter den Kulissen, Israel als das Böse schlechthin. Dadurch finden diese Weltbilder Eingang in die Texte. 

 

Wieso ist diese Musik unter Jugendlichen so populär? 

Jugendliche, die aus einem ähnlichen sozialen Milieu wie die Rapper kommen und sich von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, sehen die Musiker als Vorbilder an. Sie versuchen sie nachzuahmen. Sie wecken in ihnen Träume und Hoffnungen, reich zu werden und es eines Tages aus dem Ghetto zu schaffen. Ähnlich wie große Sportler. Bei anderen Jugendlichen, die eher aus dem privilegierteren Teil der Gesellschaft kommen, wird die Faszination dadurch genährt, dass diese Rapper etwas reflektieren, was für viele jenseits der eigenen geordneten, langweiligen Realität liegt. Es ist eine Form von Flucht oder auch Sozialvoyeurismus. 

 

… die Faszination des Bösen. 

Könnte man sagen. Das finden wir ja auch in Filmen oder der Literatur, in Märchen und Räubergeschichten. Das gab es schon immer: der Böse als Anti-Held. Der Haken ist nur, dass die Gangsta-Rapper sich selbst als authentische Sprecher inszenieren, nicht als Kunstfiguren. Dadurch werden die Trennlinien zwischen Kunst und Realperson verwischt. Zudem sind die Hälfte der Konsumenten minderjährig und damit leicht verführbar für die Inhalte, die diese Rapper vermitteln. 

 

Werden Jugendliche zu Rassisten und Antisemiten, weil sie solche Songs hören? Oder hören sie diese, weil sie solche Ressentiments in sich tragen? 

Eine Studie der Uni Bielefeld kam in diesem Jahr zu dem Ergebnis, dass Leute, die viel Gangsta-Rap hören, zu 56 Prozent dazu neigen, mit der Zeit antisemitischen und frauenfeindlichen Aussagen zuzustimmen. Weitere Studien müssen nun klären, ob sie durch den Rap erst zu diesen Haltungen kommen oder ob sie die schon haben und durch die Inhalte im Rap darin bestärkt werden. Die Forscher vermuten, dass sich diese Phänomene von beiden Seiten annähern. Als Insider habe ich jahrelang erlebt, wie Inhalte mit antisemitischen Verschwörungsmythen oder Israelhass dazu geführt haben, dass sich ein antisemitisches Klima in der Rap-Szene ausgebreitet hat. Viele Konsumenten übernehmen diese Feindbilder leider. Besonders problematisch ist das für Jugendliche. Interessanterweise konnte diese Studie jedoch keine nennenswerte Übernahme rassistischer Ressentiments feststellen. Auch das sollte noch tiefer erforscht werden, denn es beweist, dass Antisemitismus sehr wohl jenseits vom Rassismus auftreten kann. 

 

Ben Salomo und Ludwig Greven
Ben Salomo ist Rapper und Songwriter. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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